Bezirk Kaunas
Der Ort
Kėdainiai mit gegenwärtig 31.980 Einwohnern (2017) umfasst als Distriktgemeinde zehn Städtchen und 534 Dörfer. Die Stadt liegt ca. 50km nördlich von Kaunas am Ufer des Flüsschens Nevėžis. Man erreicht Kėdainiai von Kaunas aus auf der A1 in Richtung Klaipėda, von der Ausfahrt Kėdainiai aus führt die Straße Nr. 229 in die Stadt.
Kėdainiai ist eine der ältesten Städte Litauens, erhielt bereits im 15. Jahrhundert das Magdeburger Stadtrecht und gilt als Zentrum der protestantischen Reformation im überwiegend katholischen Litauen. Mit Kėdainiai ist eine weit zurückreichende Yeshiva-Tradition (Tora- und Talmudschule) verbunden, viele namhafte Rabbiner haben hier studiert. 1940 übersiedelte die berühmte Talmudschule Mir Yeshiva von Kaunas nach Kėdainiai. Dank eines Transitvisums für Japan durch die damalige Sowjetunion, ausgestellt vom japanischen Konsul Chiune Sugihara in Kaunas, konnten noch 1941 zahlreiche Studierende dieses Instituts gerettet werden, bevor das Sowjetregime das Konsulat auflöste.
Die Ereignisse
Anfang 1941 lebten im Kreis Kėdainiai über 4.600 Juden – unter ihnen viele Flüchtlinge aus Polen. In der Stadt selbst lebten etwa 2.500 Juden. Bereits vor Eintreffen der Deutschen in Kėdainiai Ende Juni 1941 organisierten litauische „Aufständische“ Übergriffe, Plünderungen und Morde unter der jüdischen Bevölkerung, denen ungefähr 100 Männer zum Opfer fielen. Zum Entsetzen der Juden wirkten bei dieser Jagd viele aus der lokalen Intelligenz mit. Arbeitsfähige wurden zur Zwangsarbeit getrieben.
Unter dem Vorwand eines Arbeitseinsatzes ermordeten litauische Hilfstruppen und Deutsche unter Leitung des Rollkommando Hamann am 23. Juli 1941 125 jüdische Bewohner und Kommunisten in einem nahe gelegenen Wald. Kurz danach ließ der von den Deutschen eingesetzte Bürgermeister ein mit Stacheldraht umzäuntes und von Litauern bewachtes Ghetto bei der Synagoge einrichten, in das ca. 1.000 Menschen – die Juden der Stadt, die dorthin geflohenen Juden der umliegenden Dörfer, eine unbekannte Zahl von Juden aus den Orten Žeimiai und Šėta – eingepfercht wurden. Den unmenschlichen Lebensbedingungen erlagen bereits hier zahlreiche Menschen.
Am 15. August wurden alle Ghetto-Bewohner im Hof der Synagoge zusammengetrieben. Über 14 Jahre alte Männer wurden in die Scheunen auf dem Gestüt des Grafen Totleben zwei Wochen lang ohne Nahrung eingesperrt. Alte, Frauen und Kinder folgten am 26. August. Am 28. August trieben litauische Hilfspolizisten unter dem Befehl des Rollkommando Hamann zuerst die Männer in Gruppen zu den von sowjetischen Kriegsgefangenen zuvor ausgehobenen Gruben beim Fluss Smilga, danach Frauen und Kinder, die auf brutale Weise ermordet wurden. Der Massenerschießung, die bis zum Abend andauerte, wohnten auch litauische Prominente wie der Bürgermeister, der Rektor der Schule und ein katholischer Priester bei. Um die in den Scheunen eingesperrten Opfer über ihr Schicksal möglichst im Ungewissen zu lassen, ließ man Traktorenmotoren laufen, um die Schreie und Gewehrsalven vom 2km entfernten Ort des Massakers zu übertönen.
Die Zahl der Opfer des ersten Massakers vom 23. Juli 1941 beziffert der Jäger-Bericht mit: 83 Juden, 12 Jüdinnen, 15 russische und 14 litauische Kommunisten, 1 russischer Offizier, insgesamt 125 Opfer. Die Zahl der Opfer vom 28. August 1941 wird unterschiedlich überliefert: während im Bericht einer nach dem Krieg eingerichteten staatlichen Kommission die Zahl von 4.000 Juden angegeben wird, nennt der Jäger-Bericht 2.076 Opfer. „Kėdainiai war judenrein“ (Faitelson 1998).
Kėdainiai war von strategischer Bedeutung, da hier die wichtigen Straßen nach Šiauliai und Riga durchgingen. Außerdem befanden sich große Steinbrüche in der Nähe, die für die deutsche Armee wichtig waren. Vom September 1942 an musste hier eine jüdische Zwangsarbeitsbrigade aus Kaunas Eisenbahnwagen mit Kies für den Ausbau des Flugplatzes in Aleksotas/Kaunas beladen. Im Sommer 1943 bauten die Deutschen in der Nähe von Kėdainiai einen Militärflugplatz und richteten dafür ein Zwangsarbeitslager für 250 jüdische Männer und Frauen aus dem Ghetto von Kaunas ein. Unter ihnen befanden sich auch Mitglieder der Widerstandsorganisation AKO, die Kontakt zu den Partisanen in den umliegenden Wäldern hatten, Waffen beschafften und Sabotageaktionen ausführten.