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Sanary-sur-Mer

Region Provence-Alpes-Côte d'Azur, Departement Var

Hafen von Sanary-sur-Mer. Quelle: wikimediaTafel mit 68 Namen am Tourismusbüro


Der Ort
Küsten- und Badeort, 16605 Einwohner*innen (2017), ca. 15 km westlich von Toulon und 50 km östlich von Marseille. Auto: A 50 sortie/Ausfahrt 12 bzw. 13 oder Küstenstraße D 559. Bahnhof an Strecke Toulon–Marseille. Der in den 1930er und 40er Jahren kleine Fischerort an der provenzalischen Mittelmeerküste bot zahlreichen deutschen und österreichischen Künstlern und Schriftstellern Zuflucht vor der NS-Verfolgung. Die Gemeinde erinnert seit einigen Jahren auf unterschiedliche Art an die Männer und Frauen und ihre Schicksale.

Villa La Tranquille (Thomas u. Katia Mann)Tafel Thomas u. Katia MannEiner der ersten war der Elsässer Schriftsteller René Schickele, der 1932 von Badenweiler nach Sanary-sur-Mer emigrierte. Es folgten viele weitere, die für kürzere oder längere Zeit in Sanary oder anderen Orten wie Bandol oder Le Lavandou blieben; berühmte wie Heinrich, Thomas und Katia, Erika, Klaus und Golo Mann, Franz Werfel und Alma Mahler, Ludwig Marcuse, Stefan Zweig, Alfred Kantorowicz, Alfred Kerr, Erich Maria Remarque und weniger berühmte wie Joseph Breitbach, Emil Julius Gumbel, Franz Schoenberner, Hilde Stieler oder Emil Alphons Rheinhardt. „Bisweilen war ein guter Teil der besten deutschen Literatur im Dorf und saß im 'Marine' oder bei der 'Witwe Schwob'. Sanary war ein sehr umfangreiches 'Romanisches Café', mit Marmor-Tischen und Badehosen … Die Luft war geschwängert mit originellen Aperçus, Indiskretionen und Krächen“ (Ludwig Marcuse). 

Lager Les Milles (heutiger Zustand)Krieg, Internierung, deutsche Besetzung
Mit Kriegsbeginn 1939 und dem deutschen Angriff auf Frankreich 1940 war es mit der Ruhe in dem in der unbesetzten Südzone liegenden Dorf vorbei. Die deutsche Besetzung im November 1942 beendete endgültig das „aufgezwungene Paradies“ (Ludwig Marcuse).
Im Herbst 1939 wurden viele deutsche, österreichische und tschechische Emigranten als 'feindliche Ausländer' interniert, auch und obwohl sie als Hitlergegner nach Frankreich geflüchtet waren. Walter Hasenclever, Lion Feuchtwanger, Golo Mann, Franz Hessel und andere kamen in das Lager Les Milles, sie wurden meist nach kurzer Zeit entlassen (der Krieg tobte noch nicht auf französischen Boden, vgl. Drôle de guerre).

Hier wohnten F. u. H. Hessel und A. u. F. KantorowiczGedenktafel an die Bewohner/innenNach der deutschen Invasion in Frankreich bat der Bürgermeister von Sanary im Mai 1940 den Präfekten, die 'feindlichen' Deutschen aus seiner Gemeinde zu entfernen (vgl. Bernhard, a.a.O., S. 85). Eine zweite Internierungswelle in Les Milles folgte, jetzt durch das kollaborierende Vichy-Regime, das härter gegen 'unerwünschte Ausländer' und Juden vorging. Ein Anzahl konnte, z.T. mit Hilfe des Rettungsnetzwerks um Varian Fry, auf abenteuerlichen Wegen in ein anderes Land entkommen: z.B. Lion und Marta Feuchtwanger, Wilhelm Herzog, Alma Mahler und Franz Werfel, die Mann-Familie, Alfred Kantorowicz, Kurt Wolff. Walter Hasenclever nahm sich in Les Milles aus Furcht vor den deutschen Truppen das Leben. Franz Hessel starb 1941 an den Folgen eines Schlaganfalls, den er im Lager Les Milles erlitten hatte (Vater von Stéphane Hessel, Autor von 'Indignez vous!'/Empört Euch!); Mieter/innen im Haus waren Helen und Franz Hessel sowie nach dessen Tod Alfred und Friedel Kantorowicz (Le Mas de la Carreirado, Impasse Lou Cimai).

