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HKP- und Kailis-Lager

Wilnaer Straßenschilder u.a. zum HKP (privat)HKP-Hauptbetrieb Olandu-Straße (privat)Der HKP (Heerskraftfahrpark) war ein großer Reparaturbetrieb für Militärfahrzeuge an der Olandu-Straße, der sofort nach dem deutschen Einmarsch im Juni 1941 eingerichtet worden war. Chef war von Anfang an bis zum Rückzug der Deutschen Anfang Juli 1944 Major Karl Plagge, ein aus Darmstadt stammender Ingenieur. In den Werkstätten an der Olandu-Straße arbeiteten ca. 250 Wehrmachtsangehörige und mehrere hundert jüdische und polnische Zwangsarbeiter, auch sowjetische Kriegsgefangene. Plagge hatte in seinem Befehlsbereich in außergewöhnlicher Weise dafür gesorgt, dass die Zwangsarbeiter menschlich behandelt wurden und sich geschützt fühlen konnten. Einzelne Soldaten der HKP-Mannschaft verhielten sich ebenfalls in dieser Weise (Alfons von Deschwanden).

 

Einfahrt zum HKP (privat)

In den Wochen vor der endgültigen Ghetto-Liquidierung im September 1943 setzte Plagge bei der SS-Führung in Riga durch, dass nicht nur die im HKP eingesetzten Zwangsarbeiter von der Deportation verschont wurden, sondern dass für sie und für hunderte Familienangehörige in den beiden Gebäuden an der Subačiaus-Straße ein Sonder-KZ eingerichtet werden konnte. In diesen "billigen Häusern" hatten früher ungefähr 1000 arme Juden gewohnt, die einige Tage vor der Errichtung des Ghettos ermordet worden waren. Die leerstehenden Gebäude wurden zu einem Lager für Familienangehörige sowjetischer Militärangehöriger, die vor der Einrichtung des HKP-Lagers ebenfalls ermordet oder deportiert worden waren. In dieses Lager holte Plagge in den Tagen der Ghetto-Liquidierung mit Lastwagen wahllos über 1.000 jüdische Männer Frauen und Kinder jeden Alters zusammen und verschaffte ihnen im HKP selbst und in neu eingerichteten kleinen Werkstätten in der Subačiaus-Straße Arbeit, die er als kriegswichtig ausweisen konnte (z.B. Reparatur von Uniformen, Schuhen, Uhren etc.). Das Wohnlager selbst stand zwar unter SS-Kommando, doch konnte Plagge, wenn auch nicht in allen Fällen (Kinderaktion), die Lagerbewohner als eine Art Gesamtbelegschaft des HKP weitgehend schützen, da er für die erfolgreiche Funktion des Reparaturbetriebs gegenüber der Wehrmacht, nicht aber der SS verantwortlich war. Als Anfang Juli 1944 die Rote Armee vor Vilnius stand und sich die Wehrmacht und mit ihr das HKP zurückziehen musste, warnte Plagge in einer Ansprache an die Lagerbewohner indirekt, aber unmissverständlich vor der tags darauf zu erwartenden Übernahme des Lagers durch die SS. Die Bewohner versuchten, sich in vorbereiteten Verstecken, sog. Malinen, zu verbergen. Die SS und litauische Hilfstruppen verschleppten am Tag nach dem Abzug der Wehrmacht alle zum Appell im Hof Erschienenen nach Paneriai, wo sie getötet wurden. Dann ermordeten sie alle, die sie beim Durchkämmen der beiden Häuser in Verstecken auffinden konnten, ihre Leichen wurden im Garten neben einem der Gebäude verscharrt.

 

HKP-Lager Subačiaus-Straße (Guzenberg)

Ungefähr 250 Lagerbewohnern gelang es, nach der Warnung Plagges in Verstecken unentdeckt zu bleiben, einigen gelang die Flucht. Intensives Bemühen von HKP-Überlebenden, die sich nach dem Jahr 2000 zu einem Netzwerk zusammenschlossen, führte nachträglich zur Kenntnis des Rettungsverhaltens von Karl Plagge. Er wurde daraufhin 2005 posthum von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt.

Gedenken
Zwischen den beiden Wohnblocks in der Subačiaus-Straße Nr. 47 und 49 erinnert ein Denkmal an die Entstehung des HKP-Wohnlagers sowie an die Ermordung der meisten HKP-Gefangenen. Die geglückte Rettung von ungefähr 250 der Insassen wird von der Inschrift nicht erwähnt, sie war bei der Errichtung noch nicht bekannt.

