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Glières

Region Rhône-Alpes, Departement Haute-Savoie

Der Ort

Hochplateau in den Savoyen in 1450 m Höhe, früher als Alm genutzt; die meisten der 40 Almhütten waren 1943/44 nur im Sommer bewohnt. Zufahrt per Auto  zum Plateau, Gedenkweg, Denkmal und Informationshaus 'Maison du Plateau': von Annecy entweder über Thorens-Glières (D 1203 →Genève bis Ausfahrt Thorens-Glières, dann D 2/D 5, von dort 14 km auf der D 55) oder über  Le Petit-Bornand-les-Glières ( D 16 →Alex, dann D 909 →La Clusaz bis Saint-Jean-de-Sixt, dort D 12, kurz vorher auf D 55, von dort 9 km). Alternative: Zu Fuß über Wanderwege aus den Taldörfern. 

Glières-Plateau und Taldörfer Glières-Massiv, Teilansicht Karte (historische) Wanderwege

A. Die Ereignisse

Maquis des Glières

Zunächst war Ziel des Maquis, die auf dem Plateau von Flugzeugen abgeworfenen Waffen zu bergen und an die Widerstandsgruppen der Region zu verteilen. Später entstand auf britisch-französisches Drängen die Idee eines größeren, dauerhaften Maquis, das nach der erwarteten alliierten Landung die deutschen Streitkräfte vor Ort binden und auf dem Weg in die Normandie attackieren und aufhalten sollte.

Für die deutschen Besatzer war Hochsavoyen ein wichtiges rückwärtiges Operationsgebiet. Die Wehrmacht verlangte im Spätherbst 1943 von der Vichy-Regierung, die Résistance-Aktivitäten in Südwestfrankreich und in den Alpen bis März 1944 zu stoppen sowie die Maquis und die Ansammlung von Résistancekräften auszuschalten. Parallel bereitete sie mehrere große „Durchkämmungsaktionen“ an der Dordogne, im Ain, Hochjura, Mont Mouchet und Vercors (Unternehmen Frühlingswind, Kaporal, Treffenfeld) und für das Glières-Gebiet die Operation 'Hochsavoyen' vor. Vichy schickte etwa 3000 Ordnungskräfte (Milice, Gendarmen, GMR und SPAC-Spezialpolizei) in die Gegend und verhängte am 31. Januar 1944 das Kriegsrecht über das gesamte Departement (vgl. auch Thonon-les-Bains).

Noch am selben Tag stiegen auf Anordnung von Tom Morel, dem Leiter des regionalen Widerstands, 120 AS-Widerstandskämpfer aus den Taldörfern, z.B. Manigod, auf das Glières-Plateau. Später folgten weitere 345 FTP-Maquisards, spanische Republikaner und STO-Verweigerer und bildeten das 'Bataillon des Glières'. Es wurde geleitet von Tom Morel und nach dessen gewaltsamem Tod  Anfang März in Entremont von Maurice Anjot, beide ehemalige Gebirgsjäger-Offiziere in der AS. Sie kamen in den im Winter nicht bewohnten Almhütten unter. Einwohner/innen der Taldörfer sorgten für ihre Verpflegung.

Glières: Blick auf das Plateau Almhütte von Marie Boissons (histor. Foto) Maquisards im Winter; © cg74

Angriff von Milice und Wehrmacht, Gegenwehr des Maquis

Die in Annecy und Thorens-Glières stationierte französische Milice führte Razzien in den Taldörfern durch (z.B. Entremont, Thônes), verhaftete zahlreiche Verdächtige und ließ acht Menschen nach einem Urteil des neu geschaffenen Kriegsgerichts in Annecy hinrichten (vgl. dort). Sie scheiterte aber mit dem Versuch, das Maquis auf dem Plateau einzunehmen. Ab Mitte März 1944 schaltete sich die Wehrmacht aktiv ein (157. Reserve-Division), sie bombardierte das Plateau und die Hütten.

Die Kräfteverhältnisse waren eindeutig: 465 nur mit leichten Waffen ausgerüstete Maquisards gegen tausende schwerbewaffnete deutsche Soldaten und französische Milizionäre.

Am 26. März griffen mehrere tausend deutsche Soldaten und französische Milice mit schweren Waffen, Artillerie und Flugzeugen das Maquis an. Die Maquisards hielten einen Tag lang die Stellung, dann gab Maurice Anjot angesichts der Übermacht den Befehl, sich zu zerstreuen und auf verschiedenen Wegen das Plateau zu verlassen. Als die Wehrmacht, die fünf Tote und einige Verwundete zählte, am 27. März erneut angriff, war das Plateau leer.

