Region Centre-Val de Loire, Departement Loiret

Der OrtOrléans, Rathaus
Großstadt an der Loire, 130 km südlich von Paris; knapp 150.000 Einwohner*innen, im Großraum 282.800 (2016), Hauptort der Region Centre und des Departement Loiret. Bahnhof: Züge u.a. nach Paris, Limoges, Nantes, Tours. Mit dem Auto von Paris 127 km (N 20) oder 133km (A 10 – Maut).

Die nahe bei Orléans gelegenen französischen Internierungslager Beaune-la-Rolande und Pithiviers waren eine Drehscheibe der „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich. Hier wurden zwischen 1941 und 1943 etwa 18.000 jüdische Menschen interniert. Fast alle wurden von den NS-Besatzern in die Vernichtungslager deportiert und ermordet; vgl. Näheres Orléans - Cercil. Im Loiret gab es außerdem ein Internierungslager für Sinti und Roma („nomades“/„tsiganes“), vgl. dazu Jargeau.

Orléans wurde im Juni 1940 von der deutschen Wehrmacht besetzt. In der Stadt waren viele Besatzungsbehörden. In und um Orléans entwickelte sich bald Widerstand.

Judenverfolgung, Internierungslager, Deportationen

Die Ereignisse
renovierte Lagerbaracke aus dem Lager Beaune am Eingang zum Cercil-Museum

Die Lager Beaune-la-Rolande und Pithiviers als Vorhof des Todes
Fast 18000 jüdische Menschen, darunter 4000 Kinder, wurden in den dem Vichy-Präfekten des Loiret unterstehenden Lagern interniert, fast alle wurden in die Vernichtungslager deportiert.
Die ersten Männer waren schon 1941 eingeliefert worden, nach den Razzien vom Mai und Dezember 1941 in Paris. Sie wurden bis zu einem Jahr lang festgehalten und im März 1942 nach Auschwitz deportiert.
Die Lager spielten bald darauf eine Hauptrolle in der 'Endlösung der Judenfrage' in Frankreich und der Kollaboration Vichys. Tausende Opfer der Razzia des Vel d'Hiv im Juli 1942 wurden in die Lager verbracht, die Kinder von den Eltern getrennt und später ebenfalls deportiert. Möglich wurde das tödliche Zusammenwirken der deutschen Deportations- und Vernichtungsstrategie und der antisemitischen Ausgrenzungspolitik Vichys, die die Internierung ausländischer Juden vorsah, u.a. durch das Polizeiabkommen Oberg (SS) und Bousquet (Vichy-Polizei) vom Juli/August 1942 (vgl. dazu Klarsfeld, a.a.O., S. 131f.).

 Aline Korenbajzer; © CERCIL, Orléans

Aline Korenbajzer wird am 31.August 1939 in Paris geboren. Ihr Vater Abraham wird am 14. Mai 1941 zusammen mit 3700 ausländischen jüdischen Männern in Paris verhaftet und im Lager Pithiviers interniert; er kann im März 1942 fliehen. Am 16. Juli 1942 wird Aline mit ihrer Mutter bei der schrecklichen Razzia des Vel d'Hiv verhaftet. Beide werden im Lager Beaune-la-Rolande interniert. Sie werden mit dem Transport Nr. 25 am 28. August 1942 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Wie alle Kinder dieses Transports wird Aline direkt nach der Ankunft vergast – an ihrem 3. Geburtstag (Text auf Infotafel).

