Schriftgröße A A A

Chambéry

Region Rhône-Alpes, Departement Savoie

Der Ort
Stadt am Fuße der Savoyer Alpen, Hauptstadt des Departements Savoie, 58500 Einwohner/innen. Bahnhof : Züge ↔Genf, Grenoble, Lyon, Paris. Mit dem Auto von Grenoble 60 km (D 1006 oder A 41), von Lyon 107 km (A 43), von Genf/CH 88 km (A 41).

Die Ereignisse
Chambéry lag zunächst in der unbesetzten Zone. Mitte 1941 warnte der frz. Präfekt vor gaullistischer Propaganda (z.B. am Lycée). Vichy-Staatschef Pétain wurde bei seinem Besuch am 22. September 1941 von einen großen Menschenmenge gefeiert, er galt als Garant gegen italienische Annexionsgelüste. Im Frühjahr 1942 demonstrierten Hausfrauen gegen die schlechte Versorgung.

Italienische Besatzung
Am 12./13. September 1942 wurde die Stadt – wie ganz Savoyen – von italienischen Truppen besetzt. Die politische Polizei OVRA hatte ein Büro in der Stadt. In den Gefängnissen von Chambéry wurden die von italienischen Militärbehörden in den beiden Savoyen-Departements Verhafteten interniert, bevor sie an das italienische Militärgericht in Breil-sur-Roya bei Nice/Nizza übergeben wurden. Kurz vor dem Einmarsch der Deutschen im September 1943 konnte sich die italienische Garnison nach Italien absetzen (vgl. Kriegsaustritt Italiens, Militärinternierte).

Savoyer Totendenkmal Gedenktafel erschossene Märtyrer Tafel antisemitische Verfolgung

Judenverfolgung
Am 25./26. Juli 1942 waren ausländische Juden Ziel der vom Vichy-Regime organisierten Razzia. Sie wurden über die Lager Ruffieux und Vénissieux in das Internierungslager Drancy bei Paris transportiert und von dort durch die Deutschen in die Vernichtungslager deportiert. Die Italiener untersagten die Deportation von Juden in ihrem Besatzungsgebiet; z.B. verhinderten sie die Deportation von 25 Juden, die nach einem Attentat auf einen italienischen Offizier von der Vichy-Polizei als Geiseln verhaftet worden waren. Unter deutscher Besatzung nahmen die antisemitischen Razzien wieder zu und trafen jetzt auch französische Juden, besonders Kinder. Die Hilfsorganisationen konnten viele jüdische Kinder in Heimen und Familien verstecken und retten: u.a. im Centre médico-social und im Priesterseminar Saint-François de Sales. Im Februar/März 1944 aber wurden vier Schülerinnen und etwa zehn Personen, die für die OSE und UGIF arbeiteten, verhaftet und wenig später deportiert.

Collège Saint-François Widerstandsdenkmal  „Aux agents du réseau Corvette“ Tafel Hristodoulovitch; © Josette Guyonnet, genweb

Résistance und Repression
Ab Herbst 1943 bildeten sich in der Umgebung bewaffnete Gruppen der AS und der FTP. Die Maquis bekamen Zulauf durch junge Männer, die die STO-Zwangsarbeit für deutsche Rüstungsbetriebe verweigerten (in Savoyen wurden sie – anders als in Korsika oder im Departement Var/PACA – auch unter italienischen Besatzung einberufen). Anschläge auf deutsche Einrichtungen sowie Zusammenstöße mit Deutschen wurden zahlreicher – ebenso die Repressalien der Wehrmacht, SS, Gestapo sowie der kollaborierenden frz. Milice (sie hatten ihre Verhör- und Folterzellen in der Villa Ménager, Rue François Charvet, bzw. im Mazet-Gebäude, Place Porte-Reine). Dabei wurden Bürger/innen gefoltert, deportiert oder getötet. Am Tag vor der Befreiung wurden 18 Gefangene aus der Curial-Kaserne geholt, 17 wurden von den Deutschen am Schießstand Charmettes erschossen, einer überlebte.

Tafel für Postler Befreiungsdenkmal neben Justizpalast (Rue J + J Communal) Gedenktafel Roger Dumaz

Befreiung
Am 26. Mai 1944 wurden bei der alliierten Bombardierung, die auf den Bahnhof und Industriegebäude zielte, zahlreiche Wohnhäuser getroffen, man zählte 120 Tote, 300 Verletzte und 1000 Familien ohne Wohnung. Nach der alliierten Landung in der Provence am 15. August 1944 gingen die Angehörigen der Spezialpolizei Gardes Mobiles von Chambéry in die Maquis der AS. Eine AS-Kompanie und savoyardische FFI versuchten die Stadt einzukreisen, sie attackierten immer wieder die – nach dem Fall von Aix-les-Bains und Annecy – durch das Maurienne-Tal nach Italien abrückenden Deutschen. Am 21./22. August 1944 ist Chambéry befreit, am 23. August zog das Befreiungskomitee des Departements (CDL) in das Rathaus. Die Deutschen kamen am 25. August zurück bis vor die Tote der Stadt und sprengten die wichtige Brücke über die Isère 'Pont Royal' (vgl. auch Saint-Pierre-d'Albigny).

