Region Abruzzen / Provinz Aquila
Der Ort
Die kleine Ortschaft Filetto di Camarda liegt auf ca. 1.050 Metern Höhe und gehört zur Gemeinde L'Aquila.
Zu erreichen ist der Ort von dort aus über die SS17 in Richtung Popoli/Pescara bis Bazzano, weiter auf der SS17bis, von der in Paganica - dort auf dem Friedhof sind die Opfer des Massakers von Onna begraben - in Richtung Pescomaggiore/Filetto abgebogen wird (20 km).
Das Ereignis
Am 7. Juni 1944 kam es bei Filetto zu einem Zusammenstoß zwischen Partisanen und einem Trupp der Nachrichtenabteilung der 114. Jäger-Division, bei dem (neben drei Partisanen) auch ein deutscher Soldat getötet, ein weiterer verletzt wurde („Atlante delle Stragi Naziste e Fasciste in Italia"). Diesen Vorfall meldete der Kommandeur der Nachrichtenabteilung, Hauptmann Matthias Defregger, später Weihbischof der Erzdiözese München, dem Divisionskommandeur, Generalmajor Dr. Boelsen, nach L'Aquila. Der gab Defregger daraufhin den Befahl, den Ort anzuzünden und alle männlichen Einwohner zu erschießen. Ob Defregger aus Befehlsnotstand handelte, wie er später aussagte, und ob er den Befehl vor Weitergabe an das Exekutionskommando noch abwandelte/milderte, kann nicht mehr festgestellt werden. Die Anzahl der Männer, die dieser „Vergeltungsmaßnahme" zum Opfer fielen, steht hingegen fest: 17 Männer wurden am 7. Juni 1944 in Filetto umgebracht.
Nach 1945
Im Fall Defregger - der Hauptverantwortliche Hans Boelsen war bereits 1960 gestorben - gab es in Deutschland zwei Ermittlungsverfahren: Eines stellte die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main 1969, ein zweites die Staatsanwaltschaft München 1970 ein.
Die Süddeutsche Zeitung schrieb zu den Verfahren in einem Artikel vom 17. Mai 2010:
„Die Frankfurter Staatsanwaltschaft schien nie sonderlich erpicht darauf, das Verfahren gegen Defregger voranzutreiben. Nach einer ersten Verfahrenseinstellung im Mai 1969 und der Wiederaufnahme nach dem Spiegel-Artikel stellte sie die Ermittlungen im August 1969 zum zweiten Mal ein. Defregger habe "nur einen Befehl weitergegeben", so die Begründung von Oberstaatsanwalt Dietrich Rahn. "Dabei handelt es sich um einen Befehl, der nicht auf niedrigen Beweggründen beruhte. Also konnte die Tötungshandlung, soweit dieser Befehl in Frage steht, überhaupt nur einen Totschlag darstellen."
Totschlag aber war zum damaligen Zeitpunkt bereits verjährt. Rahn ergänzte noch, dass "Geiselerschießungen (...) auch in anderen Staaten praktiziert und häufig als rechtmäßiges letztes Mittel anerkannt wurden, um Ruhe und Ordnung herzustellen". Erst später wurde bekannt, dass Oberstaatsanwalt Rahn im Krieg als Feldkriegsgerichtsrat gedient hatte.
Nach einer Beschwerde hob die hessische Generalstaatsanwaltschaft die Einstellung wieder auf und gab das Verfahren an die Münchner Staatsanwaltschaft ab. Dort kam es im September 1970 zur endgültigen Einstellung des Verfahrens. Die Hinrichtung sei eine vom damaligen Völkerrecht gedeckte "Repressalie" gewesen, hieß es in dem 60-seitigen Beschluss. Defregger habe den Befehl befolgen müssen, da bei Nichtbefolgung eine "unmittelbare Lebensgefahr" bestanden hätte (Befehlsnotstand). Den "verbrecherischen Charakter" des Befehls habe er als "rechtsunkundiger Offizier" nicht erkennen können."
Kein Mitglied der 114. Jäger-Division musste sich nach dem Krieg für die verübten Kriegsverbrechen verantworten. Auch ein Ermittlungsverfahren wegen des am 22. Juni 1944 während des weiteren Rückzugs nach Norden verübten Massakers in Gubbio (Marken), dem 40 Menschen im Rahmen einer „Repressalie" zum Opfer fielen, wurde eingestellt.
Gedenken
Eine erste Gedenktafel für die Opfer vom 7. Juni 1944 wurde in Filetto di Camarda direkt nach Kriegsende aufgestellt. Sie wurde im Jahr 1987 durch eine Gedenkstätte am Ortseingang ersetzt.
Schräg gegenüber befindet sich eine Informationstafel, auf der auch ausführlich die Causa Defregger behandelt wird.
Literatur / Medien:
Gentile, Carlo: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943–1945, Paderborn 2012; Schreiber, Gerhard: Deutsche Kriegsverbrechen. Täter, Opfer, Strafverfolgung. München 1996; Auszug aus der deutsch-italienischen Datenbank „Atlante delle Stragi Naziste e Fasciste in Italia" für das Massaker in Filetto; www.sueddeutsche.de/muenchen/zum-kriegsverbrecher-prozess-unzulaenglichkeit-keine-schuld-1.691833