Region Emilia-Romagna / Provinz Modena
Der Ort
Das frühere Dorf Fossoli ist heute ein Stadtteil von Carpi. Nach Verlassen der Autobahn bei der Ausfahrt Carpi (nördlich von Modena) erreicht man Fossoli über Carpi, der Weg ist mit der Ausschilderung „Ex Campo Concentramento di Fossoli“ markiert.
Die Ereignisse
In Fossoli war ab 1942 ein Lager für alliierte Kriegsgefangene aus dem nordafrikanischen Kampfgebiet und für im italienisch besetzten Teil Frankreichs verhaftete französische und italienische Widerstandskämpfer und Geiseln. Es wurde nach dem Kriegsaustritt Italiens im September 1943 von den Deutschen übernommen und erweitert. Neben dem „alten Lager“ entstand das „neue Lager“.
Lagerorganisation und -leitung
Nach der Übernahme der Lagerleitung durch die SS im September 1943 wurden im „alten Lager“ politische Gefangene interniert und italienische Soldaten, die sich weigerten, in die Armee des faschistischen Salò-Regimes einzutreten. Das „neue Lager“ diente als Durchgangslager für die ab November 1943 nach und nach eingelieferten italienischen Juden, die im Laufe des Jahres 1944 in die Vernichtungslager deportiert wurden. Dieses Durchgangslager („Dulag“) unterstand der zentralen SS-Leitung in Verona, örtlicher Kommandant war SS-Untersturmführer Karl Titho, der in Abstimmung mit der Zentrale in Verona die Deportationslisten zusammenstellte, wenn die Kapazitätsgrenze des Lagers erreicht war. Die Deportationszüge mit italienischen Juden hatten meist das Ziel Auschwitz-Birkenau, ein Transport mit nicht-italienischen Juden ging nach Bergen-Belsen. Die italienischen politischen Gefangenen wurden vor allem in das Konzentrationslager Mauthausen, teilweise auch nach Buchenwald und Ravensbrück deportiert. Zwischen November 1943 und Ende 1944 wurden ungefähr 5.000 Gefangene, unter ihnen über 3.000 Juden (einer von ihnen war Primo Levi) Opfer der Deportationen. Als die Front näher rückte, schloss die SS im August 1944 das eigentliche Durchgangslager („Dulag“), seine Funktion wurde vom Lager Bozen-Gries (Trentino-Südtirol) übernommen. Fossoli diente noch bis November 1944 als Zwischenstation für Frauen und Männer, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt wurden. Nach der Befreiung wurde Fossoli für einige Jahre ein Lager für ausländische Flüchtlinge.
Primo Levi, der Mitte Dezember 1943 als Mitglied einer Partisanengruppe in den Bergen bei Turin von der faschistischen Miliz festgenommen worden war, berichtet über seine Ankunft im Lager Fossoli:
„Bei meiner Ankunft, also Ende Januar 1944, befanden sich etwa hundertfünfzig italienische Juden im Lager, doch innerhalb weniger Wochen stieg die Zahl auf über sechshundert an. Meistens waren es ganze Familien ... Einige hatten sich freiwillig gestellt, weil sie das unstete Leben zermürbt hatte, weil sie mittellos waren, weil sie sich von einem festgenommenen Angehörigen nicht trennen wollten oder auch – welche Absurdität – weil sie ,mit den Gesetzen ins Reine kommen' wollten ... Das Eintreffen der kleinen deutschen Einheit hätte selbst die Optimisten stutzig machen sollen ... Nur eine Minderheit von Naiven und Phantasten hoffte immer noch beharrlich. Wir hatten uns des langen und breiten mit polnischen und kroatischen Flüchtlingen unterhalten und wussten, was so eine Abfahrt bedeutete.“ (Levi: Ist das ein Mensch? S. 30 f.)
Gedenken
Die Erinnerung an das Schicksal der Häftlinge des Lagers Fossoli und an die Funktion des Lagers im deutschen und italienisch-faschistischen Unterdrückungssystem wird vor allem von der Fondazione ex Campo Fossoli in Carpi wahrgenommen und findet besonderen Ausdruck im Museo Monumento al Deportato (Carpi). Das Gelände des Lagers mit den erhalten gebliebenen Resten der Lagerbaracken kann an Sonn- und Feiertagen besucht werden. Führungen zu anderen Zeiten, auch für Gruppen, können mit der Stiftung Fossoli vereinbart werden (E-Mail: [email protected] / Tel. 059/688272 / Fax 059/688483).
Eine der Baracken wurde restauriert und beherbergt heute eine Ausstellungshalle mit moderner Ausstattung.
Das Massaker vom 12. Juli 1944
Als sogenannte „Sühnemaßnahme“ für die Tötung mehrerer deutscher Matrosen bei einem Sprengstoffanschlag im Hafen von Genua erschoss die SS auf einem Schießplatz zwischen Fossoli und Carpi, dem Poligono di Cibeno, am 12. Juli 1944 67 politische Häftlinge - Männer zwischen 16 und 64 Jahren - des Lagers Fossoli.
Gedenken
Am Ort der Hinrichtungen befindet sich heute eine kleine Gedenkstätte. Direkt an der Straße (Tangenziale) zwischen Fossoli und Carpi auf militärischem Sperrgebiet gelegen, ist sie nur zu besonderen Anlässen zugänglich.
Literatur / Medien:
Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. 4 Bände. Deutsche Ausgabe, Hg. Eberhard Jäckel u.a., München, Zürich 1995, Stichwort „Italien"; Gibertoni / Melodi in: Matta, Tristano (A Cura di): Un Percorso della Memoria. Guida a luoghi della violenza nazista e fascista in Italia. Milano 1996, S. 99 ff.; Informationsunterlagen der Fondazione ex Campo Fossoli: www.fondazionefossoli.org; Times of Choice, Stories of 4 Places. Project by Assemblea Legislativa della Regione Emilia-Romagna and Anne-Frank-Haus, Amsterdam (www.proformamemoria.it/guidamostra_tempi_di_scelta.pdf); Levi, Primo: Ist das ein Mensch? Frankfurt am Main, 1988; Gentile, Carlo: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943–1945, Paderborn 2012, S. 394; www.palazzodeipio.it/imusei/Sezione.jsp?idSezione=33; www.deportati.it/lager/fossoli/ifucilati_cibeno