Schriftgröße A A A

Lothringen (Lorraine)

Hauptort: Metz

Lage Lothringens                            Wappen Lothringens

Einführung

Die Region Lothringen (frz.: Lorraine) hat ca. 2,3 Mio (1936: 1,9 Mio) Einwohner/innen in den vier Departements Meurthe-et-Moselle, Meuse, Moselle und Vosges. Sie ist wesentlich größer als 'Lothringen' in dem vom Deutschen Reich bzw. Nazideutschland annektierten Elsass-Lothringen, das nur das  Departement Moselle (Moselgebiet) umfasste (vgl. auch Sachstichwort 'Elsass und Lothringen'). Im 19. und 20. Jahrhundert war Lothringen das Herz des französischen Erz- und Kohlebergbaus und der  Stahlindustrie, heiß begehrt von der deutschen (Kriegs-)Wirtschaft. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren die Gruben geschlossen, 2013 wurde der letzte Hochofen  ausgeblasen. Museen in Uckange, Petite-Rosselle und Aumetz halten die Erinnerung wach: http://fr.wikipedia.org/wiki/Usine_sid%C3%A9rurgique_d%27Uckange; http://www.musee-les-mineurs.fr/de/willkommen/; http://www.musee-minesdefer-lorraine.com/. Ein langsamer Wandel zur verarbeitenden Industrie und Dienstleistung ist im Gang. Im Ersten Weltkrieg war Lothringen Schauplatz von mörderischen Materialschlachten des Stellungskriegs mit hunderttausenden von Toten und Verwundeten, z.B. in Verdun; manche Narben sind auch heute noch sichtbar.

Uckange, Hochofen-Park; © Benjamin Smith, Wikipedia Aumetz, Ökomuseum, Erz-Förderturm Petite-Rosselle bei Forbach, Grubenmuseum; © Alain meier, Wikipedia

Deutsche Besatzung

Bei Kriegsbeginn im September 1939 wurde die Bevölkerung der Grenzgebiete von den französischen Behörden evakuiert. Beim deutschen Einmarsch im Mai/Juni 1940 flohen erneut zehntausende nach  Südwestfrankreich (vgl. 'Exode'). Vielen 'Unerwünschten', besonders Frankophilen, Juden und Kommunisten, verweigerten die Deutschen nach dem Waffenstillstand die Rückkehr (vgl. 'Besatzungszonen'). Lothringen hatte es nach dem deutsch-französischen Waffenstillstand im Juni 1940 mit zwei Grenzen zu tun. Einmal die Grenze zum 'Großdeutschen Reich', nachdem die Nazis das Moselgebiet faktisch annektiert hatten (vgl. unten und Departement Moselle). Zum anderen lag Lothringen in der sog. 'reservierten Zone', einer Sperrzone, in der es u.a. Zuzugsbeschränkungen gab; beim Überwechseln ins „nur besetzte“ Frankreich und umgekehrt war ein Passierschein erforderlich.

 

Departements Meurthe-et-Moselle, Meuse und Vosges

Die drei Departements im französisch gebliebenen Teil Lothringens waren sehr unterschiedlich strukturiert: ein großer Teil war agrarisch genutzt. Auf Höfen, die z.B. infolge der Evakuierungen und des 'Exode' brach lagen, setzte die deutsche Militärverwaltung Bauern aus Deutschland oder Volksdeutsche aus Mittel- und Südosteuropa ein  - mit Hilfe der sog. „Landbewirtschaftungsgesellschaft Ostland“ (später: Reichsland), die eigentlich gegründet worden war zur Besiedlung von Gebieten nach Vertreibung oder Vernichtung der einheimischen slawischen Bevölkerung: vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Generalsiedlungsplan. Besonders in Meurthe-et-Moselle gab es aber auch Orte und Regionen mit starkem Bergbau und Industrie (z.B. Becken von Briey, Umgebung von Nancy, Pont-à-Mousson). Sie waren für die deutsche Rüstungs- und Kriegswirtschaft sehr wichtig; um die geforderten Mengenziele zu erreichen, wurden auch sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter eingesetzt (vgl. z.B. Homécourt, Valleroy).

