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Józefów (Powiat Biłgorajski)

Woiwodschaft Lublin/Wojew. Lubelski

Alte Synagoge, heute Bibliothek; Quelle: wikimedia

Der Ort
Gemeinde von knapp 2.500 Einwohner*innen (2019), umgeben von Wäldern, 40 km südlich von Zamość (DW 849), 110 km südlich von Lublin (DW 835), 45 km nordwestlich der Grenze zur Ukraine.

Krieg, deutsche Besatzung, Judenverfolgung
Vor dem Krieg waren über die Hälfte der Einwohner*innen jüdisch, viele waren nach der Wirtschaftskrise und Schließung lokaler Betrieb verarmt und lebten von Unterstützung. Teile des Dorfs wurden Anfang September 1939 von Deutschen bombardiert und stark zerstört. Als die Rote Armee, die vorübergehend in das Dorf eingerückt war, sich nach wenigen Tagen zurückzog, schlossen sich eine Anzahl jüdischer Menschen an. Die Wehrmacht besetzte Józefów Ende September 1939. Die Synagoge wurde zerstört (nach dem Krieg wieder aufgebaut und – seit einigen Jahren - als städtische Bibliothek genutzt.

Die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung begann mit einzelnen „Aktionen“. Am 18. März 1941 verschleppten die Besatzer im Rahmen der „Umsiedlungen“ vom (annektierten) Warthegau in das Generalgouvernement etwa 1100 meist ältere jüdische Menschen aus Konin nach Józefów. Die Wohnungs- und Lebensbedingungen verschlechterten sich, Flecktyphus brach aus, viele Menschen starben. Am 1. Mai 1942 verhaftete die Gestapo 20 – angeblich kommunistische - Juden wegen Widerstand gegen die beginnenden Deportationen in das Todeslager Belzec, möglicherweise wurden sie in das KZ Majdanek gebracht. Von da an verlief kaum eine Woche ohne Tote bei „Besuchen“ der Gestapo, Schupo oder Bahnpolizei; am 11. Mai z. B. quälten und erschossen drei Gestapo- oder Schupomänner 130 Juden in den Straßen und in einem nahen Steinbruch.

 


Steinbruch bei Józefów; Quelle: wikimediaMassaker am 13. Juli 1942

Mit der nächsten ‚Akcja“ am 13. Juli 1942 hatte Odilo Globocnik, der SS-Oberste des Distrikts Lublin und Chef der „Aktion Reinhardt“, das 500 Mann starke Reserve-Polizeibataillon 101 der Hamburger Polizei beauftragt. Die Männer sollten die jüdische Bevölkerung, damals etwa 1500 Personen, „zusammenfassen“, die Arbeitsfähigen selektieren und zum Bahnhof bringen (das hatten sie schon öfter gemacht) und die anderen erschießen (das war neu für die meisten).
Der Kompaniechef, Major Trapp, informierte seine Leute im Morgengrauen erst kurz vor der Ankunft im Ort über ihre Aufgaben und die geplanten Erschießungen; er empfahl ihnen, an die Bombentoten in der Heimat zu denken und sagte: Wer sich der Aufgabe nicht gewachsen fühle, möge vortreten. Einer meldete sich, im Laufe des Tages schlossen sich mindestens zehn andere seinem Beispiel an, sie bekamen andere Aufgaben; keiner wurde bestraft.

Polizisten umstellten das Dorf. „Die übrigen sollten die Juden zusammentreiben und zum Marktplatz bringen. Alle Juden, die zu krank oder zu schwach seien, zum Marktplatz zu laufen, und alle, die Widerstand leisteten oder versuchten, sich zu verstecken, sowie alle Kinder müssten auf der Stelle erschossen werden“ (Browning, a.a.O., S. 88). Kommandos von zwei bis vier Polizisten durchsuchten das jüdische Viertel. „Die Juden wurden aus den Häusern getrieben, die Alten und Kranken umgebracht; Schreie und Schüsse erfüllten die Luft .. Mehrere Polizisten erklärten, sie hätten davon gehört, dass alle Patienten des jüdischen Hospitals und die Bewohner des jüdischen Altersheims auf der Stelle erschossen wurden“. Unterschiedliche Aussagen gab es auf die Frage betr. Säuglinge und Kleinkinder. Einige behaupteten, „es seien auch Babys erschossen und sterbend in den Häusern und Straßen zurückgelassen worden“. Ein anderer merkte an „Ich habe während des ganzen Vormittags beobachten können, dass sehr zahlreiche Frauen beim Abtransport Säuglinge und Kleinstkinder auf dem Arm trugen“…. „keiner der Offiziere unternahm etwas dagegen, dass Säuglinge und Kleinkinder zum Marktplatz mitgebracht wurden“ (Browning, a.a.O., S. 90f.).

 

Etwa 300 junge Männer wurden auf dem Marktplatz zur (Zwangs-) Arbeit ausgesucht, zum Bahnhof und von dort wahrscheinlich in das Zwangsarbeitslager Lublin-Flugplatz gebracht.

Die anderen wurden nach und nach auf einem LKW zu einem Waldstück gefahren, abgeladen und zum Exekutionsort gebracht. Sie mussten sich mit dem Gesicht zur Erde hinlegen und wurden einzeln erschossen. Die auf dem Marktplatz noch Wartenden konnten die Schüsse hören. Inzwischen kam der nächste LKW mit weiteren Opfern. Die Erschießungen waren erst am Nachmittag beendet. Die Leichen wurden von den Polizisten nicht bestattet, das wurde der Gemeinde Józefów überlassen.

