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Annemasse

Region Rhône-Alpes, Departement Haute-Savoie

Der Ort

Stadt von 32650 Einwohner/innen an der Grenze zur Schweiz/Genf. Bahnhof. Mit dem Auto von Annecy 45 km (D 1201 oder A 41 u. 40 bis D 2 in Etrembières); von Genf 10 km (A 411/E 712 und D 1206).

 

Die Ereignisse

Die Stadt hat ab 1940 viele Flüchtlinge aufgenommen, z.B. Uhrmacher aus dem besetzten Departement Doubs/Besançon. Sie war wegen ihrer Grenznähe eine wichtige Anlauf- und Durchgangsstation für Fluchthilfe und Rettung von Verfolgten.

Während der italienischen Besatzung (November 1942 bis 8. September 1943) war in Annemasse italienisches Militär stationiert. Die italienischen Behörden erfüllten gelegentlich Verhaftungswünsche der Deutschen: Am 16. April 1943 nahm die politische Polizei OVRA die  SOE-Agenten Peter Churchill und Odette Samson in Saint-Jorioz fest und übergab sie der Gestapo; am 17. April billigten die Behörden stillschweigend die Verhaftung von André Devigny,  Chef des Widerstandsnetzes „Gilbert“, durch die Gestapo (http://fr.wikipedia.org/wiki/Andr%C3%A9_Devigny; Panicacci, p. 229).

Totendenkmal Tafel für Eisenbahner Gedenkfeier am ehem. Gefängnis Pax; © Ville d'Annemasse Gedenktafel am ehemaligen Gefängnis Pax

Das schon von den Italienern als Gefängnis genutzte Hôtel du Pax diente unter deutscher Besatzung der Gestapo als Gefängnis, Verhör- und Folterzentrum. Hunderte Menschen aus Hochsavoyen wurden hier zeitweise inhaftiert, viele später in die KZ deportiert, einige erschossen. Auch jüdische Kinder, die am 21.Oktober 1943 bzw. 31. Mai 1944 kurz vor dem Grenzübertritt in die Schweiz mit ihren Begleiter/innen Mila Racine bzw. Marianne Cohn verhaftet worden waren, wurden hier festgehalten, aber auf Intervention des Bürgermeisters freigelassen. Ihre Begleiter/innen hatten die Freilassung abgelehnt – aus Furcht vor Repressalien gegen die Kinder. Mila Racine wurde deportiert und kam im KZ Mauthausen um: http://fr.wikipedia.org/wiki/Mila_Racine. Marianne Cohn schrieb im Gefängnis ihr bewegendes Gedicht „Je trahirai demain/Verraten werde ich morgen“ (Text bei Kurzbiographie Marianne Cohn); sie und fünf andere Gefangene wurden am 7. August 1944 von der Gestapo abgeholt und angeblich nach Lyon gebracht. Nach der Befreiung wurden ihre und fünf andere Leichen im Nachbarort Ville-la-Grand in einem Wäldchen entdeckt, die sechs Widerstandskämpfer/innen waren am 8. August 1944 von der Gestapo erschossen worden.
Die Stadt wurde am 18. August 1944 befreit. Wehrmacht und Gestapo hatten vorher die Stadt in Richtung Schweiz verlassen können.

 

Gedenken

Das Totendenkmal am zentralen Place de la Libération führt auch die Namen gestorbener Résistants, Deportierter und Erschossener auf. Am Bahnhofsgebäude erinnern Tafeln an umgekommene Eisenbahner und den von den Besatzern erschossenen Pierre Semard. Der Text der am unscheinbaren Gebäude des ehem. Gefängnisses 'Pax' angebrachten Gedenktafel lautet: „Franzosen, erinnert euch! In diesem Gebäude wurden von Januar 1943 bis 18. August 1944 während der italienischen und der deutschen Besatzung 1500 Menschen gefangen gehalten. Die Gestapo hat hier ein große Zahl von Gefangenen gefoltert und am 7. Dezember 1943 und 29. Januar 1944 feige ermordet: Pellet Gustave, 48 Jahre; Chappuis André, 48 Jahre; Couffi Adrien, 29 Jahre; Viollet Fernand, 25 Jahre; Jenatton Fernand, 23 Jahre; Jenatton Louise, 23 Jahre.“ Jährlich findet eine Gedenkzeremonie statt (21 Avenue de la Gare, nahe bei Bahnhof).

Gedenkbaum für Deportierte Ehrung von „Gerechten“ Synagoge Kindergarten 'Marianne Cohn' Schule 'Marianne Cohn'

Im Parc de Montessuit wurde 1965 ein Baum gepflanzt, damit „die Erinnerung an die in den Nazi- und faschistischen Konzentrationslagern umgekommenen Bürger/innen von Annemasse in der Stadt lebendig bleibt.“ In der Nähe ehrt die Stadt mit einem Gedenkstein die „Gerechten unter den Völkern“, die jüdische Menschen gerettet haben. Die Synagoge ist in einem Haus in der Rue du Docteur-Coquand untergebracht (nahe beim Bahnhof).
Die Stadt hat 1984 eine École Maternelle (Kindergarten) und ein Schulzentrum nach Marianne Cohn benannt „weil sie 32 jüdische Kinder, die im Gefängnis Pax in Annemasse interniert waren, vor der Ermordung gerettet hat. Sie wurde am 8. August 1944 erschossen. Sie war 23 Jahre alt.“
Ein Zitat von Pierre Seghers ergänzt die Tafel: „Junge Menschen, die Ihr dies seht, denkt daran: Die Scheiterhaufen sind niemals erloschen, das Feuer kann jederzeit wieder entfacht werden - für euch.“ (Rue Léon Guersillon bzw. 14 Rue Aristide Briand). Ein Denkmal für Marianne Cohn und die fünf mit ihr erschossenen Résistants steht im Nachbarort Ville-la-Grand (s. dort).

 

Literatur/Medien

Panicacci, Jean-Louis: L'Occupation italienne: Sud-Est de la France, juin 1940-septembre 1943, Rennes 2010
Schilde, Kurt: Jugendopposition 1933-1945. Ausgewählte Beiträge, Berlin 2007, S. 61ff. (zu Marianne Cohn)
http://www.glieres-resistance.org/Annemasse
http://www.ajpn.org/internement-Hotel-Pax-286.html
http://www.annemasse.fr/Annemasse/Memoire-et-Histoire/Memoire/Les-commemorations/La-Liberation-d-Annemasse-le-18-aout-1944
http://fr.wikipedia.org/wiki/Synagogue_d%27Annemasse
http://fr.wikipedia.org/wiki/Annemasse