Es waren nicht die Nazis, die uns nach der Razzia des Vel-d'Hiv in Pithiviers und Beaune interniert haben. Sondern Vichy. Man muss wissen, dass eine der schwärzesten Seiten der Geschichte Frankreichs hier geschrieben worden ist: die Trennung der Kinder, die in den beiden Lagern den Armen ihrer Mütter und Väter entrissen wurden, die eine wesentliche Drehscheibe zwischen dem Staatsantisemitismus Vichys und der Endlösung war, die von den Nazis ausgedacht worden war.
Nach der Trennung der Kinder von den Eltern unter Schreien, wie man sich vorstellen kann, wollte Berlin keine Transporte, die ausschließlich aus Kindern bestanden, das wäre nämlich schädlich für die Propaganda (von den Familientransporten) gewesen. Also wurden die Kinder nach Drancy transferiert und dort in die Transporte der Erwachsenen gesteckt, damit man weiter an die Familien-Deportation glauben konnte – konform der Vichy-Devise 'Arbeit-Familie-Vaterland'.
(Serge Klarsfeld, La Nouvelle République v. 31.1.2005)

Versammlungsort der jüdischen GemeindeFotogalerie ermordeter jüdischer Kinder; mit frdl. Genehmigung des Cercil

 

 

 

 

 

 

Gedenktafel Opfer rassistischer und antisemitischer Verfolgungen; Quelle: genweb, Bernard Butet, CC BY-SA 2.0

Die Synagoge in Orléans wurde zerstört. Der Versammlungsraum der jüdischen Gemeinde befindet sich jetzt in der ehemaligen Kapelle ,de l'Officialité' hinter der Kathedrale (14 Rue Courtenay).

Gedenken
In Orléans pflegt das CERCIL (Studien- und Forschungszentrum über die Internierungslager im Loiret) lebendige Erinnerung an die dunklen Jahre; das CERCIL ist seit 2018 Teil des Mémorial de la Shoah (vgl. Paris 4°, Mémorial de la Shoah). Verfolgung und Internierung von Juden, Sinti und Roma in den Lagern des Loiret Beaune-la-Rolande, Jargeau und Pithiviers und die Kollaboration Vichys bei der Deportation der jüdischen Menschen in die Vernichtungslager. Im Musée-Mémorial des enfants du Vel d'Hiv geben Fotos den 4000 ermordeten Kindern der Razzia des Vel d'Hiv am 16./17. Juli 1942 (vgl. Paris 15° Vel d'Hiv) Namen und Gesicht: Cercil-Musée Mémorial des enfants du Vel d'Hiv, 45 Rue du Bourdon-Blanc (100 Meter hinter der Kathedrale); email: [email protected]; Internet: www.cercil.fr.

Gedenken auch an der Tafel für die „Opfer rassistischer und antisemitischer Verfolgungen unter der faktischen Autorität der Regierung des französischen (Vichy-) Staats. Pithiviers, Jargeau, Beaune-la-Rolande. Vergessen wir es nie!“ (Place de la République) sowie am Widerstands- und Deportationsdenkmal im Parc Pasteur.

Widerstand und Repression

Denkmal erschossene Mitglieder der Groupe Chanzy in Saint-Jean-de-la-Ruelle

Erste individuelle Widerstandsakte wie Verteilen von Flugblättern und Fluchthilfe (über die Demarkationslinie) begannen bald nach der deutschen Besetzung.
1942 wurden erste Widerstandsgruppen aktiv. Die Front national (Résistance) demonstrierte trotz Verbot am Nationalfeiertag 14. Juli 1942. Die Groupe Chanzy der Francs Tireurs et Partisans Français (FTP) rekrutierte in der gesamten Region: Sie sabotierten Telefonleitungen und Bahnstrecken und attackierten deutsche Soldaten, Nach einem misslungenen Attentat auf den rechtsextremen Politiker Marcel Déat wurden 124 Mitstreiter/innen von französischer Spezialpolizei (anti-kommunistische Sektion S.P.A.C. und 5. Brigade) verhaftet. 17 von ihnen wurden vom deutschen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und am 8. Oktober 1943 auf dem Schießstand im nahen Saint-Jean-de-la-Ruelle erschossen; 19 wurden in deutsche Konzentrationslager deportiert, sechs in Internierungslager geschickt (s. dazu unten den Nachkriegsprozess wegen der „17 Erschossenen von Orléans“)