Gedenken
Das Totendenkmal Monument aux Morts des Savoyards im Park 'Clos Savoiroux' ehrt die „10000 Savoyer, die für Frankreich gestorben sind“. Am Place des Fusillés ehrt die Stadt die erschossenen Märtyrer, Opfer der Nazi-Barbarei (an der Kreuzung Boulevard de Lemenc/Avenue Docteur Desfrançois neben dem Park). An der Allée du Souvenir im Park gedenkt die Stadt der Opfer der antisemitischen und rassistischen Verfolgung, an der das französische Vichy-Regime beteiligt war. Etwa 200 m entfernt liegen die Gebäude des ehemaligen Priesterseminars Saint François des Sales, in der jüdische Kinder vor den Nazis versteckt wurden (heute eine Schule). Das jüdische Gemeindezentrum befindet sich im Impasse du Chardonnet Nr. 9 nahe der Kathedrale.
Das Widerstandsdenkmal im zentralen Park Jardin du Verney ist speziell den 25 Toten des Widerstandsnetzes Corvette gewidmet. Einer war Yves Hristodoulovitch, der 1925 in der nahen Rue de Boigne Nr. 6 geboren wurde und im Februar 1945 im KZ Mauthausen umkam.

ehem. Gestapo-Gebäude Gedenktafel Gestapo-Opfer; Quelle: Unadif-FNDIR Gedenktafel Milice-Opfer

Am Eingang zur Post gedenkt eine Tafel u.a. der von den Deutschen in die KZ Sachsenhausen bzw. Dachau deportierten und dort umgekommene Postler (1 Square Paul Vidal, am Rande des Parks).
An dem Haus, in das Verhör- und Folterzentrum der Gestapo untergebracht war, geleitet von SS-Hausptsturmführer Ludwig Heinson, wurde 2012 eine Gedenktafel zu Ehren der Widerstandskämpfer und Deportierten angebracht, in Gegenwart des inzwischen 90jährigen Henri Maitre, der schwer krank das KZ Mauthausen/Gusen überlebte. Text: „In dieser Straße wurden 1943 und 1944 Männer und Frauen, die die Nazi-Diktatur ablehnten, von der Gestapo gefoltert. Die meisten wurden in die Todeslager deportiert, nur wenige sind zurück gekommen. Vergiss nicht ihr Opfer für die Freiheit Frankreichs. Handle und kämpfe für Toleranz“ (2 Rue François Charvet). Seit März 1943 war die frz. Milice in einem Haus an der Place Porte-Reine. Dort wurde an Weihnachten 1943 der Patriot Roger Dumaz erschossen. In der Nähe wurde im Juli 1944 André Pézeux, Mitglieder einer freien Kampfgruppe der AS, von der Milice umgebracht (Allée de l'Étape, schmale Gasse).

Infotafel am ehem. Schießstand Schießstand; © Pascal Domenech, genweb Totendenkmal auf Friedhof Gedenktafel für Deportierte auf Friedhof

Eine Gedenksäule dankt der 1. frz. Armee, die das Land zwischen Provence und Rhein befreit hat (zwischen Justizpalast und Quai du Jeu de Paume). An der Außenmauer des ehemaligen Schießstands 'Stand de Tir des Charmettes' informiert eine Tafel über die Besatzungszeit, den Widerstand, die Judenverfolgung und die Erschießungen von 17 Gefangenen durch die Deutschen einen Tag vor der Befreiung; sie ersetzt eine Tafel mit den Namen der Erschossenen (Chemin des Charmettes/Rue du Vercors).
Das Totendenkmal auf dem Gemeindefriedhof im Nordwesten der Stadt ehrt auf einer Tafel die für Frankreich gestorbenen Deportierten, Internierten, Erschossenen oder in den Nazi-Vernichtungslagern zu Grunde gerichteten (22 Avenue Chevaliers Tireurs).

Chambéry-le-Vieux, Dorfplatz Totendenkmal Chambéry-le-Vieux Gedenkstein Jean Bulle

Etwa drei km von dort bzw. 5 km vom der Stadtmitte liegt der früher selbständige Stadtteil Chambéry-le-Vieux. Sein Dorfplatz ist nach dem Widerstandskämpfer Paul Vachez benannt, der am Bahnhof Chambéry arbeitete und nach einer Résistance-Aktion am 8. Juli 1944 von den Deutschen verhaftet und zusammen mit sieben anderen erschossen wurde; er war 19 Jahre alt (Gedenktafel an der Mairie/dem Rathaus). Das Totendenkmal vor der Kirche ehrt auch Opfer der deutschen Besatzung. Hier beginnt die Rue du Commandant Bulle. Etwa 800 m entfernt, oberhalb des Dorfes erinnert ein Gedenkstein an den von Wehrmachtssoldaten erschossenen Führer des Widerstands. Die Inschrift lautet: „Hier wurde Kapitän Jean Bulle gefunden, FFI-Kommandeur des Sektors Albertville/Beaufortain, ermordet von den Nazis am 21. August 1944, als er (von der Wehrmacht) die Aufgabe Albertvilles fordern wollte“ (in einer scharfen Linkskurve, etwa Nr. 692).

Literatur/Medien
Panicacci, Jean-Louis: L'Occupation italienne: Sud-Est de la France, juin 1940-septembre 1943, Rennes 2010
Rickard, Charles: La Savoie sous l'occupation, Rennes 1985
Viout, Jean-Olivier: Chambéry 1944, Montmélian 2012
http://www.savoie-archives.fr/archives73/expo_savoie_des_ombres/pano20/thumb.html
http://www.unadif.fr/73-savoie/plaque-hommage-aux-resistants-a-chambery
http://www.memoresist.org/spip.php?page=oublionspas_detail&id=1553
http://www.tempetesurlesalpes.fr/38.html
http://www.museedelaresistanceenligne.org/media.php?media=4061 (libération, AS)
http://www.ajpn.org/commune-73065.html
http://fr.wikipedia.org/wiki/Chamb%C3%A9ry