Viele Maquisards wurden in den folgenden Tagen gefangen genommen. Insgesamt kamen 129 Maquisards ums Leben, einige im Kampf mit der Milice und der Wehrmacht, die meisten durch die nachfolgende z.T. blindwütige Repression (erschossen, zu Tode gefoltert, nach Deportation in den KZ umgekommen); außerdem wurden Résistants aus den Glières-Dörfern erschossen.

 

Propagandaschlacht

Die Kämpfe um die Glières wurden von Beginn an durch einen  „Ätherkrieg“ begleitet, Radiosendungen von Philippe Henriot, dem Vichy-Propaganisten, aus Thorens-Glières einerseits und von Maurice Schuman, Radio London, andererseits. Der Rückzug der Maquisards wurde von der Vichy-Propaganda, die das massive Eingreifen der Wehrmacht verschwieg, als Verhalten „feiger Hunde“ dargestellt. In Résistancekreisen dagegen wurden die Kämpfe als „eine Niederlage der Waffen, aber ein Sieg der Herzen“ („défaite des armes, mais victoire des âmes“) gesehen. Diese Lesart wurde in jüngster Zeit u.a. durch die Studie von Claude Barbier über „Mythos und Realität des Glières-Maquis“ angezweifelt, s.u. Literatur.

 

Neubeginn und Befreiung

Am Nationalfeiertag 14. Juli 1944 meldete sich die Résistance mit einer Parade durch das Städtchen Thorens-Glières zurück. Am 1. August kamen fast 3000 Menschen auf das Plateau, um die von den Briten per Fallschirm abgeworfenen Waffen zu bergen und auf die Gruppen in den Dörfern zu verteilen. Die in den freifranzösischen Kräften FFI zusammengeschlossen AS- und FTP-Männer  konnten in die Befreiungskämpfe des Departements eingreifen.

 

B. Gedenken

Das Plateau ist ein berühmter nationaler Gedenkort: wegen der als „erste offene Schlacht der Résistance gegen die Deutschen“ gewerteten Auseinandersetzung und wegen des tragischen Ausgangs dieses „Kampfes um die Ehre Frankreichs“. Auf dem Plateau gibt es das Nationaldenkmal der Résistance und einen Gedenkweg. Im Tal befindet sich die Gedenkstätte La Morette mit Friedhof und Widerstandsmuseum. 

Historischer Rundweg: Quelle: ccvt.fr Gedenkkreuz für É. Crédoz Glières-Plateau mit Nationaldenkmal; Quelle: Wikipedia

Auf das Plateau kann man vom Tal über zwei Straßen sowie zu Fuß über historische, steile und z.T. schwierige Pfade und Wege gelangen. Oben gibt es einen ausgeschilderten historischen Rundweg zur Organisation und täglichen Leben der Maquisards  und der wenigen Bewohner/innen im Winter, z.B. in der Almhütte von Marie Boissons (Start am „Maison du Plateau“ oder Haus „Memoire du Maquis“/Gedächtnis des Maquis; Gesamtdauer ca. 2 Stunden). Das weiße Gedenkkreuz erinnert an den am 26. März 1944 verwundeten und dann von den Deutschen erschossenen Maquisard Édouard Credoz. Das Nationale Monument für den Widerstand (Monument National de la Résistance) stellt einen gebrochenen Flügel dar, der die Sonne der Hoffnung trägt. Das Denkmal von Émile Gilioli soll nicht ein Ehrenmal für die gefallenen Kämpfer, sondern ein Symbol für die Zukunft sein. Jedes Jahr im Mai findet eine Gedenkzeremonie statt: http://fr.wikipedia.org/wiki/Plateau_des_Gli%C3%A8res

Bürgerprotest Mai 2007; Quelle: Wikipedia Stéphane Hessel auf den Glières 2011; © Jean-Pierre Clatot, AFP

