Bezirk Kaunas 

Der Ort
Kaunas vor dem Zweiten Weltkrieg (USHMM)Die Stadtgemeinde Kaunas ist Hauptstadt des Regierungsbezirks Kaunas und mit ca. 415.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Litauens. Sie liegt am Zusammenfluss von Nemunas/Memel und Neris und ist aufgrund ihrer verkehrsgünstigen Lage eines der wichtigsten Wirtschafts- und Kulturzentren Litauens. Unter der zaristischen Herrschaft wurde Kaunas im 19. Jahrhundert zu einer Festung mit einem Gürtel von Forts ausgebaut. Als Litauen nach dem Ersten Weltkrieg unabhängig wurde, intervenierte Polen und annektierte die überwiegend polnisch-sprachige und -bewohnte Region Südlitauen mit Vilnius, das als litauische Hauptstadt vorgesehen war. Von 1920 bis zur Errichtung der Sowjetrepublik Litauen 1940 war Kaunas deshalb die provisorische Hauptstadt Litauens (Litauische Geschichte). Man erreicht Kaunas von Vilnius bzw. von Klaipėda aus auf der A1.

Die schon im 15. Jahrhundert gegründete jüdische Gemeinde von Kaunas war gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf ca. 70.000 Mitglieder angewachsen und bildete mit 36% der Gesamtbevölkerung die größte Minderheitsgruppe vor Russen, Polen und Litauern. Kaunas wurde zu einem der wichtigsten überregionalen Zentren jüdischen Lebens in Litauen. Nach der Annexion des Memel-Gebiets (Klaipėda-Gebiet) und nach dem Angriff Deutschlands auf Polen 1939 flohen viele Juden von dort u.a. nach Kaunas. Zu diesem Zeitpunkt lebten in Kaunas ca. 37.000 Juden. Nach der Errichtung Sowjet-Litauens 1940/41 wurden die meisten Privatunternehmen – litauische, polnische und jüdische – verstaatlicht, das religiöse und kulturelle Leben kam fast zum Erliegen. Mit vielen Litauern und Polen wurde auch eine große Zahl von Juden von den sowjetischen Behörden deportiert (Deportationen 1940/41). 

Die Ereignisse

Litauer begrüßen die Wehrmacht (USHMM)

Innenstadt
Abgestimmt mit den deutschen Einmarschplänen übernahmen am 22./23. Juni 1941 – von Berlin aus von der Litauischen Aktivistenfront (LAF) vorbereitet – antisowjetische Aufständische zusammen mit tausenden aus der Roten Armee desertierten litauischen Soldaten die Kontrolle über Kaunas und proklamierten eine Provisorische Nationalregierung (PLN); Regierungschef wurde der Christdemokrat Juozas Ambrazevičius. Anweisungen und erste Gesetze der Provisorischen Regierung zielten auf radikale Beseitigung des bisherigen Systems der Sowjetrepublik Litauen, die Verfolgung der Kommunisten und auf den Ausschluss der litauischen Juden aus der Gesellschaft. Am 28. Juni stimmte die Provisorische Regierung der Errichtung eines Konzentrationslagers für Juden im VII. Fort zu. 

  

Mordopfer des Garagen-Pogroms und Zuschauer (Yad Vashem)Ein Totschläger der Mordaktion (Yad Vashem)

Zeitgleich mit Beginn des deutschen Angriffs am 22. Juni 1941 hatten in Kaunas gewaltsame antisemitische Ausschreitungen eingesetzt, getragen von litauischen Zivilisten, häufig versehen mit weißen Armbinden (Litauischer Aufstand). Am 24. Juni, dem Tag des deutschen Einmarschs in Kaunas, begann eine wahre Menschenjagd auf Juden und Kommunisten. Von der Einsatzgruppe A unter Leitung des SS-Brigadeführers Walter Stahlecker gefördert, verübten Mitglieder und Sympathisanten der LAF Pogrome auf offener Straße. „Es musste nach außen gezeigt werden, dass die einheimische Bevölkerung selbst als natürliche Reaktion gegen jahrzehntelange Unterdrückung durch die Juden und gegen den Terror durch die Kommunisten in der vorangegangenen Zeit die ersten Maßnahmen von sich aus getroffen hat“ (Stahlecker-Bericht vom 15. Oktober 1941). Eine der brutalsten Aktionen ereignete sich am 27. Juni bei der Lietūkis Garage, wo ungefähr 60 Juden mit Stöcken und Eisenstangen erbarmungslos erschlagen wurden. Allein in den beiden Monaten Juni und Juli 1941 wurden in Kaunas weit über 6.000 Juden ermordet.  

