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Gniezno (dt. Gnesen)

Woiwodschaft Großpolen/Wojew. Wielkopolski

Lech-Hügel und Dom zu Gniezno; Foto: Gabrio, commonswiki

Der Ort
Gniezno/Gnesen ist eine der ältesten polnischen Städte, die Ursprünge liegen im 10. Jahrhundert; vgl. Gründungssage von der Entstehung Polens, Russlands und Tschechiens: https://de.wikipedia.org/wiki/Lech,_%C4%8Cech_und_Rus#Polnische_Version; s.a. das Museum der Ursprünge des polnischen Staates /Muzeum Początków Państwa Polskiego. Gniezno war zeitweise Hauptstadt Polens. Bei der polnischen Teilung wurde die Stadt 1791 Preußen zugeschlagen, zwischendurch vom Zarenreich verwaltet, nach 1918 wieder polnisch. Die Stadt hat 67.570 Einwohner*innen (2010). Der Erzbischof von Gniezno ist traditionell der Primas von Polen.

Die Ereignisse
Erschießungen, „Umsiedlungen“
Gniezno wurde am 11.9.1939 von ns-deutschen Truppen besetzt und im Oktober 1939 vom Reich annektiert als Teil des Reichsgaus Wartheland. In Stadt und Kreis Gnesen wurden in den ersten Kriegsmonaten mehrere hundert Einwohner*innen erschossen, in KZ deportiert und etwa 10.000 in das Generalgouvernement „umgesiedelt“ (ausgewiesen); die Besatzer siedelten zahlreiche „Volksdeutsche“ aus dem Baltikum, Bessarabien und der Sowjetunion an (vgl. Reichsgau Wartheland). Würdigung und Erinnerung s.u. 'Gedenken'.

Eingang zur Psychiatrischen Anstalt; Foto: Radomiła Banach, zabytek.pl

Nervenheilanstalt Tiegenhof/(poln. Dziekanka)
1894 wurde die preußische „Provinzial-Irrenanstalt Dziekanka“ bei Gnesen/Gniezno eröffnet. Sie wurde von der polnischen öffentlichen Hand weiterbetrieben, die Besatzer nannten sie Ende 1939 in 'Tiegenhof' um. Sie hatten die Anstalt am 11.9.1939 besetzt. In den 21 Pavillons befanden sich 1172 Kranke, darunter 93 Volksdeutsche, 150 stammten aus der Ukraine und 425 aus Ostgalizien (Gebiet um Lemberg/Lwów; heute; Lviv, Ukraine), darunter waren 160 jüdische Kranke. Bisher waren die Patienten nach Krankheitszustand in verschiedenen Stationen zusammengefasst; nun wurden sie je nach Nationalität zusammengelegt: Aus der Abteilung V wurden alle deutschen und polnischen Kranken verlegt und durch jüdische Patienten „ersetzt.“

Psych. Anstalt – Hauptgebäude

Am 7.12.1939 spritzte der (deutsche) Pfleger Reich den Kranken das hochdosierte Beruhigungsmittel Skopolamin, das kurz danach zur „Ruhigstellung“ und tw. zu Reaktionsunfähigkeit führt. Nach den Männern wurden die weiblichen jüdischen Kranken in die Abt. V gebracht und nach zwei Tagen abtransportiert, später polnische Patientinnen. Die Kranken wurden auf einen 'normalen' LKW verladen, manche brutal auf die Plattform geworfen und abtransportiert, eine Gruppe arbeitsunfähiger und 'unruhiger' Patienten. Zwischen dem 7.12.1939 und dem 12.1.1940 wurden mindestens 1.043 Patient*innen abtransportiert, die Anstalt war fast leer. Im Dezember 1939 wurden sie wahrscheinlich in das Fort VII in Posen/Poznań gebracht und in der dortigen Gaskammer ermordet. Im Januar 1940 wurden sie wahrscheinlich in einer transportablen Gaskammer auf der Fahrt getötet.

