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Plungė

Bezirk Telšiai


Eingang zur Gedenkstätte Kaušėnai Der Ort
Plungė ist eine Kleinstadt mit geschätzt 17.318 Einwohnern (2018). Sie liegt etwa 30km westlich von Telšiai und ist von dort aus auf der A11 Richtung Klaipeda in einer halben Stunde erreichbar. Die Stadt hatte sich seit dem 18. Jahrhundert zu einem regen Handelsort mit einer großen jüdischen Gemeinde entwickelt, der Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 2.500 Mitglieder angehörten. Danach reduzierte sich ihre Zahl vor allem aufgrund antijüdische Pogrome 1935 und 1939 (Litauische Geschichte). 1941 lebten in Plungė noch etwa 1.800 Juden. Heute umfasst die Stadt 10 Ortsteile mit einer Gesamteinwohnerzahl von ca. 43.000 Einwohnern. 1991 wurde der Žemaitija Nationalpark auf dem Gebiet von Plungė gegründet. Er steht unter Naturschutz und ist mit seinen vielen Seen ein attraktives Naherholungsgebiet.

 

 

 

Gedenkstein Friedhof (kvr/J.P.)Denkmal auf dem Friedhof (kvr/J.P.)Die Ereignisse
Die jüdische Gemeinde Plungės wurde Mitte Juli 1941 als eine der ersten in Litauen faktisch vollständig vernichtet. Nur Wenigen gelang mit dem Rückzug der Roten Armee damals die Flucht in die Sowjetunion. Nach den bis heute nur spärlich verfügbaren Angaben von Zeitzeugen und nach Recherchen von Historikern waren für diesen Massenmord Litauer "unter Führung weniger Deutscher" (Dieckmann) verantwortlich. Nur wenige, zum Teil widersprüchliche Einzelheiten sind über die Ereignisse bekannt. Fest steht jedoch, dass bis auf einzelne Überlebende alle Juden Plungės und der umliegenden Gemeinden ermordet worden sind. Zeit- und Augenzeugen vermitteln ein Bild unbeschreibliche Brutalität der damaligen Ereignisse.

Juni / Erste Julihälfte 1941
Unmittelbar nach der Einnahme der Stadt am 25. Juni 1941 durch die deutsche Wehrmacht hatten litauische Aufständische, unter ihnen städtische Honoratioren und der neue Bürgermeister, Edvard Misevevičius, die Verwaltung der Stadt übernommen und sofort mit der Verfolgung von Kommunisten und Juden begonnen; diese "vorübergehende litauische Machtübernahmer" fand in den Wochen zwischen dem Rückzug der Roten Armee und der Installation der deutschen Zivilverwaltung Anfang August 1941 vielerorts statt.  Zunächst wurden einige kommunistische und jüdische Männer im Keller der katholischen Stadtkirche eingesperrt und getötet, junge jüdische Männer wurden zur Holzarbeit außerhalb der Stadt gezwungen, jüdisches Eigentum wurde aus Wohnungen, Geschäften und Werkstätten geraubt und an Litauer verteilt. Die jüdische Bevölkerung der Stadt wurde schließlich in der Synagoge, im Schulhof und in den umliegenden Häusern ghettoisiert. In dem mit Stacheldraht umzäunten Ghetto herrschten unbeschreibliche Zustände: Demütigungen, Gewalttaten und Morde waren an der Tagesordnung. Täter waren litauische Bewacher. Die rasche Verelendung im Ghetto führte vor allem bei Alten, Kranken und Kindern vielfach zum Tod. Die Leichen durften aus den Gebäuden jedoch nicht entfernt werden.

Mitte Juli 1941
Mitte Juli 1941 brach Feuer in der Stadt aus, das den Juden in die Schuhe geschoben wurde (andere Quellen besagen, einige aus der Synagoge Entkommene hätten an mehreren Stellen der Stadt Feuer gelegt).. Unmittelbar darauf – so die übereinstimmenden Berichte – begannen die Massaker. Sie wurden vom örtlichen Chef der litauischen Kommandatur, Jonas Noreika, angeordnet, der wenig später nach Einrichtung des deutschen Gebietskommissariats Šiauliai Leiter der litauischen Verwaltung unter Gebietskommissar Hans Gewecke wurde.

Am 13. Juli wurden ungefähr 50 zur Zwangsarbeit eingesetzte Männer im Wald nahe der Ortschaft Milašaičiai südlich von Plungė erschossen. Am 15. Juli wurden alle Gefangenen des Ghettos auf Lastwagen in den Wald nahe der Ortschaft Kaušėnai ca. 4km nordwestlich von Plungė gefahren, zum Teil wurden sie zu Fuß dorthin getrieben. Dort mussten sie sich entkleiden und wurden dann in Gruppen von 15 bis 20 Pertsonen zu vorbereiteten Gruben getrieben und von „Weißarmbindern“ erschossen. Die zwei Tage andauernden Exekutionen löschten die jüdische Gemeinde von Plungė aus. Mehrere hundert Juden aus den umliegenden Orten fielen den Mordtaten ebenfalls zum Opfer. Insgesamt betrug die Zahl der Toten über 2.200 Juden, darunter ca. 1.800 Männer, Frauen und Kinder aus Plungė.