Gedenkstätte am ehemaligen HKP-Lager HKP-Gedenktafel Gedenkstein Gedenktafel für sowjetische Familien

Gebäude der ehemaligen Pelzfabrik Kailis

Die ehemalige Pelzfabrik Kailis (Ševčenkos-Straße 16), 1940 von der litauisch-sowjetischen Regierung enteignet, war von der deutschen Besatzung übernommen worden und produzierte für die Wehrmacht vor allem Winterkleidung. Unter der Leitung von Oskar Glick – seine Papier wiesen ihn als einen „Volksdeutschen“ aus Wien aus – hatte die Fabrik im Februar 1942 mehr als fünfhundert Beschäftigte, neben nicht jüdischen Facharbeitern auch polnische und jüdische Zwangsarbeiter. In einem Wohnblock bei der Fabrik, bestehend aus zwei großen eingezäunten Gebäuden, waren die jüdischen Arbeiter mit ihren Familien untergebracht. Innerhalb dieses Lagers existierte ein jüdischer Ordnungsdienst und die Häftlinge versuchten, trotz Verbots ein Mindestmaß an kulturellem Leben aufrechtzuerhalten (Gebetsraum, Schule, Musik- und Theaterabende etc.). Die Widerstandsorganisation FPO hatte unter der Kailis-Belegschaft eine geheime Zelle. Ermittlungen der Sicherheitspolizei nach einem Brand in der Fabrik im Januar 1942, hinter dem Sabotage vermutet worden war, führten zur Aufdeckung der jüdischen Herkunft von Oskar Glik. Glik und seine Ehefrau wurden im Februar 1942 erschossen.
Nach der Ghetto-Liquidierung im September 1943 stieg die Zahl der im Lager Kailis Zuflucht suchenden Juden auf bis zu 1.500 an, da abzusehen war, dass – ähnlich wie im HKP – die kriegswichtige Produktion fortgeführt wird. Am Tag der „Kinderaktion“ am 27. März 1944 wurden die etwa 200 Kinder aus dem Lager unter dem Vorwand medizinischer Untersuchung in das nahe gelegene Militärkrankenhaus gebracht, dort mit den sie begleitenden Müttern auf Lastwagen verfrachtet und mit großer Wahrscheinlichkeit in Paneriai erschossen.
Gleichzeitig mit dem HKP-Lager in der Subocz-Straße wurde das Lager Kailis am 3. Juli 1944 durch Angehörige der Sicherheitspolizei und des SD in Vilnius liquidiert und die Belegschaft in Paneriai erschossen. Das gleiche Schicksal erlitten die Zwangsarbeiter, die bis zum Abzug der Deutschen Anfang Juli 1944 in einem Lazarett und in dem Gestapogefängnis eingesetzt waren. Zwischen dem 2. und 7. Juli 1944 wurden diese Lager aufgelöst und die meisten Häftlinge in Paneriai oder im IX. Fort in Kaunas erschossen. Am 13. Juli eroberte die Rote Armee Vilnius.


Literatur / Medien

Zum HKP: Darmstädter Geschichtswerkstatt (Hg.): Karl Plagge. Ausstellung. Begleitheft, 4. Auflage, Darmstadt 2010, S. 42ff.; Dieckmann 2011, Bd. 2, S. 1280ff.; Good, Michael: Die Suche. Karl Plagge, der Wehrmachtsoffizier, der Juden rettete, Weinheim u.a. 2006; Grossman, Wassili / Ehrenburg, Ilja: Das Schwarzbuch. Der Genozid an den sowjetischen Juden, hrsg. von Arno Lustiger, Frankfurt/M. und Wien 1994, S. 526 ff.; Guzenberg, Irina: Documents of the HKP Jewish Labor Camp in the Lithuanian Central State Archives: The HKP Jewish Labor Camp 1943–1944, Vilnius 2002 (Foto S. 30); Viefhaus, Marianne: Für eine Gemeinschaft der "Einsamen unter ihren Völkern". Major Karl Plagge und der Heereskraftfahrpark 562 in Wilna, in: Wette, Wolfram (Hg.): Zivilcourage. Empörte, Helfer und Retter aus Wehrmacht, Polizei und SS, Frankfurt/M. 2003, S. 97ff., S. 103ff.; Wenzel, Mario: Heereskraftfahrpark 562, in: Benz, Wolfgang / Distel, Barbara (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 8, München 2008, S. 225–229;
http://www.holocaustatlas.lt/EN/#a_atlas/search//page//item/120/
http://www.deathcamps.org/occupation/hkp_de.html
http://www.darmstaedter-geschichtswerkstatt.de/plagge-projekt/
www.jewishgen.org/yizkor/pinkas_poland/pol8_00047.html   
https://en.wikipedia.org/wiki/HKP_562_forced_labor_camp

 

Zur Pelzfabrik Kailis: Arad, Yitzhak: Ghetto in Flames, New York 1982, S. 441ff; Dieckmann 2011, Bd. 2, S. 1285ff.; Tauber, Joachim: Arbeit als Hoffnung. Jüdische Ghettos in Litauen 1941–1944, Berlin 2015, S. 184ff., S. 201; Wenzel, Mario: Pelzfabrik Kailis, in: Benz, Wolfgang / Distel, Barbara (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 8. München 2008, S. 229–232;
https://de.wikipedia.org/wiki/Pelzfabrik_Kailis (Foto Kailis)