Es gab eine nach der Volksfront von 1936 erstarkte Arbeiterschaft mit frühem Widerstand, aber auch starke Repression durch die deutschen Besatzer (vgl. z.B. Auboué). Das Gefängnis Charles III in Nancy für die politischen  Gefangenen und das Lager Écrouves für die jüdische Bevölkerung wurden immer mehr zum Vorhof der Deportationstransporte in die Konzentrationslager. In den überwiegend ländlichen Gebieten hemmte das Vertrauen eines Teils der Bevölkerung in Marschall Pétain zunächst die Entwicklung der Résistance. Von Beginn an gab es Fluchthilfe für geflohene Kriegsgefangene, gefährdete Juden, Gegner der Germanisierungspolitik (vgl. z.B. Bertrambois, Bar-le-Duc, Moussey). Ab 1942 bildeten sich Widerstandsstrukturen: Ceux de la Résistance und die 'Groupe Lorraine 42', an einigen Orten auch ORA- und Libération-Nord-Gruppen sowie FTP-Einheiten, die auch Sabotagen durchführten. Erste Maquis entstanden 1943/44, neben STO-Verweigerern vergrößerten auch geflohene sowjetische Kriegsgefangene aus den Erzminen und Stahlwerken die Zahl der Maquisards. Nach der alliierten Landung in der Normandie bekamen sie mehr Waffen und konnten ihre Aktivitäten verstärken.

 

Deutsche Verbrechen auf dem Rückzug

Wehrmacht, Gestapo und frz. Milice verstärkten die wirtschaftliche Ausbeutung und die Repression. Im Konzentrationslager von Thil (Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof) mussten hunderte KZ- Häftlinge Raketenteile herstellen. Im Herbst 1944 wurden einige Maquis in großangelegten Aktionen angegriffen (vgl. Grandrupt-de-Bains, Piquante Pierre, Viombois).  Im südlichen und westlichen Teil des Departements Meurthe-et-Moselle wurden bei „Säuberungsaktionen“ zahllose Dorfbewohner/innen deportiert oder erschossen (vgl. z.B. Leménil-Vitry, Trondes). Im Departement Meuse wurden Dorfbewohner wegen angeblicher Hilfe für die Résistance deportiert (Clermont-sur-Argonne), Widerständler ohne Verfahren erschossen (z.B. Behonne; zwei Tage vor der Befreiung begingen Wehrmachtseinheiten ein schreckliches Massaker in Dörfern des Saulx-Tals (vgl. Vallée de la Saulx).  Der größte Teil der drei Departements war im September 1944 durch US- und frz. Truppen befreit. Im südöstlichen Teil von Meurthe-et-Moselle und im östlichen Teil des Departements Vosges verzögerten eine deutsche Gegenoffensive und der Bau des „Schutzwalls West“ die Befreiung bis Ende November 1944. In diesen Zeitraum begingen Wehrmacht und Gestapo im Rahmen der „Aktion Waldfest“ zahlreiche Verbrechen (Ermordung von Widerstandskämpfern, Deportation der Zivilbevölkerung in die KZ, Verschleppung eines großen Teils der männlichen Bevölkerung zur Zwangsarbeit nach Süddeutschland, Zerstörung von Häusern, Infrastruktur und ganzen Orten) und hinterließen teilweise „verbrannte Erde“; vgl. z.B. Gérardmer, La Bresse, Rabodeau, Saint-Dié).

 

Annektiertes Moselgebiet

Das Moselgebiet wurde Mitte 1940 von Nazideutschland faktisch annektiert und so behandelt, als wäre es Teil des „Großdeutschen Reichs“. NS-Gauleiter Josef Bürckel wurde „Chef der Zivilverwaltung (CdZ)“ und Leiter des mit Saar und Pfalz zusammengelegten NSDAP-Gaus ‚Westmark‘. Die Verwaltungsspitzen wurden mit Deutschen besetzt, SiPo/SD/Gestapo als Polizeiorgane installiert, ein deutsches Sondergericht in Metz errichtet. Innerhalb von 10 Jahren sollte das Moselgebiet germanisiert und nazifiziert sein: Die französischen Namen wurden eingedeutscht, deutsch wurde Amts- und Unterrichtssprache, Hitlerjugend, Bund Deutscher Mädel und der Reichsarbeitsdienst wurden Pflicht, ab  August 1942 galt die Wehrpflicht in der Wehrmacht. 30000 junge Männer (und später auch Frauen) wurden gegen ihren Willen (‚Malgré-nous“) zwangsrekrutiert, rund 8000 starben in Krieg oder Gefangenschaft (vgl. Denkmäler in Amnéville, Forbach, Metz).