Umzug von knapp 30.000 Juden ins Ghetto von Kaunas, August 1941 (USHMM)

In den Wochen vor Einrichtung des Ghettos am 15. August 1941 war die Jagd auf Juden, die willkürlich zur Zwangsarbeit gezwungen wurden, weitergegangen. Viele Litauer machten bei Plünderungen von Wohnungen der in das Ghetto verfrachteten Juden enorme Beute, das Eigentum bereits ermordeter Juden wurde von der Stadtverwaltung konfisziert, die noch lebenden Juden durften über ihr Vermögen nicht mehr verfügen. Kurz vor Abriegelung des Ghettos erreichte mit der „Aktion des schwarzen Donnerstag“ (7. August 1941) die Verfolgung einen neuen Höhepunkt, als über tausend Juden aus ihren Wohnungen heraus verhaftet und ins Gefängnis gesteckt wurden. Wer eine Arbeitsbescheinigung besaß, kam wieder frei, alle anderen wurden am Nachmittag im IV. oder VII. Fort erschossen. Helene Holzman und die Augenärztin Elena Kutorgienė geben in ihren Aufzeichnungen einen fassungslosen Bericht über diese grauenvollen Tage. 

Am 25. Juli 1941 nahm das Reichskommissariat Ostland (RKO) unter dessen Chef Hinrich Lohse die Tätigkeit als so genannte Zivilverwaltung auf. Lohse erteilte bereits Ende Juli erste Weisungen zur zukünftigen Besatzungspolitik, einschließlich der „Judenfrage“. Die Richtlinien sahen u.a. die Erfassung, Kennzeichnung, Enteignung und soziale Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung vor, das „flache Land“ sollte von Juden „gesäubert“ werden. Nach Kompetenzstreitigkeiten verständigten sich SS-Sicherheitspolizei (SiPo) und Reichskommissariat darauf, die Juden in Ghettos zu sperren, die Arbeitsfähigen und ihre Familien vorübergehend zu schonen, die „Unproduktiven“ – vor allem Frauen und Kinder – zu töten. In Kaunas war für die Ausführung dieser Politik der Stadtkommissar, SA-Oberführer Hans Cramer, verantwortlich. 

Zentrale des ehemaligen EK 3, heute Sitz der Kriminalpolizei

Kaunas wurde Sitz der Kommandozentrale des Einsatzkommandos 3, das ab 3. Juli 1941 unter dem SS-Standartenführer Karl Jäger in Litauen die Befehlsgewalt über die Sicherheitspolizei (SiPo) ausübte. Damit begann in Kaunas und in ganz Litauen das systematische Morden. Zwischen Juni und Dezember 1941 wurden in der Stadt ca. 22.000 Juden ermordet, etwa 15.000 „Arbeitsjuden“ blieben übrig. Jäger hätte auch sie ermorden lassen, wenn ihn nicht das Reichskommissariat Ostland und die Wehrmacht daran gehindert hätten: „Diese Arbeitsjuden incl. ihrer Familien wollte ich ebenfalls umlegen“, so Jäger, „was mir jedoch scharfe Kampfansagen der Zivilverwaltung und der Wehrmacht eintrug und das Verbot auslöste: Diese Juden und ihre Familien dürfen nicht erschossen werden“ (Jäger-Bericht, zit. in Wette 2011).

 


Gedenken

Gedenkstein am Ort der ehemaligen Lietūkis Garage

Ehemalige Lietūkis Garage
Ein Gedenkstein befindet sich im Hof des heutigen Darius-und-Girenas-Gymnasiums. Zugang über die Miško-Str. 3 (54.89329972 23.92312972 / 54°53.5980'N 23°55.3878). Er trägt in Litauisch und Jiddisch die Inschrift: „An diesem Platz in der früheren Lietūkis Garage wurden Dutzende Juden aus Kaunas am 27. Juni 1941 brutal ermordet.“


Ehemalige Kommandantur des Einsatzkommandos 3
Die an dem Gebäude der heutigen Kriminalpolizei angebrachte Tafel erinnert zwar daran, dass dies der Sitz des sowjetischen Geheimdienstes 1940–1941 und 1944–1990 war, nicht jedoch an den ehemaligen Sitz des Einsatzkommandos 3 von 1941–1944.
Ecke Laisvės alėja 14 / Vytauto prospektas 91
54.89695306 23.92497306 / 54°53.8172'N 23°55.4984'E 


Denkmal für die ermordeten Kinder (FCIT)

Denkmal für die im IX. Fort ermordeten Kinder
Das Denkmal befindet sich im Innenhof der einzigen noch bestehenden Synagoge in Kaunas in der E. Ožeškienės-Straße 13.

