Region Kreta - Regionalbezirk Rethymno
Die Orte
Die Dörfer Gerakari, Vryses und Anos Meros liegen oberhalb des Amari-Beckens an den Hängen des Kedrosgebirges der Insel Kreta. Seit dem Jahr 1998 zählen die drei Orte, in denen am 22. August 1944 von deutschen Wehrmachtstruppen über 100 Menschen ermordet wurden, zu den Märtyrerorten Griechenlands (gem. Präsidialdekret 399/1998).
Zu erreichen sind die Kedrosdörfer von Rethymno aus über die Straße nach Spili, wo am Ortseingang die sehr gut ausgebaute Straße Richtung Gerakari abzweigt (37 km). Hinter Gerakari führt die Straße über Vryses weiter nach Ano Meros (45 km).
Die Ereignisse
Das Unternehmen „Abschiedsfest-Sommernachtstraum“
Kurz vor dem Abzug der Mehrzahl der deutschen Truppen und dem Rückzug der restlichen Soldaten in das Gebiet der ,,Kernfestung Kreta“ im äußersten Westen der Insel, erließ der zum Kommandanten der Festung Kreta ernannte General Friedrich-Wilhelm Müller am 14. August 1944 nach mehreren Überfällen auf deutsche Stellungen einen Befehl zu harten Vergeltungsmaßnahmen: „Zurückhaltung (...) gegenüber nichtschuldigen Männern, Frauen und Kindern“ sollte laut seinem Befehl nicht geübt werden, Dörfer mit „besonders feindseliger Bevölkerung“ nach ihrer Evakuierung vollständig zerstört und Ortschaften, in deren Nähe Wehrmachtsangehörige überfallen wurden, ohne Vorwarnung beschossen werden. „Durch „scharfes Zupacken“ seitens der Divisionen sollte der griechischen Bevölkerung der Wille der Okkupanten „aufgezwungen“ und gleichzeitig bewiesen werden, daß die Wehrmacht in der Lage sei, ihre Macht auf ganz Kreta durchzusetzen“ (Xylander, S. 125). Anogia war bereits tags zuvor total zerstört worden.
Basierend auf diesem Befehl drangen Truppen des Grenadierregiments 733 der 133. Festungsdivision am 22. August 1944 in die Amari-Region ein - das Unternehmen lief unter dem Namen „Abschiedsfest-Sommernachtstraum“ - und zerstörten 13 Dörfer, unter anderem Gerakari, Vryses und Ano Meros. Im Tagebuch des Offiziers, der die Vergeltungsmaßnahme leitete, heißt es dazu:
„[...] 21. VIII. Einsatzbesprechung für 'Abschiedsfest-Sommernachtstraum': Ich führe 'Abschiedsfest' mit Teilen meines Btl. [...] Die Orte Jeraskari, Gurgudi, Wrysses, Ano-Meros und Kria Wrissi sind zu zerstören als Vergeltungsmaßnahme.
22. VIII [...] In den betreffenden Orten werden bekannte Banditen gefunden, 139 erschossen, einige wegen Waffenbesitz und auf der Flucht erschossen. 200 arbeitsfähige Männer und Frauen werden abtransportiert und 1400 evakuiert. 2 wegen Waffenbesitz mit ihrer eigenen Pistole erschossen. Mein Gefechtsstand in Jerakari. [...]
29. VIII. [...] Am Abend ist gesamte Kampfgruppe in Rethymnon. Eingebracht werden mindestens 225 Rinder, 1400 Schafe u. Ziegen, 25 Schweine, 1500 Ztr. Getreide, 80 Ztr. Hülsenfrüchte, 9000 Liter Öl, 36 Nähmaschinen, Holz, Decken, Wolle, Möbel usw.“ (zit. nach Gilbert, S. 184).