Gaswagen; Foto: e.poznan.pl

Nach dem angeblichen Ende der Aktion T4 wurden ab Ende 1941 Anstaltsinsassen aus dem Deutschen Reich nach Tiegenhof verlegt und dort durch Nahrungsentzug und Gaben tödlicher Medikamentencocktails ermordet. Ab November 1941 wurde Tiegenhof zum Aufnahmeort für Deportationen aus dem Westen des Dritten Reiches. Die ersten Transporte fanden von den Alsterdorfer Anstalten statt (Hamburg) statt; etwa 300 Patienten wurden von dort mit Bussen der T4-Zentrale in den Warthegau gebracht.
Ab Juli 1943 trafen Transporte vor allem aus Westfalen und dem Rheinland ein, 1944 kam ein großer Transport mit etwa 100 Patienten nach Tiegenhof. Die Gifte wurden von der T4-Zentrale oder dem Kriminaltechnischen Institut in Berlin geliefert. 1944 wurde Tiegenhof eine „Sammelstelle“ für als solche definierte kranke sowjetische „Ostarbeiter“ (Zwangsarbeiter) (Aktion 14f13). Die Gesamtzahl der Getöteten wird auf fast 5.000 geschätzt. (https://zabytek.pl/pl/obiekty/g-285677).

Denkmal zu Ehren der 24 Erschossenen von November 1939; Foto: wikimedia commons Denkmal zur Ehren der Opfer des NS-Terrors; Foto pl.wikipedia Gedenktafel am Klinikgebäude; Foto pl.wikipedia

Gedenken
Krieg und Besatzungsterror: An die Erschießungen polnischer Studenten wg. Widerstand sowie Lehrern und Angehörigen der polnischen Führungsschicht wird an einem Gedenkort im Wald von Dalki erinnert - mit Kreuz und Gedenktafel; Inschrift auf dem alten Gedenkstein links: "Hier ermordeten die Nazis im November 1939 24 Polen." Eines der Opfer war der Gründer und Leiter der „Volksuniversität“, Pater Antoni Ludwiczak, ermordet am 17.6.1942 im KZ Dachau (Gedenkstein rechts mit Gedenktafel). Auf dem Friedhof sw. Wawrzyńka befindet sich das Denkmal an die Opfer des NS-Terrors (Pomnik Ofiar Terroru); Inschrift auf dem Sockel: „Hier ruhen 105 Opfer des NS-Terrors – ermordet in Dalki, Märtyrer in Wronki, enthauptet und gehängt in Rawicz in den Jahren 1939-1945. Ehre und beharrlkiches Gedenken an ihren Patriotismus und die Würde eines Polen“. Für sie auf dem Platz vor dem Denkmal sind symbolische Grabplatten verlegt (ul. Witkowska 67 = GPS 52.5307505, 17.5794407).
Krankenmorde: Viele Gebäude des heutigen Szpitals für Nerven- und Pyschiatrische Krankheiten sind erhalten geblieben. An einem der Hauptgebäude befindet sich eine, bereits 1948 angebrachte Gedenktafel; Inschrift: „Zu Ehren der während der Besatzungsjahre 1939 – 1945 gefallenen und ermordeten Mitarbeiter und Patienten des Psychiatrischen Szpitals Dziekanka“. August 1948, Beschäftigte des Szpitals.“ Gedenkzeremonien an die Morde finden am Begräbnisort im Wald von Jarogniewice statt (s. dort). Adresse: ul. Poznańska 15, Gniezno.

Literatur/Medien
Aly, Götz: Die Belasteten. 'Euthanasie' 1939-1945, Bonn 2013 (BpB), S. 96, 251
Klee, Ernst: „Euthanasie“ im NS-Staat .., Frankfurt/M. 1985, S. 105ff., 392f., 410ff.
Rieß, Volker: Die Anfänge der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Wartheland 1939/40, Frankfurt/M. 1993, bes. S. 311ff.
https://www.gedenkort-t4.eu/en/historic-places/2xg4q-landesheil-und-pflegeanstalt-tiegenhof-wojewodzki-szpital-dla-nerwowo-i#quick-overview

(2021 – Uhh)