 

Gebäude des ehemaligen japanischen Konsulats (vilnews)

Sugihara-Haus
Chiune Sugihara, Vizekonsul Japans in Litauen von 1939–1940, hatte seinen Sitz in einem Haus in der Vaižganto-Staße. Von hier aus stellte er, trotz Verbots des japanischen Außenministeriums, bis zur endgültigen Schließung der Japanischen Botschaft im August 1940 Transitvisa über die Sowjetunion nach Japan aus. Von dort gelangten viele Flüchtlinge ins japanisch besetzte Shanghai oder mit Hilfe des niederländischen Botschafters, Jan Zwartendijk, in die niederländischen Kolonien Curaçao und Guayana. Auf diese Weise wurden mehr als 6.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder noch vor dem deutschen Einmarsch 1941 vor dem Holocaust in Litauen gerettet. Das Haus beherbergt heute ein kleines Museum und zwei Forschungszentren der Vytautas-Magnus-Universität Kaunas: das Zentrum für Japanologie und das Zentrum zur Erforschung von Rettungsaktionen für Genozid-Opfer.

Adresse: Vaižganto g. 30
44229 Kaunas
Telefon: +370 (8)37 423 277
E-Mail: [email protected] / http://www.sugiharahouse.com/en
http://vilnews.com/2012-12-18216 (Foto Konsulat)


Gedenkort alter jüdischer Friedhof

Alter jüdischer Friedhof Vilijampolė
Man geht oder fährt von der Raudondvario plentas (Straße 141) in die kleine Dubysos-Straße bis zum Ende und biegt dann nach rechts auf die Kalnų gatvė, die wiederum nach ca. 700 Metern auf der linken Seite zum alten jüdischen Friedhof führt. Im hinteren linken Teil des alten Friedhofs erinnert ein Gedenkstein an die Opfer der Pogrome vom 25./26. Juni 1941. Im rechten bewaldeten Teil finden sich heute noch alte Grabsteine. Kommt man von der Tilžės-Straße (diese zweigt von der Straße 141 ab), weist ein braunes Schild an der Ecke zur Lopšelio gatvė zum alten jüdischen Friedhof hin (0,5km).
54.91146806 23.87151806 / 54°54.6881'N 23°52.2911'E

 

Literatur / Medien
Bartusevičius u.a. (Hg.): Holocaust in Litauen, 2003; Dieckmann 2011, Bd. 1, S. 313-337, 417ff; Bd. 2, S. 936; Faitelson, Alex: Im jüdischen Widerstand. Mit einem Geleitwort von Arno Lustiger, Zürich 1998; Holocaust Atlas 2011, S. 48; [Holzman, Helene] "Dies Kind soll leben". Die Aufzeichnungen der Helene Holzman 1941–1944, hrsg. von Reinhard Kaiser u. Margarete Holzman, Frankfurt/M. 2000; Klee, Ernst / Dreßen, Willi / Rieß, Volker (Hg.): "Schöne Zeiten" – Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer, Frankfurt/M. 1988, S. 31-42; Kutorgienė, Elena: Aus dem Tagebuch (Juni bis Dezember 1941), in: Grossmann / Ehrenburg: Das Schwarzbuch, 1994, S. 621-673; Stang, Knut: Das Fußvolk und seine Eliten. Der Beginn der Kollaboration in Litauen, in: Benz / Neiss (Hg.): Judenmord in Litauen, Berlin 1999, S. 69-89; Wette, Wolfram: Karl Jäger. Mörder der litauischen Juden, Frankfurt/M. 2011, S. 52ff, 67-93 (Jäger-Bericht im Anhang o.S., Zitat Blatt 7).

http://www.ushmm.org/wlc/en/article.php?ModuleId=10005174
http://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/vjw/Kovno.html
http://www.holocaustresearchproject.org/ghettos/kovno.html
http://www.jewishgen.org/yizkor/pinkas_lita/lit_00542.html 
http://kehilalinks.jewishgen.org/kovno/kovno.html 
https://www.alles-ueber-litauen.de/litauen-geschichte/lietukis-massaker-1941.html
https://www.doew.at/pogrome-in-kowno-kaunas-kauen-juni-1941
http://www.holocaustatlas/Lietūkis Garage/item/46/ 
http://www.arbeit-und-leben-hochtaunus.de/Litauen.Juden_in_Kaunas.pdf 

Fotos
USHMM / Leicia Black, Photograph 21895 ("View of the city of Kaunas taken from across the river, before 1939.")
USHMM, Hidden History of the Kovno Ghetto, Invasion ("Lithuanians welcoming Germans, June 26, 1941.")
USHMM / George Kadish, Photograph 10941 ("Jews move into the Kovno ghetto, August 1941.")
Yad Vashem, Digital Collections, Photo Archive, Item ID 6061, Archival Signature 4360/49 (Mordopfer und Zuschauer)
Yad Vashem, Digital Collections, Photo Archive, Item ID 30725, Archival Signature 4613/1032 (Totschläger)
Florida Center for Instructional Technology / FCIT ("Behind the synagague is a memorial to the children murdered at the Ninth Fort.") http://fcit.usf.edu/holocaust/photos/kaunas/kaunas.htm