Gedenkmauer mit Namen Eines der Massengräber Gedenkstein mit Inschrift


Retterinnen und Retter

Berichten der wenigen Überlebenden ist nicht nur die Brutalität der Mörder und des Mordgeschehen zu entnehmen, sie enthalten auch Hinweise auf einzelne, selbstlose Retterinnen und Retter, die später von der Internationalen Gedenkstätte Yad Vashem in Israel als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt wurden. An die Namen litauischer Retterinnen und Retter erinnert eine ganze Reihe kleiner Tafeln, die am Fuß des Waldhügels Kaušėnai errichtet sind.


Gedenkort Friedhof Plungė 
Das Denkmal für 40 in der Nähe des Friedhofs Mitte Juli 1941 ermordeten Juden befindet sich auf der Westseite des Friedhofs. Vom Stadtzentrum aus erreicht man den Gedenkort über die Telšių Straße (Adresse: Telsiu g. 68).
55.908309 21.862441


Gedenkstätte Milašaičiai (Atlas)Gedenkstein mit Inschrift (Atlas)Gedenkort Milašaičiai
Die Gedenkstätte für die am 13. Juli 1941 nahe bei Milašaičiai ermordeten jüdischen Männer erreicht man auf der Straße Nr. 164 von Plungė nach Milašaičiai. Nach dem Ortseingang biegt man links in die zweite Straße (A. Plechavičiaus Straße) ein, danach in die erste rechts. Nach ca. 2km weist ein schwarzer Markstein links auf einen Fußweg in den Wald, dem man bis zur Gedenkstätte folgt. Der Gedenkstein trägt folgende Inschrift in Jiddisch und Litauisch: „Hier wurde das Blut von 80 jüdischen Männern vergossen. Am 15. Juli 1941 wurden sie brutal von Nazis und ihren lokalen Henkershelfern ermordet. Möge die Erinnerung an die unschuldigen Opfer heilig bleiben.“
55.863133 21.881233


Gedenkort Kaušėnai
Vom Stadtzentrum Plungė aus biegt man rechts in die Vytauto- / später Birutes Straße (Nr. 3201) ein und folgt dieser bis zum Ortseingang von Kaušėnai (Hinweisschild: “Žydynių vieta kapas” 0,1km). Nach 100m erreicht man einen Parkplatz, von dem aus man über eine berganführende Treppe die Gedenkstätte mit eindrucksvollen Holzskulpturen erreicht. 2011 wurde aus 1.800 Ziegelsteinen der zerstörten Synagoge von Plungė eine Gedenkwand errichtet, auf der alle Namen der ermordeten Juden der Stadt aufgeführt sind. Eine Gedenktafel trägt die Inschrift (in Jiddisch, Litauisch und Englisch): „An diesem Ort haben am 15./16. Juli 1941 die Nazis und ihre lokalen Henkershelfer ungefähr 1.800 Juden aus Plungė ermordet: Kinder, Frauen und Männer.“

Der letzte Jude von Plungė Die Holzskulpturen am Gedenkort wurden von Jakovas Bunka (1923–2014) und anderen Künstlern gestaltet. Bunka war im Juni 1941 mit seiner Familie in die Sowjetunion geflüchtet und kämpfte danach in der Roten Armee. Bei der Rückkehr in seine Heimatstadt waren alle Spuren des früheren jüdischen Lebens in Plungė ausgelöscht. Als „letzter Jude  aus Plungė“ machte er es sich zur Aufgabe, die Erinnerung an die Ermordeten aufrecht zu erhalten. Er setzte sich für die Wiederherstellung zerstörter jüdischer Gräber und für die Errichtung eines Denkmals auf dem städtischen Friedhof ein. Er schrieb eine Geschichte der jüdischen Gemeinde von Plungė und vermittelte sie in Schulen und Ausstellungen. Selbst Holzbildhauer, schuf er mit anderen Künstlern die bewegenden Kunstwerke der Gedenkstätte.
55.92113972 21.78334806 / 5°55.2684'N 21°47.0009'E

Literatur / Medien:
Dieckmann 2011, Bd. 2, S. 854 (FN 248), S. 920; Holocaust Atlas 2011, S. 220f.

http://www.holocaustatlas.lt/EN/Plungė Kaušėnai //item/186/ 
http://www.holocaustatlas.lt/EN/Milašaičiai//item/231/
http://www.holocaustatlas.lt/EN/Plungė Cemetery//item/233/ 
https://www.yahadmap.org/#village/plung-klaip-da-lithuania.971 
http://www.yadvashem.org/untoldstories/Kaušėnai 
http://www.yadvashem.org/untoldstories/Milašaičiai 
https://www.jewishgen.org/yizkor/plunge/plunge.html (Jacob Yosef Bunka: Plungė – A Memoir)
https://www.jewishgen.org/Yizkor/Pinkas_Lita/lit_00484.html  (Josef Rosin: Plungė)
http://www.spiegel.de/13509989.html (L. Olschwang: "Die Mörder werden noch gebraucht" v. 23.4.1984)
http://www.jpost.com/Jewish-World/ (J. Sharon: "Lithuanian Holocaust shrine dedicated despite vandalism" v. 18.4.2011)
 
Fotos
Gedenkstätte Milašaičiai: Lithuanian Holocaust Atlas, "Mass Murder of the Jews near Milašaičiai" (Fotos Sebastian Pammer)
Gedenkstätte Plungė Cemetary: Kultūros Vertybių Registras, Unique object code 11082 (Fotos Jolanta Paunksnienė)