Stele Vater und Söhne Dessaux

Libération-Nord kämpfte u.a. gegen die STO-Zwangsarbeit in der deutschen Rüstungsindustrie. Im Herbst 1943 nach einer Verhaftungswelle fast aufgerieben, konnte sie 1944 wieder Fuß fassen und war in Orléans an der Spitze des Befreiungskomitees und stellte den ersten Bürgermeister Albert Dessaux, gestorben im Juni 1945 an den Folgen der Haft im KZ Buchenwald.
Jean Zay wurde in Orléans geboren, war sozialistischer Minister der Volksfrontregierung, wurde unter der Vichy-Regierung verhaftet und in einem Schauprozess verurteilt; 1944 holte ihn ein Kommando der französischen Milice aus dem Gefängnis, ermordete ihn und verscharrte ihn in einem Wald (vgl. dazu Kurzbiografie Jean Zay). In Orleáns ist ein Lycée nach ihm benannt, 2 Rue Ferdinand Buisson).



1945- Nach der Befreiung

Justizpalast (Cour d'Appel); Quelle: Croquant, wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Im September 1945 standen 15 Personen, meist ehem. Polizisten, aber auch der ehem. Präfekt der Departements Somme und Eure-et-Loir, wegen der “17 Erschossenen von Orléans” und der “31 Erschossenen von Chartres” vor dem 'Cour de Justice'. Er tagte im heutigen Cour d'Appel und hatte in der Zeit der politischen Säuberung (vgl. Épuration) Kollaborationsverbrechen zu untersuchen und zu sanktionieren. Nach 14 Sitzungen verurteilte das Gericht sechs Angeklagte zum Tode (darunter den ex-Präfekten Le Baube, den zur deutschen Sicherheitspolizei übergelaufenen A. Méresse und zwei leitende Polizeikommissare – die Todesurteile wurden später in Haftstrafen umgewandelt), sieben Angeklagte zu Haft zwischen einem Jahr und lebenslänglich; zwei wurden freigesprochen, fünf flüchtige Angeklagte in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

 

Widerstands- und Deportationsdenkmal

Gedenken
1970 wurde an der Esplanade de la Déportation im Park Pasteur ein Denkmal für die Widerstandskämpfer und Deportierten des Departements Loiret errichtet “von den Resistants und Deportierten des Loiret zu Ehren ihrer Kampfesbrüder, die für die Freiheit, Ehre und Würde des Menschen ihr Leben gegeben und das Martyrium erlitten haben.
Der Text auf der Gedenkwand ist ein Auszug aus einem Gedicht von Robert Desnos:
Es bleibt mir nur dies: der Schatten Schatten zu sein, der Schatten-Schemen, der ein und aus geht bei deinem sonnigen Leben.” (deutsch von Paul Celan)

Literatur/Medien
Dictionnaire historique de la Résistance, Paris 2006, S. 275ff.
Klarsfeld, Serge: Vichy-Auschwitz. Die Zusammenarbeit der deutschen und französischen Behörden bei der „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich, Nördlingen 1989, S. 89ff., 429ff.
Les camps d'internement du Loiret. 1941-1943, histoire et mémoire, Orléans o.J.
ONAC 45: Les lieux de Mémoire de la deuxième guerre mondiale – Loiret, Orléans o.J.
Petit Futé. Guide des lieux de mémoire, Paris 2005, S. 71ff; Ausgabe 2012/13, S. 53f.
http://memorialmuseums.net/denkmaeler/view/428/CERCIL-–-Studien--und-Forschungszentrum-über-die-Internierungslager-im-Loiret
https://fr.calameo.com/read/0001479948828a802a1ed
http://www.chanzy.org/jugement/jugement01.htm
http://www.chanzy.org/jugement/jugement08.htm
https://fr.wikipedia.org/wiki/%C3%89puration_%C3%A0_la_Lib%C3%A9ration_en_France