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Alytus Stadt

Bezirk Alytus

Die Stadt
Eingang zur Gedenkanlage Alytus, Hauptstadt des Bezirks Alytus, ist mit etwas etwa 54.400 Einwohnern (2016) die größte Stadt und ein wirtschaftliches Zentrum im südlichen Litauen. Sie liegt ca. 60km südwestlich von Vilnius an einer 16km langen Schleife des Flusses Nemunas (Memel), der die Stadt in zwei Hälften teilt. Man erreicht Alytus von Vilnius aus auf der A16 und der Straße Nr. 129.

Die Ereignisse
In Alytus lebten 1939 etwa 9.200 Einwohner, davon 1.730 Juden, einschließlich jüdischer Flüchtlinge, die aus dem 1939 nach dem Hitler-Stalin-Pakt an Deutschland gefallenen Suvalkija-Gebiet (Sudauen) geflohen waren. Von der Sowjetrepublik Litauen wurde 1940/41 in Alytus eine der vier großen Militärbasen des Landes eingerichtet. Am Morgen des 22. Juni 1941 wurde die Stadt durch deutsche Luftangriffe bombardiert und schwer zerstört. Bereits am Abend nahm die deutsche Wehrmacht Alytus nach heftigen Kämpfen mit der Roten Armee ein. Sie übernahm die Kontrolle über die Stadt und ließ aus Rache für die Tötung zweier deutscher Soldaten 42 Juden und einige Litauer als Geiseln ermorden. Unterstützung erhielt sie von litauischen Nationalisten („Weißarmbinder“), denen in einem Pogrom innerhalb von zehn Tagen mehrere hundert Juden zum Opfer fielen. Die rasch wieder eingerichtete national-litauische Verwaltung wurde von antisowjetischen Aufständischen, Rechtsradikalen und ehemaligen Militärangehörigen besetzt, unter ihnen der Hauptmann der Luftwaffe, Antanas Audronis. Als Kreispolizeichef beklagte er sich Ende Juni 1941 beim deutschen Ortskommandanten, dass man viel zu sanft gegen die Juden vorgehe und bat um Genehmigung, selbst Erschießungen von Juden, Kommunisten und Polen vornehmen zu dürfen. Innerhalb von zehn Tagen würde die Polizeiführung unter seinem Kommando den gesamten Kreis Alytus „säubern“. Für diese Eigeninitiative erhielt Audronis noch kein „grünes Licht“ (Dieckmann 2011). Es folgten antijüdische Erlasse und die Heranziehung der arbeitsfähigen jüdischen Bevölkerung zu schwerer Zwangsarbeit an Brücken und Straßen. Ende Juli/Anfang August wurde im armen Teil der Stadt ein provisorisches Ghetto eingerichtet, in dem 1.300 bis 1.500 Juden der Stadt und der umliegenden Dörfer unter unsäglichen Bedingungen zusammengepfercht wurden, Zwangsarbeit leisten mussten und ständig von Verhaftungen und Mord bedroht waren. Ein dreiköpfiger Judenrat hatte die Verantwortung für die innere Ordnung zu übernehmen.

Im Laufe der Monate Juli/August 1941 wurden erneut ungefähr 1.000 Juden der Region nach Alytus getrieben und im dortigen Gefängnishof interniert. Die erste Mordaktion fand am 13. August 1941 im Waldgebiet von Vidzgiris statt, ihr folgten weitere Massaker am 31. August und am 9. September. Insgesamt fielen diesen Massenmorden etwa 2.230 jüdische Männer, Frauen und Kinder zum Opfer. Der Ablauf der Aktionen war immer gleich: sowjetische Kriegsgefangene mussten Gruben ausheben, das Rollkommando Hamann unter dem Kommando des Luftwaffenleutnants Bronius Norkus leitete die Erschießungen, die örtliche Polizei musste die Juden isolieren, bewachen, deren Besitz an sich nehmen und die Wertsachen Norkus übergeben. Bis Mitte September 1941 waren in Alytus und im Umkreis alle Juden ermordet.

Sowjetische Kriegsgefangene
Im August 1941 wurde in Alytus das Kriegsgefangenenlager Stalag 343 eingerichtet. Im Laufe des Herbsts wurden dort etwa 30.000 sowjetische Kriegsgefangene interniert, obwohl das Lager nur für 6.000 vorgesehen war. Bis zur Auflösung des Lagers im November 1942 sind mindestens 20.000 der Lagerinsassen durch Hunger, Krankheit und Kälte zugrunde gegangen, die übrigen (bis auf ein kleines Arbeitskommando) wurden zur Zwangsarbeit in das Reichsgebiet deportiert.

