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Belzec – Gedenkstätte und Museum

erstes Denkmal 1963


Woiwodschaft Lublin/Wojew. Lubelski

Nach der Ermordung von Chaim Hirszman 1946 und der Emigration von Rudolf Reder 1950 gab es keinen Überlebenden mehr, der über das Mordlager sprach. Dier Spuren waren von den Deutschen verwischt worden. Erst im Dezember 1963 wurde auf dem Gelände des ehemaligen Todeslagers ein Denkmal eingeweiht. Die Inschrift lautete: „Zur Erinnerung an die Opfer des Hitlerterrors, die in den Jahren 1941 bis 1943 ermordet wurden.“ Es fehlte der Hinweis auf das Vernichtungslager und dass die Opfer fast ausnahmnslos jüdische Menschen gewesen waren. Dies wurde als dem gigantischen Verbrechen nicht angemessen empfunden (s. im einzelnen und mit Fotos: Kuwalek, a.a.O., S. 306ff., 312ff.)

Schlackefeld über den Massengräbern Steinwand/Mausoleum Weg durch das Schlackefeld; Quelle: Lysy, Wikipedia, CC BY-SA 3.0

2004 wurde mit Unterstützung des American Jewish Committee eine neue Gedenkstätte eröffnet. Das Feld, unter dem sich Asche der Ermordeten befindet, wird mit Schlackeresten bedeckt und durch einen Weg zerschnitten. Am Eingang befindet sich eine eiserne Platte, auf der symbolisch Gleise in Form eiens Davidsterns eingeritzt sind. Der Gang ist dem Weg nachempfunden, den die Deportierten nach der Entkleidung zu den Gaskammern gehen mussten. Er endet an einer Steinwand, die sich über dem vermuteten Ort der Gaskammer befindet; die Inschrift ist ein Zitat aus dem biblischen Buch Hiob (16, 18): „O Erde, bedecke mein Blut nicht, und mein Schreien finde keine Ruhestatt!.“

Skulptur Bahnschienen Deportationsorte

Entlang des Weges um das Schlackefeld sind die Zeiten und Ausgangsorte der Deportationen festgehalten – chronologisch und alphabetisch: von 400 jüdischen Gemeinden Polens (in polnisch und jiddisch) sowie von 40 Gemeinden in Deutschland, Österreich, Tschechien und der Slowakei.
Die auf einander gestapelten Bahnschienen erinnern an die Deportationen sowie an den Versuch der SS, die Spuren des Massenmords durch Verbrennen der Leichen zu beseitigen.

Museum

Blick ins Innere des Museums; Foto: Lysy, wikipedia, CC BY-SA 3.0

Das 2005 eröffnete Museum steht am Ende einer symbolischen Rampe. Das Gebäude erinnert an die Form eines Zuges. Die Ausstellung geht auf den historischen Kontext und die Geschichte des Mordlagers und der 'Aktion Reinhardt ein; zahlreiche Dokumente, Briefe, historische Fotos, und Berichte.

Aus dem Bericht des Überlebenden Rudolf Reder

Rudolf Reder (4.4.1881 in Dębica – 6.10.1977 in Toronto) wurde im August 1942 von Lwów/Lemberg in das Mordlager Belzec deportiert, er musste Zwangsarbeit leisten. Im November 1942 konnte er fliehen. Kurz nach Kriegsende berichtete Reder vor der Zentralen Jüdischen Kommission in Lodz:

„Jeder Transport wurde auf die gleiche Weise behandelt. Die Ankommenden wurden aufgefordert, sich auszuziehen und ihre Sachen auf dem Platz zurückzulassen. Immer gab es die gleiche irreführende Ansprache. Und jedes Mal waren die Menschen erfreut. Ich sah einen Funken Hoffnung in ihren Augen – Hoffnung, dass sie zur Arbeit würden gehen können. Aber nur ein Minute später wurden Müttern die Babys mit äußerster Brutalität entrissen, die Alten und Kranken auf die Tragen geworfen, während Männer und kleine Mädchen mit Gewehrkolben weiter getrieben wurden zu dem eingezäunten Weg, der direkt zu den Gaskammern führte. Zur gleichen Zeit und mit der gleichen Brutalität wurden die bereits nackten Frauen zu den Baracken dirigiert, wo man ihnen die Haare schor. Ich wusste genau den Augenblick, in dem sie alle schlagartig erkannten, was vor sich ging. Schreie voller Furcht und Pein sowie schreckliches Stöhnen vermischten sich mit der Musik des Orchesters. Die Männer wurden weiter gehetzt, mit Bajonetten verwundet und als erste gezwungen, sich in die Gaskammern zu drängen. Die Trawniki-Männer zählten 750 Personen für jede Gaskammer ab. Bevor alle sechs Kammern voll waren, hatten die in der ersten schon zwei Stunden gelitten….