 

Faltblatt der Gemeinde Sanary Gedenken
Längere Jahre erinnerte nichts an die deutschen und österreichischen Literaten und Künstler. Im September 1987 wurde eine Gedenktafel mit 36 Namen enthüllt. 2003 gab der damalige Bürgermeister Bernard ein Büchlein heraus, mit vielen Informationen über die zeitweiligen Bewohner/innen des Fischerdorfs. 
Tafel Liesl und Bruno Frank 2017 verzeichnet die Tafel am Tourismusbüro 68 Namen (1 Quai du Levant). Dort sind auch eine Broschüre sowie ein Faltblatt erhältlich, jeweils mit Wegbeschreibung zu den Wohnhäusern. An ehemaligen Wohnungen von exilierten Literaten und Künstlern sind Gedenktafeln (französisch, deutsch, englisch) angebracht; sie sind auf bestimmten Stadtplänen verzeichnet, über die das Tourismusbüro verfügt. Nachfolgend einige Beispiele.

Der Schriftsteller Bruno Frank (1887 – 1945) emigrierte 1933 mit seiner Frau Liesl und wohnte zeitweise in Sanary (Villa La Côte Rouge, 385 Chemin de la Colline), in der Nähe von Thomas Mann, den er von früher kannte. Am 10. Mai 1934, ein Jahr nach der 'Bücherverbrennung' durch die Nazis, gründeten Bruno Frank, Alfred Kantorowicz, Heinrich Mann, Romain Rolland u.a. in Paris die Deutsche Freiheitsbibliothek – Bibliothek der verbrannten Bücher – mit über 15000 in Deutschland verbotenen Büchern. Sie wurde 1940 nach der deutschen Invasion von französischer Polizei beschlagnahmt und vermutlich wenig später von der Wehrmacht zerstört (Boulevard Arago 65, Paris 13°). Bruno und Liesl Frank konnten 1939 über England in die USA ausreisen.

Tafel Alma Mahler-Werfel und Franz Werfel

Ehemalige Mühle Le Moulin GrisDer österreichische Schriftsteller Franz Werfel („Die Vierzig Tage des Musa Dag“ über den Völkermord an den Armeniern) und seine Frau Alma Mahler waren 1938 kurz vor der Einverleibung Österreichs in das NS-Reich über Italien nach Frankreich emigriert. Sie wohnten bis 1940 in einer umgebauten Mühle über den Klippen (Villa Le Moulin Gris, 9 Chemin de la Colline). 1940 gelang ihnen, Heinrich Mann u.a. mit Hilfe des Rettungsnetzwerks von Varian Fry die Emigration über Spanien in die USA.

Villa Si Petite © Peter EisenburgerTafel Lola Humm-SernauLola Sernau (1895 – 1990) war von 1926 bis 1941 die Privatsekretärin von Lion Feuchtwanger. 1933 rettete sie einige Manuskripte, bevor die SA Feuchtwangers Haus durchsuchten und plünderten. Sie ließ sich ebenfalls in Sanary nieder (Villa Si Petite, 92 Boulevard Dr-Raphaël-Boyer). 1940/41 wurde sie im Lager Les Milles interniert – obwohl sie durch die Heirat mit Fritz Humm Schweizer Bürgerin geworden war. Sie konnte Teile von Feuchtwangers Bibliothek retten, seine Josephus-Trilogie zu Ende schreiben und an den New Yorker Verlag schicken. Nach dem Krieg war sie – in der Schweiz – als Übersetzerin von amerikanischer Literatur tätig.