Sowjetische Zwangsevakuierte
Eine weitere Schandtat stellte die Ermordung sowjetischer Zivilisten dar, die im Frühjahr 1943 in das aufgelöste Stalag 343 eingesperrt wurden. Sie waren zu hunderttausenden vom deutschen Heer aus den östlich gelegenen Gebieten zwangsevakuiert worden. Bis 1944/45 waren im gesamten östlichen Frontbereich davon ca. 1,6 Millionen Menschen betroffen. Ende Juli 1943 befanden sich in Alytus 2.250 dieser Flüchtlinge, weitere 14.800 trafen im August in dem restlos überfüllten Lager ein. Die äußerste Grenze der Belastbarkeit galt mit 8.000 als erreicht. Am Bahnhof von Alytus standen Ende August 1943 noch sechs Eisenbahnzüge mit eingepferchten Frauen und Kindern, die nicht ausgeladen wurden. Zwei Transporte sollten ins Reich fahren, kamen aber von Białystok mit über 4.500 Menschen wieder zurück nach Alytus, weil man dort mit dem „Gesindel nichts anfangen“ könne (zit. in Dieckmann 2011).

Unterschiedliche Quellen geben für diese Zeit beinahe übereinstimmend eine Zahl zwischen 60.000 und 70.000 Menschen an, die während der deutschen Besatzung zwischen 1941 und 1944 im Wald von Vidzgiris getötet wurden. Neben den jüdischen Opfern aus Alytus und der Umgebung wurden hier sowjetische Kriegsgefangene und mehrere zehntausend sowjetische Zivilisten in Massengräbern verscharrt.

Gedenkanlage im Wald von Vidzgiris 

Gedenken
Wegweiser der GedenkanlageIm Wald von Vidzgiris wurde 1993 eine eindrucksvolle, im Wald verteilte Gedenkanlage eingerichtet. Man erreicht sie von Alytus aus auf der Straße Nr. 220 (Vilniaus g.), die in die Straße Nr. 130 (Pulko g.) übergeht. Dieser folgt man geradeaus über die Kreuzung (Nr. 131 Santaikos bzw. Nr. 128 Ulonų g.) in Richtung Wald und kommt nach ca. 1km auf den Parkplatz am Eingang der Anlage. Neun weiße Pyramiden markieren im Wald die Massengräber. Der Text auf der Gedenktafel in Litauisch und Jiddisch lautet: „Die Nazi-Henker und ihre litauischen Kollaborateure töteten an diesem Ort von 1941 bis 1944 zehntausende Juden, Männer, Frauen und Kinder, die meisten von ihnen wurden aus anderen Ländern hierher gebracht.“
54.37804639 24.04183139 54°22.6828'N 24°2.5099'E

 

Literatur / Medien
Bubnys, Arūnas: Holocaust in Lithuanian Province in 1941, Working Paper 2003 (http://www.docscopic.pdf); Dieckmann 2011, Bd. 1, S. 363ff.; Bd. 2, S. 904-905, 1348ff., 1382-1391 (Zitat S. 1383); Ders.: Alytus 1941–1944. Massenmorde in einer Kleinstadt. Ein Fallbeispiel deutscher Besatzungspolitik in Litauen, in: Lithuanian Foreign Policy Review 2001/8, S. 75-104 (abrufbar unter http://lfpr.lt/wp-content/uploads/2015/07/LFPR-8-Dieckmann.pdf); Holocaust Atlas 2011, S. 14/15; The Massacre in Alytus, in: Levinson, Joseph (Hg.): The Shoa (Holocaust) in Lithuania, Vilnius 2006, S. 116-120 (Zeugnis von Alfonsas Nykštaitis); Wette 2011: Karl Jäger (Jäger-Bericht, Bl. 2-4).

http://holocaustatlas.lt/EN/Alytus//item/45/
http://kehilalinks.jewishgen.org/Alytus/alite1.html (Joseph Rosin: Alite/Alytus)
https://www.youtube.com/watch?v=IRVBX5KN4MA (Zeugenaussage von Riva Bogomolnaja)
http://www.tenhumbergreinhard.de/1933-1945-lager-1/1933-1945-lager-a/alytus.html