Bezirk Kaunas

Die Stadt Raseiniai mit ca. 12.000 Einwohnern (2010) ist zentraler Verwaltungssitz des gleichnamigen Gemeindebezirks, dem mehrere kleinere Städte und nahezu 600 Dörfer angehören. Die Stadt liegt ca. 85 km nordwestlich von Kaunas nahe der Autobahn A1 in Richtung Klaipėda, man erreicht sie von der Ausfahrt Gabsiai aus auf der Straße Nr. 146.

Gedenkort Raseiniai

Die Ereignisse
Die deutschen Truppen eroberten Raseiniai nach heftigen Kämpfen mit Einheiten der Roten Armee am 23./24. Juni 1941. Zahlreiche Einwohner, unter ihnen viele der ca. 2.000 Juden, waren vorher aus der Stadt in die Wälder der Umgebung geflohen, bei der Rückkehr stellten die Juden fest, dass in ihren von Zerstörung verschonten Wohnungen und Häusern geplündert worden war. Die lokale Polizei übernahm in den folgenden Tagen die Exekutivgewalt und setzt jüdische Männer und Frauen zwangsweise zu Aufräum- und Reinigungsarbeiten ein, oftmals unter Schlägen und demütigenden Erniedrigungen. Juden mussten eine weiße Markierung auf ihrer Kleidung tragen und wurden vom Benutzen der Gehwege und vom Lebensmitteleinkauf ausgeschlossen.

Anfang Juli erfolgte die Anweisung, dass sich alle jüdischen Männer und Frauen zwischen 15 und 45 Jahren bis zum 16. Juli zu versammeln hätten. Sie wurden in ein ehemaliges Klosteranwesen am Rand der Stadt in Richtung Jurbarkas geschafft, wo im Hof und in Ställen ein vorübergehendes Arbeitslager entstand. In dem von Stacheldraht umzäunten, von Litauern bewachten Lager mit ca. 1.500 Gefangenen herrschten unerträgliche Zustände. Immer wieder verschwanden Gruppen der Häftlinge, die an unbekannten Orten erschossen wurden. Ein litauischer Polizist des Bewachungspersonals sagte nach 1945 aus, dass schon „zwischen dem 6. und 8. Juli 500 jüdische Männer unter dem Vorwand der Verschleppung zu Zwangsarbeit erschossen worden seien“ (Dieckman, S. 799). Nach unterschiedlichen Berichten wurden sowohl am 27. wie am 29. Juli mehrere hundert Gefangene zusammen mit jüdischen Häftlingen aus der Stadt unter der Leitung von Deutschen – vermutlich Angehörigen des im Juli dort aktiven SS-Einsatzkommandos 3 – in einen Sandbruch ca. 5 km außerhalb von Raseiniai gebracht und dort erschossen. Unmittelbare Täter waren Litauer, wahrscheinlich Polizisten und „Weißarmbinder“, die Deutschen beobachteten das Geschehen. Der Jäger-Bericht des SS-Einsatzkommandos 3 nennt für den 29. Juli eine Massenexekution im nahe gelegenen Dorf Žieveliškės, der 254 Juden und 3 litauische Kommunisten zum Opfer fielen.

Das Morden ging weiter: am 5. August wurden 279 Juden (213 Männer und 66 Frauen) ermordet, vom 9. bis zum 16. August erschossen Litauer 294 Frauen und Kinder. Zuvor war ihnen erlaubt worden, in die Stadt zu gehen, um Geld und Wertsachen zu holen, die ihnen nach ihrer Rückkehr sofort abgenommen worden waren. Diese Mordaktionen waren gleichbedeutende mit der Vernichtung aller Insassen des Arbeitslagers.

In der zweiten Augusthälfte 1941 schließlich wurden alle noch lebenden jüdischen Bewohner aus Raseiniai – überwiegend Frauen und Kinder – und aus den umliegenden Dörfern im Gutshof Biliūnai in der Nähe des Dorfes Kurpiškės zusammengetrieben. Eine Gruppe von Gefangenen wurde am 29. August auf Lastwagen nach Girkalnis gebracht und dort von litauischen Hilfstruppen und deutschen SS-Leuten ermordet, eine andere wurde am 6. September in der Nähe des Dorfes Kalnujai erschossen: 843 Juden - 16 Männer, 412 Frauen und 415 Kinder. Die Verantwortlichen für die Mordaktionen waren litauische Hilfstruppen unter der Führung der litauischen Kreis- und Stadtpolizei.

Gedenkstein

Im gesamten Kreis Raseiniei wurden von Anfang Juli bis Anfang September etwa 5.000 Juden ermordet: 662 in Ariogala, 1.600 in Girkalis, 300 in Viduklė, 543 in Nemakščiai, 300 in Lyduvėnai und ungefähr 2000 in Raseiniai (Dieckmann 2011, S. 801).

Gedenken
Von Raseiniai aus fährt man auf der Straße Nr. 146 in Richtung Jurbarkas, unterquert die A1, biegt danach rechts in die Piliakalnio-Straße ein; an einer kleinen Kreuzung biegt man nach rechts auf einen Schotterweg und fährt ca. 700 Meter den Hügel hinauf. An der Gabelung dort folgt man rechts weiter dem Schotterweg bis zu einem schwarzen Markstein, der 150 Meter hinab in ein kleines Wäldchen zur Gedenkstätte weist. Der Gedenkstein trägt folgende Inschrift in Jiddisch und Litauisch: „An diesem Platz haben Hitlers Exekutoren und ihre lokalen Helfer von Juli bis September 1941 1.677 jüdische Menschen ermordet: Kinder, Frauen und Männer. Die Erinnerung an die unschuldigen Opfer bleibe geheiligt.“
55.33702639 23.08598639 / 55°20.2216'N 23°5.1592'E

Literatur / Medien
Lithuanian Holocaust Atlas. Ed. Vilna Gaon Jewish Museum. Vilnius 2011, S. 71; Dieckmann 2011, Bd. 2, S. 789-802; Wette: Karl Jäger, 2011, Anhang, Jäger-Bericht Bl. 2.

http://www.holocaustatlas.lt/EN/#a_atlas/search//page//item/66/
http://collections.ushmm.org/search/catalog/irn518539 (Zeitzeugenbericht von Stefanija Šegždavičienė)
http://www.jewishgen.org/Yizkor/Lithuania6/lit6_231.html
http://www.yadvashem.org/yv/en/about/institute/killing_sites_catalog_details_full.asp?region=Raseiniai&title=Raseiniai%20county