Denkmal 1974; Quelle: en.wikipedia + https://sztetl.org.pl/en/file/37640 Gedenkstein; Quelle: Akademie der Polizei Hamburg

Gedenken
In den 1970er Jahren wurde ein Denkmal „an den Massenmord an polnischen Juden durch Hitlerdeutsche“ errichtet, ein großer Felsbrocken, an der Straße nach Bilgoraj. 2016 wurde ein Gedenkstein der Hamburger Polizei nahe dem Erschießungsort im Wald eingeweiht. Er trägt die Inschrift: „Im Gedenken an mindestens 1500 jüdische Kinder, Frauen und Männer aus Józefów, die dort am 13.07.1942 durch Polizisten des 101. Reserve-Polizeibataillons aus Hamburg ermordet wurden. In Demut verbeugen wir uns vor den Opfern. Polizei Hamburg 2016“ (s. Fotos). Die Polizei Hamburg führt seit einigen Jahren Gedenkfahrten mit Polizeianwärter*innen nach Józefów durch.
Weg zum Denkmal bzw. Gedenkstein: Von der Ortsmitte Józefów auf der DW 853 nach Bilgoraj; am Ortsende liegen rechts zwei kleine Seen.
Zum Denkmal: Am Parkplatz neben dem ersten See etwa 300 Meter weiter auf der Straße gehen, rechts kann man das Denkmal sehen.
Zum Gedenkstein: Vom Parkplatz wenige Meter zu Fuß weiter auf der Straße, bald führt links ein - nicht gekennzeichneter – leicht ansteigender Waldweg zum Gedenkstein. Dahinter sind Umrisse der Massengräber zu sehen.

Die Ereignisse werden in den Büchern von Chr. Browning (S. 86ff.) und D. Goldhagen (S. 252ff.)
ausführlich geschildert und analysiert. Ebenso weitere Verbrechen, dieses und anderer Polizei-Bataillone im Rahmen der Shoah/der sog. „Endlösung der Judenfrage“ (vgl. Sachstichworte Ordnungspolizei, Reserve-Polizeibataillon Nr. 101). Sie kommen zu unterschiedlichen Antworten auf die Frage: „Wie werden „ganz normale Männer “ bzw. „ganz gewöhnliche Deutsche“ zu Massenmördern? - und zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen.

Denkmal 1863 + 2. WK - Rynek/Marktplatz; Quelle: wikimedia

Gerichtsverfahren
Viele vom RPB 101 waren nach dem Kriegsende wieder im Polizeidienst tätig. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat – nach umfangreichen Vorermittlungen durch die „Zentrale Stelle“ Ludwigsburg - 210 ehem. Bataillonsangehörige vernommen und 14 davon angeklagt. Bilanz nach den Urteilen des Landgerichts Hamburg (1968) und des Bundesgerichtshofs (1973): Hauptsturmführer Hofmann wurde zu 8 Jahren Haft verurteilt, vom BGH auf 4 Jahre reduziert; Wohlauf zu 8 Jahre Haft (Revision zurückgewiesen), Dreyer 3 ½ Jahre Haft, bei 10 Angeklagten (meist niederen Rängen) sah das Gericht von Strafe ab – „wegen geringer Schuld“.
Der Kompaniechef, Major Trapp, war von dem polnischen Gericht in Siedlce zum Tode verurteilt und 1948 hingerichtet worden - wegen der Exekution von 78 polnischen Geiseln, die als „Vergeltung“ nach einer Partisanenaktion festgenommen worden waren; weitere ehem. RPB 101 Beteiligte bekamen 8 bzw. 3 Jahre Haft (vgl. Browning, a.a.O., S. 190ff; Rüter/de Mildt, a.a.O., Bd. XXVII Nr. 670 a und b; Bd. XXXVII, Nr. 772.)

1943 waren sowjetische und polnische Partisanen sowie einige Juden im Raum Józefów aktiv. Juni-Juli 1943 führten die Deutschen im Raum Józefów eine breite „Pazifikation“ durch, bei der sie viele Menschen erschossen. An die Helden und Opfer des antizaristischen Aufstands von 1863 sowie von Nazistischem Krieg und Besatzung (1939-1944) erinnert das Denkmal ‚Pomnik Pamięci w Józefowie‘ auf dem Marktplatz (Rynek).

Die Männer des Reserve-Polizeibataillons 101 haben viele weitere Morde verübt, sie waren u.a. direkt beteiligt an der Exekution von mindestens 38.000 Juden bei der ‚Aktion Erntefest‘ mit 3./4. Oktober 1943 in Lublin, Majdanek, Poniatowa und Trawniki (vgl. Browning, a.a.O., S. 179ff. Sowie 189). Später wurden sie bei sog. „Partisanenbekämpfung“ im östlichen Polen und der westl. Sowjetunion eingesetzt.

Literatur/Medien
Browning, Christopher R.: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, erweiterte Neuauflage 2020
Goldhagen, Daniel J.: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996, bes. S. 252-266
Rüter/de Mildt (Hg.): Justiz und NS-Verbrechen, Amsterdam/München bzw. Berlin 2003
Teatr NN - Lexicon/Miasteczka Lubelszczyzny/Józefów Biłgorajski – the shtetl
http://www.deathcamps.org/occupation/jozefow%20bilgorajski%20ghetto.html
http://www.holocaustresearchproject.org/ghettos/jozefow.html (Kuwalek)
https://www.spiegel.de/politik/dt-ordnungspolizisten-judenmassaker-in-polen (7/1993)