Rudolf Reder (1939); Foto: pl.wikipediaWorte können unsere Gemütsverfassung und Gefühle nicht beschrieben, wenn wir das schreckliche Stöhnen der Menschen und die Schreie der Kinder, die gerade ermordet wurden, hörten. Dreimal am Tag sahen wir die Leute fast verrückt werden. Und wir waren auch nah am Wahnsinn. Ich kann nicht sagen, wie wir von einem Tag zum nächsten überlebten, da wir uns nicht vormachten. Stück für Stück starben auch wir zusammen mit diesen Tausenden von Menschen, die für einen kurzen Moment durch eine Agonie der Hoffnung gingen. Apathisch und schicksalsergeben fühlten wir weder Hunger noch Kälte. Wir alle warteten, dass es an uns kam, einen unmenschlichen Tod zu sterben. Wir fühlten nur noch etwas, wenn wir die herzzerreißenden Schreie kleiner Kinder hörten: „Mutti, Mutti, ich bin doch ein braver Junge gewesen!“ und „Dunkel, Dunkel!“ und dann wieder nichts…“ (zitiert nach Benz/Distel/Königseder, a.a.O., S. 360 bzw. 372).

Chaim Hirszman (1916 – März 1946), wurde am 2.11. 1942 mit seiner Frau und dem 1-jährigen Sohn in das Mordlager Belzec deportiert. Er wurde zur Zwangsarbeit (im Sonderkommando) bestimmt. Im Juni 1943 konnte er aus dem Zug fliehen, der ihn mit den letzten Häftlingen von Belzec in das Mordlager Sobibor bringen sollte. Am 19.3.1946 berichtete er der Jüdisch-Historischen Kommission in Lublin, abends wurde er ermordet - weil er Jude oder weil er aktiv in einer linken Partisanengruppe war, ist nicht geklärt; vgl. Kuwalek, a.a.O., S. 314ff.

Anschrift des Museums: Muzeum – Miejsce Pamięci w Bełżcu, Ul. Ofiar obozu Zaglady 4 [ca. 600 m vom Bahnhof], 22-670 Bełżec; internet: http://www.belzec.eu (polnisch u. englisch); email: [email protected]
Öffnungszeiten: Gelände: April bis Oktober täglich 9 bis 18 Uhr, November bis März täglich 9 bis 16 Uhr; Museum/Ausstellung: April bis Oktober Dienstag bis Sonntag 9 bis 17 Uhr, November bis März Dienstag bis Sonntag 9 bis 16 Uhr, an Feiertagen geschlossen. Der Eintritt ist frei.




Literatur/Medien
Berger, Sara: Experten der Vernichtung. Das T4-Reinhardt-Netzwerk in den Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka, Hamburg 2013
Kuwałek, Robert: Das Vernichtungslager Bełżec, 2. Auflage, Berlin 2014
Reder, Rudolf: Bericht über Bełżec, in: Benz, Wolfgang/Distel, Barbara/Königseder, Angelika (Hg.): Nationalsozialistische Zwangslager. Strukturen und Regionen – Täter und Opfer, Dachau 2011, S. 351ff.
Bildungswerk Stanisław Hantz: Belzec (Broschüre), Kassel 2016 und: Die Kommandantur - der Wohn- und Verwaltungsbereich der deutschen Täter in Belzec, Kassel
http://www.memorialmuseums.org/staettens/druck/121
https://de.wikipedia.org/wiki/Vernichtungslager_Belzec