Der Begriff „Völkermord“ ist seit der UN-Konvention über „Verhütung und Bestrafung des Völkermords“ vom 9. November 1948 definiert als Mord an Menschen wegen deren Zugehörigkeit zu einer bestimmten rassischen, ethnischen oder religiösen Gruppe, die als Kollektiv von den Tätern schwer geschädigt oder vernichtet werden soll. Die UN-Konvention ist zwingendes Völkerstrafrecht. Der von dem Naziregime mit Plan und Vorsatz betriebenen Vernichtung der Juden Europas sind zwischen 1941 und 1944 im früheren und heutigen Staatsgebiet Litauens zwischen 200.000 und 250.000 Juden zum Opfer gefallen. Der Holocaust ist das grauenvollste Beispiel eines Völkermords im Verlauf des 20. Jahrhunderts.

Die im litauischen Exil während der Sowjetherrschaft der 1940er Jahre entstandene, international sehr umstrittene These vom „doppelten Genozid“ (gemeint ist: Genozid am litauischen Volk durch das Sowjetregime sowie Genozid an den Juden durch die deutsche Besatzung) ist in Litauen seit 2010 Gesetz: Wer den Genozid – sowohl den „sowjetischen“ als auch den an den Juden begangenen – leugnet, riskiert Bestrafung mit bis zu zwei Jahren Haft. Diese Gleichsetzung des rassistisch motivierten Völkermords an allen Juden mit den Opfern der Unterdrückungspolitik des Stalinismus 1940/41 und 1944 bis 1990 ist weder mit der UN-Konvention zur Ächtung des Völkermords noch – allein schon im Hinblick auf die Opferzahlen – mit der historischen Realität vereinbar. Die Juden wurden in ihrer Gesamtheit rassistisch und als Religionsgruppe vernichtet, der national-litauische Widerstand – nicht das litauische Volk – wurde als politische Opposition bekämpft. Die Gleichsetzung ist u.a. Ausdruck einer nationalen Geschichtspolitik, die den antisowjetischen Widerstand in Litauen insbesondere der Nachkriegsjahre glorifiziert und dabei Kollaboration und Mittäterschaft vieler Litauer und damals wichtiger litauischer Politiker, die während der NS-Okkupation 1941/1944 bei der Verfolgung und Vernichtung der litauischen Juden mitgewirkt haben, verharmlost oder verschweigt (Litauischer Aufstand; Kurzbiographien Juozas Ambrazevičius, Jonas Noreika).

Literatur / Medien
Brendle, Frank: Geschichte auf Litauisch, in: Junge Welt, 16.10.2010 (http://www.friedensforschung.de); Freedland, Jonathan: Jetzt sind wir quitt, in: Der Freitag, 10.10.2010 (https://www.freitag.de); Makhotina, Ekaterina: Die Unsrigen. Die Holocaustdebatte in Litauen, in: Erinnerungskulturen, 26.02.2016 (https://erinnerung.hypotheses.org);
http://www.heise.de/tp/artikel/28/28708/1.html
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/2231
http://www.cbc.ca/news/canada/manitoba
http://www.slate.com/articles/news_and_politics