Gauleiter Bürckel betrieb einen Einwohnertausch nach teils völkischen Gesichtspunkten („ethnische Säuberung“), teils nach politischer Gesinnung. Im Herbst 1940 wurden viele Synagogen (vgl. Forbach, Hagondange, Hayange, Sarreguemines), und jüdische Friedhöfe zerstört, die verbliebenen Juden nach Südfrankreich transportiert und dort in Lagern wie Gurs interniert. Die meisten wurden später in die Vernichtungslager deportiert, wo fast alle ums Leben kamen. Ab November 1940 wurden etwa 100000 missliebige „Frankophone“ (in der NS-Sprache „Französlinge“) ins nicht besetzte Frankreich ausgewiesen. Ungefähr 10000 Menschen, die 1942 ein Bekenntnis zur „Deutschen Volksgemeinschaft“ abgelehnt hatten, wurden mit Familie als „nicht eindeutschungsfähig“ in Arbeitslager in Polen und Tschechien „umgesiedelt“, d.h. deportiert. Auf die durch die Ausweisungen freiwerdenden Bauernhöfe wies die  Gesellschaft Ostland (später: Reichsland) Bauern aus der Pfalz, dem Saarland oder Volksdeutsche aus Südosteuropa ein. Kohle- und Erzgruben sowie Stahlunternehmen wurden beschlagnahmt und an die Ruhr- und Saarkonzerne vergeben (vgl. z.B. Rombas). Mehrere hunderttausend Kriegsgefangene (meist Sowjetbürger, Jugoslawen, Polen, später Italiener) wurden in Lagern eingesperrt und in den Gruben und Industriebetrieben durch Zwangsarbeit ausgebeutet – wie schon im 1. Weltkrieg (vgl. z.B. Boulay-Moselle, Forbach, Hagondange, Moyeuvre-Grande, Rombas).

 

Widerstand und Repression im Moselgebiet

Widerstand war unter diesen Bedingungen besonders schwierig. Zunächst ging es darum, die Ablehnung der Annexion und die Zugehörigkeit zu Frankreich zu zeigen, z.B. an den (National-) Feiertagen, durch Flugblätter und Inschriften (vgl. z.B. Metz), durch Proteste gegen den Arbeitsdienst oder die Zwangsrekrutierung (vgl. z.B. Sarreguemines und Sachartikel 'Patriote Résistant à l'Occupation'). Von Beginn gab es Fluchthilfe für frz. Kriegsgefangene und später Wehrdienstverweigerer (vgl. z:B. Abreschviller, Metz).

Im Herbst entstand die Widerstandsgruppe ‚Espoir français“, sie wurde 1941 zerschlagen, die jugendlichen Mitglieder  zu langer Haft verurteilt. Ab 1942 bildeten sich Widerstandsgruppen, wie die gaullistische ‚Groupe Derhan‘ und die kommunistische, bis zu 3000 Anhänger, meist Arbeiter der Montanbetriebe, darunter viele Ausländer, umfassende ‚Groupe Mario‘ unter ihrem Leiter Jean Burger. Sie verteilten Flugblätter, halfen  - auch sowjetischen – Kriegsgefangenen und verübten Sabotagen in der deutschen Rüstungswirtschaft. 

Angesichts des zunehmenden Widerstands wurden Überwachung, Verfolgung und Repression intensiviert, die Sippenhaftung für Familien von Wehrdienstverweigerern eingeführt und zusätzliche Haftstätten, insbesondere für als gefährlich angesehene Résistancekämpfer geschaffen: z.B. die Gestapolager in Woippy und Saarbrücken-Neue Bremm sowie das SS-Sonderlager Feste Göben im Fort de Queuleu bei Metz. Sie entwickelten sich bald zum Vorhof für Deportationen, z.B. in die Lager Schirmeck, das  KZ Natzweiler-Struthof oder KZ in Deutschland.

