Region Marken / Provinz Fermo

Der Ort
Casa della MemoriaServigliano, eine Gemeinde mit 2.304 Einwohner/innen (Stand 31. Dezember 2016) und sehenswertem Altstadtkern, liegt in der Provinz Fermo (bis 2004: Provinz Ascoli Piceno) in den Marken. Man erreicht den ca. 25 km südwestlich der Provinzhauptstadt Fermo liegenden Ort über die Strada Provinciale SP 239.

Die Ereignisse
Kriegsgefangenenlager PG 59
Bereits im 1. Weltkrieg entstand 1915 in Servigliano ein Kriegsgefangenenlager. Das ganz in der Nähe des Bahnhofs gelegene, von Mauern umschlossene ca. 30.000 qm große Areal mit über 30 Baracken wurde danach in der Zwischenkriegszeit als Freizeit- und Sportgelände genutzt.
Nach dem italienischen Kriegseintritt wurde es Anfang des Jahres 1941 als „campo prigionieri di guerra 59" (PG 59) mit einer Kapazität für ca. 3.000 Kriegsgefangene wieder zum Lager. Zunächst Griechen, danach Briten, US-Amerikaner, Kanadier und Neuseeländer wurden in Servigliano gefangen gehalten. In den Wirren unmittelbar nach dem italienischen Kriegsaustritt im September 1943 gelang unter Leitung des schottischen Arztes Captain J. H. Derek Millar am Abend des 14. September 1943 ihre Massenflucht. Viele der Geflüchteten schlossen sich danach dem italienischen Widerstand an.

Internierungslager für Jüdinnen und Juden
Casa della MemoriaAuf Befehl deutscher Militärstellen wurden ab Anfang Oktober 1943 hier, wie auch im Lager Sforzacosta, in der Provinz ansässige ausländische und italienische Jüdinnen und Juden interniert (siehe auch: Judenverfolgung in Italien). Das Internierungslager stand durchgehend unter italienischer Leitung, wurde von Carabinieri bewacht und war ab Ende Oktober 1943 der deutschen Ortskommandantur unterstellt.
Unter den 359 Lagerinsassen im März 1944 wurden 61 als „italienische und ausländische Juden'' geführt (Voigt, S. 359). Als die Partisanen von deren geplanter Deportation erfuhren, kam es zu einer spektakulären Befreiungsaktion. Voigt schreibt auf Basis der Schilderungen von Vito Volterra, einem jungen jüdischen Ingenieur aus Ancona, der als Kommandant einer Partisaneneinheit in den Bergen von Servigliano unmittelbar an den Ereignissen teilnahm: „Danach sei auf die Nachricht, daß der Abtransport der Internierten bevorstehe, das Territorialkommando des Widerstands verständigt worden, das mit den Alliierten in Süditalien in Funkkontakt stand. Am 3. Mai hätten daraufhin alliierte Flugzeuge im Tiefflug Bomben über dem Lager abgeworfen und eine Bresche in die Mauer und den Stacheldraht geschlagen. Dies sei das Zeichen zum Angriff einer Anzahl bereitstehender Partisanen gewesen, die den Internierten bei der Flucht beigestanden und die Carabinieri in Schach gehalten hätten. „Im Lager von Servigliano blieben nur wenige zurück, die nicht an die Deportation in die Vernichtungslager glauben wollten und befürchteten, außerhalb des Lagers nichts zum Lebensunterhalt zu finden". Den Geflohenen sei der Schutz der Befreiungskomitees der Provinzen Ascoli Piceno und Macerata zuteil geworden" (Voigt, S. 359).
Gedenktafeln am Parco della Pace31 im Lager gebliebene oder wieder aufgegriffene Jüdinnen und Juden wurden ins Lager Fossoli gebracht und von dort aus am 16. Mai 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Nur drei von ihnen überlebten.
Nur 2 Tage, bevor das Lager am 19. Juni 1944 von alliierten Truppen befreit wurde, erschossen deutsche Soldaten noch Isidor Schlaf, der sich in der Nähe versteckt gehalten hatte (Atlante delle Stragi Naziste e Fasciste in Italia).

Gedenken
Parco della Pace
Das Areal des ehemaligen Lagers wird heute unter dem Namen Centro Sportivo „Parco della Pace" wieder als Sport- und Freizeitgelände genutzt. Am Eingang hängen Gedenktafeln zum Andenken an die hier internierten und von Servigliano aus deportierten Jüdinnen und Juden und die entflohenen alliierten Kriegsgefangenen, die „dem italienischen Volk stets für seine prompte und mutige Hilfsbereitschaft dankbar sein werden".

Casa della Memoria
Das frühere Bahnhofsgebäude von Servigliano dient heute als „Casa della Memoria" als Erinnerungs- und Gedenkort. Das nur zu besonderen Gelegenheiten geöffnete Haus kann nach Anmeldung unter den Nummern 0734-711856 und 335-1890158 besichtigt werden (www.lacasadellamemoria.com).

Literatur / Medien:
Longhi, Silvano: Die Juden und der Widerstand gegen den Faschismus (1943–1945), Berlin 2010; Voigt, Klaus: Zuflucht auf Widerruf – Juden und andere Verfolgte des Hitlerregimes in Italien 1933–45, Band 2, Stuttgart 1993; www.lacasadellamemoria.com; www.coninfacciaunpodisole.it/marche/87-fermano/202-i-campi-di-concentramento-di-servigliano-e-monte-urano; en.wikipedia.org/wiki/Servigliano_prison_camp; it.wikipedia.org/wiki/Campo_di_prigionia_di_Servigliano; www.storiamarche900.it/main?p=storia_territorio_servigliano; www.campifascisti.it/scheda_campo.php?id_campo=354; Auszug aus der deutsch-italienischen Datenbank "Atlante delle Stragi Naziste e Fasciste in Italia" zur Ermordung von Isidor Schlaf