Seit der Kritik an dem stark mediatisierten Besuch des damaligen Präsidentschaftskandidaten Sarkozy im Jahr 2007 ist die Zahl der Besucher gestiegen. Ehemalige Widerstandskämpfer wie Stéphane Hessel und Raymond Aubrac riefen dazu auf, sich im Kampf gegen die „Diktatur der internationalen Finanzmärkte, die den Frieden und die Demokratie bedroht“, die Ursachen der ungerechten Sozialpolitik, die Deregulierung und die zunehmenden wirtschaftlichen Ungleichgewichte auf die sozialen Werte der Résistance wie Solidarität, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit zu besinnen (vgl. auch CNR – Nationaler Widerstandsrat; Stéphane Hessel, Empört Euch!, Berlin 2011 sowie http://www.lemonde.fr/idees/article/2011/05/14/l-appel-d-anciens-resistants-aux-jeunes-generations_1522251_3232.html). Seit einigen Jahren finden jeweils am letzten Wochenende im Mai in Thorens-Glières Veranstaltungen, Debatten, Lesungen, Kultur statt gefolgt von einer Wanderung auf das Plateau, wo u.a. die Paroles de la Résistance verlesen werden (organisiert von „Bürger im Widerstand – Gestern und Heute“: www.citoyens-resistants.fr).

Gedenkstätte La Morette Nationalfriedhof der Glières-Kämpfer, Namenstafel Nationalfriedhof, Gräber

Im Tal besteht die Gedenkstätte La Morette (Site départemental de Morette); sie besteht aus Nationalfriedhof, Widerstands-Museum und Deportations-Mémorial.
An der Stelle, an der die ersten vom Maquis zurückkehrenden Partisanen umgebracht wurden, wurde der Nationalfriedhof 'Nécropole Nationale des Glières' angelegt; 105 von den Deutschen oder Vichy-Kräften getötete Widerstandskämpfer der Glières, darunter die Anführer Tom Morel und Maurice Anjot, sind hier bestattet. Am 6. April 2014 fand hier die Zeremonie zum 70. Jahrestag des Glières-Maquis statt.

Das Widerstandsmuseum 'Musée départemental de la Résistance', gegründet von Glières-Überlebenden, ist in einer ehemaligen Almhütte untergebracht. Es zeichnet die allgemeine Entwicklung des 2. Weltkriegs, der Besatzung, des Widerstands  sowie die Geschichte des Glières-Maquis und der Befreiung Hochsavoyens nach.
Die Deportations-Gedenkstätte 'Le Mémorial de la Déportation' zeigt erschütternde Zeugnisse über die NS-Konzentrations- und Vernichtungslager.
Die Gedenkstätte liegt an der D 909 zwischen Annecy (17 km) und Thônes (4 km), vom Plateau 30 km (über Le Petit-Bornand, D 12 und D 909): GPS 45.898460, 6.287407.

Widerstandsmuseum Denkmal in Thorens-Glières Dank an Bevölkerung, Entremont Spanische Maquisards, Denkmal, Annecy

Weitere Gedenkorte befinden sich in den Gemeinden Doussard, Entremont, La Roche-sur-Foron, Le Grand-Bornand, Le Petit-Bornand, Manigod, Nâves-Parmelan, Thônes, Thorens-Glières; sie werden im unmittelbaren Anschluss behandelt.  In einigen bedanken sich die Glières-Kämpfer für die Unterstützung der Bevölkerung. An die spanischen Glières-Maquisards wird u.a. in Annecy, Nâves-Parmelan und Thorens-Glières erinnert.

 

Literatur/Medien

Barbier, Claude: Le maquis de Glières. Mythe et réalité, Librairie Académique Perrin,‎ 2014
Crémieux-Brilhac, Jean-Louis: La bataille des Glières et la guerre psychologique, in Revue d'histoire de la Seconde Guerre mondiale, no 99, juillet 1975
Germain, Michel: Glières, Montmélian 2008
Lieb, Peter: Konventioneller Krieg oder NS-Weltanschauungskrieg? Kriegführung und Partisanenbekämpfung in Frankreich 1943/44, München 2007, S. 322ff.
Dictionnaire historique de la Résistance, Paris 2006, S. 723f., 630f.
Petit futé. Guide des lieux de mémoire, Paris 2005, S. 342f.; Ausgabe 2012/2013, S. 227
http://www.glieres-resistance.org
http://alain.cerri.free.fr/index4.html
http://fr.wikipedia.org/wiki/Maquis_des_Gli%C3%A8res
http://www.cg74.fr/download/site-principal/document/resistance/chronologie.pdf
http://www.ac-grenoble.fr/ecole/74/humanisme/spip.php?article71
http://www.cheminsdememoire.gouv.fr/de/national-monument-fur-den-widerstand-plateau-glieres