1943/1944, besonders nach der alliierten Landung in der Normandie, entstanden Maquis, meist aus Wehrdienstverweigerern, Deserteuren und entflohenen (sowjetischen) Kriegsgefangenen. Wehrmacht und SS versuchten im Sommer 1944, dieser Entwicklung durch Terror und Repressalien gegen die Dorfbevölkerungen Herr zu werden, letztlich vergeblich (vgl. z.B. Longeville-lès-Saint-Avold, Porcelette, Vittersbourg).

Der größte Teil des Moselgebietes wurde im Herbst 1944 befreit, in den östlichsten Teilen wie um Bitche wurde noch bis in den März 1945 gekämpft. Dabei kam es auch zu großen Verlusten unter der Zivilbevölkerung.

 

Gedenkorte

Departement Meurthe-et-Moselle: Auboué, Baccarat, Badonviller, Bayon, Bertrambois, Blâmont, Boucq, Briey, Cirey-sur-Vezouze, Conflans-en-Jarnisy, Crantenoy, Écrouves, Haussonville, Homécourt, Jarny, Joeuf, La Malpierre, Laneuveville-devant-Bayon, Laxou, Leménil-Mitry, Longwy, Lunéville, Nancy, Neufmaisons, Neuves-Maisons, Pexonne, Pont-à-Mousson, Saint-Rémy-aux-Bois, Sornéville, Thil, Toul, Trondes, Valleroy, Vézelise, Vigneulles, Viombois, Xures

 

Departement Meuse: Bar-le-Duc, Behonne, Beurey-sur-Saulx, Clermont-en-Argonne, Combles-en-Barrois, Couvonges, Ligny-en-Barrois, Mognéville, Naives-Rosières, Rarécourt, Robert-Espagne, Trémont-sur-Saulx, Vallée de la Saulx, Verdun

 

Departement Moselle: Abreschviller, Amnéville, Bambiderstroff, Bitche, Boulay-Moselle, Charly-Oradour, Château-Salins, Forbach, Fort de Queuleu/Feste Göben, Hagondange, Hayange, Honskirch, Longeville-lès-Saint-Avold, Metz, Montigny-lès-Metz, Moyeuvre-GrandeOrmersviller, Porcelette, Rombas, Saarbrücken-Neue Bremm (D), Saint-Avold, Sainte-Marie-aux-Chênes, Sarrebourg, Sarreguemines, Thionville, Vittersbourg, Woippy

 

Departement VosgesAllarmont, Anould, Belval, Bussang, Charmes, Col du Hantz, Corcieux, Épinal, Étival-Clairfontaine, Gérardmer, Granges-sur-Vologne, Hurbache, La Bresse, La Petite-Raon, Le Puid, Le Saulcy, Moussey, Moyenmoutier, Piquante Pierre, Rabodeau, Raon-l'Etape, Raon-sur-Plaine, Rehaincourt, Remiremont, Saint-Dié, Saint-Jean-d'Ormont, Saint-Léonard, Senones, Ventron, Vieux-Moulin, Vittel.

 

Tourismusbüro

Comité régional du tourisme: Abbaye des Prémontrés, BP 97, F- 54704 Pont-à-Mousson
Tel. 0033 (0)3 83 80 01 80; www.cr-lorraine.fr

 

Literatur/Medien

Burger, Léon: En Moselle. Résistance et Tragédies pendant la Deuxième Guerre Mondiale, Metz 1976
Burger, Léon: Le groupe „Mario“ – une page de la Résistance Lorraine, Metz 1965
Hoeffel, Charles: Helden und Märtyrer der lothringischen Widerstandsbewegung im SS-Sonderlager Fort Queuleu Metz. Stätte grausamster Nazi-Foltermethoden, Metz 1946
Dictionnaire historique de la Résistance, Paris 2006, S. 291f.
Petit Futé. Guide des lieux de mémoire, Paris 2005, S. 173ff.; Auflage 2012/2013, S. 120 ff.
http://de.wikipedia.org/wiki/Lothringen; http://fr.wikipedia.org/wiki/Lorraine
http://fr.wikipedia.org/wiki/R%C3%A9sistance_en_Alsace_et_en_Moselle_annex%C3%A9es
http://fr.wikipedia.org/wiki/Patrimoine_juif_de_Lorraine
http://documents.irevues.inist.fr/bitstream/handle/2042/43835/CL_1989_1_11.pdf?sequence=1
http://www.resistance-deportation.org/