Tafel Friedrich Wolf und Ruth HerrmannDer Arzt, Dichter und Kommunist Friedrich Wolf (1888 – 1957) wurde 1933 ausgebürgert und ging nach Moskau, 1937 meldete er sich zu den Internationalen Brigaden in Spanien und kam nach Sanary. Am Place Michel Pacha, im Zentrum des Orts, nahe bei Geschäften und Hafen, lebte er mit Ruth Hermann zusammen, die im Mai 1940 das gemeinsame Kind gebar. Die Ärzte und Krankenschwestern schützten sie vor der Polizei, die sie verhaften und internieren wollten. Bei Kriegsbeginn 1939 wurde er als 'unerwünschter Ausländer' in dem berüchtigten Internierungslager Le Vernet d'Ariège gefangen, später in Les Milles. Er kam im März 1941 dank eines (falschen) sowjetischen Passes frei und konnte in die Sowjetunion ausreisen. Nach dem Krieg lebte er in der DDR.

 

 

 

 

 

Künstler*innen und Schriftsteller*innen in Sanary-sur-Mer 1933–1945,
der „Hauptstadt der deutschen Literatur im Exil“ (Ludwig Marcuse):

Sybille „Billux“ Bedford Heinrich Mann
Ernst Bloch Thomas und Katja Mann
Walter und Camille Bondy Valeriu Marcu
Bertolt Brecht Ludwig Marcuse
Joseph Breitbach Fritzi Massary
Ferdinand Bruckner Julius und Annemarie Meier-Graefe
Fritz Brügel Alfred Neumann
Franz Theodor Csokor Robert Neumann
Albert Drach Balder Olden
Willi Eisenschitz Erwin Piscator
Lion und Marta Feuchtwanger Anton Räderscheidt
Bruno und Liesl Frank Erich Maria Remarque
Emil Julius Gumbel Emil Alphons Rheinhardt
Walter Hasenclever Joseph Roth
Wilhelm und Alice Herzog Ilse Salberg
Franz und Helen Hessel René und Anna Schickelé
Lola Humm-Sernau Franz Schoenberner
Hans Arno Joachim Leopold Schwarzschild
Alfred und Frieda Kantorowicz David, Anna u. Anatole Seifert
Alfred Kerr Hans Siemsen
Hermann Kesten Hilde Stieler
Egon Erwin Kisch Wilhelm Thöny
Erich Klossowski Christiane Grautoff-Toller
Arthur Koestler Ernst Toller
Anette Kolb Franz Werfel und Alma Mahler-Werfel
Fritz Helmut Landshoff Friedrich Wolf und Ruth Hermann
Rudolf Leonhard Kurt Wolff
Mechtilde Lichnowski Theodor Wolff
Erika Mann Otto Zoff
Klaus Mann Arnold Zweig
Golo Mann Stefan Zweig

 

 

Literatur/Medien 
Bernhard, Ferdinand: Sur les pas des Allemands et Autrichiens en exil à Sanary 1933–1945, Sanary-sur-Mer 2004 (frz., engl., deutsch)
Flügge, Manfred: Das flüchtige Paradies. Künstler an der Côte d'Azur, Berlin 2008
Grandjonc, Jacques/Grundtner, Theresa (Hg.): Zone der Ungewissheit. Exil und Internierung in Südfrankreich 1933-1944, Reinbek 1996
Marcuse, Ludwig: Mein zwanzigstes Jahrhundert. Auf dem Weg zu einer Autobiographie, München 1960
Müller-Münch, Ingrid: Das aufgezwungene Paradies, Frankfurter Rundschau v. 16.9.2017, S. 14f.
Nieradka, Magali Laure: 'Die Hauptstadt der deutschen Literatur'. Sanary-sur-Mer als Ort des Exils deutschsprachiger Schriftsteller, Göttingen 2010 
Wunderlich, Heike/Menke, Stefanie : Sanary-sur-Mer. Deutsche Literatur im Exil. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart, Weimar, 1996 
http://de.wikipedia.org/wiki/Sanary-sur-Mer 
http://www.eisenburger.de/provence/sanary-les-allemands/sanary-les-allemands.html
http://www.frankreich-sued.de/sanary-sur-mer-server/exildeutsche.htm 
http://www.spiegel.de/reise/europa/sanary-sur-mer-paradies-wider-willen-a-376898.html
https://www.zeit.de/1984/34/nische-fuer-vertriebene