Maren von Xylander schildert die Ereignisse in Gerakari nach Zeitzeugenberichten: „Am Morgen dieses Tages, während die Männer arglos in ihren Betten schliefen, fanden sich die Dörfer von Amari umzingelt von den deutschen Abteilungen. Als sie in Gerakari eingedrungen waren, trieben die Deutschen alle Einwohner des Ortes im Haus von N.Tzotzaki zusammen. Zwei Jugendliche, J. Jannakoudakis und Eustr. Em. Stratidakis, versuchten zu flüchten und wurden vor den Augen der Dorfgemeinschaft erschossen. Weil die Frauen klagten, richteten die Deutschen die Maschinengewehre auf sie und befahlen ihnen, sofort zu schweigen, da sie sonst auf der Stelle erschossen würden. Daraufhin verkündeten sie, daß das Dorf, wie auch die Nachbardörfer, bestraft werde, weil man, als der Partisanentrupp, der General Kreipe mit sich führte, durch das Dorf gekommen sei, die deutsche Obrigkeit nicht unterrichtet habe. Im Anschluß daran befahlen sie den Frauen und Kindern, von deren Habe soviel wie möglich mitzunehmen, da sie eine Reise von 40 km vor sich hätten. Jeder Familie wurde erlaubt, ein Haustier mit sich zu führen. Der Trick der Deutschen war der, die Frauen dazu zu verleiten, alle ihre Wertgegenstände aus den Häusern zu holen und sie an bestimmten Plätzen zu horten, um sie so vor der Zerstörung zu retten; in Wirklichkeit aber war es auf diese Art leichter, diese Gegenstände zu rauben. Hier wiederholte sich das, was auch in Gourgouthos und in Ano Meros geschehen war. Des weiteren zwangen sie die Männer, nachdem sie deren Personalien festgestellt hatten, sich im Schneidersitz auf den abschüssigen Boden zu setzen, und zwar mit dem Rücken zum Abhang hin, was natürlich nur eine Schikane war. Schließlich, als sie die Alten ausgesondert und sie gezwungen hatten, den Frauen zu folgen, hielten sie 36 Männer zur Exekution fest; die übrigen, etwa 75 an der Zahl, davon fünfzig junge Mädchen, führten sie nach Rethymno ab, wo sie für etwa drei Wochen ins Gefängnis gesperrt wurden. Nach der Entfernung der wehrlosen Bevölkerung, sie verteilten sie in verschiedenen Dörfern, begannen sie mit der Erschießung der 36 Männer. Diese wurden jeweils zu zweit in das Haus geführt. Das Maschinengewehr hatte man vor die Außentür des vorderen Zimmers gestellt; die Todeskandidaten wurden im hinteren Teil des Raumes vor die Tür des hinteren Zimmers gestellt; nach jeder Exekution wurden die Toten in das hintere Zimmer geschleppt, so daß sofort ein neues Paar folgen konnte. Nach der Erschießung der 36 Männer vergossen sie im Haus Benzin und setzten es samt der Leichen in Brand. Darauf folgte eine allgemeine Plünderung; acht Tage lang transportierten sie mit Hilfe von dreizehn Autos die Beute ab: Kleidung, Bettwäsche, Dachziegel, Tiere usw. Nach der Plünderung wurden die Häuser in Brand gesetzt und gesprengt. Die Schule wurde bis auf die Grundmauern zerstört, ebenso vier Kirchen des Dorfes und vier Brunnen. Von den 177 Häusern in Gerakari blieb nicht eines stehen.“ (Xylander in Raeck, S. 177f.).
Zwar führte die Route bei der Entführung General Kreipes auch durch die Kedros-Region, in der die SOE-Agenten (Special Operations Executive, britische nachrichtendienstliche Spezialeinheit) große Unterstützung fanden, auch einen Sender unterhielten. Ob es sich bei den Massakern in den Kedrosdörfern jedoch um Vergeltungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Entführung, die bereits vier Monate zuvor stattfand, gehandelt hat, wird in den vorliegenden Quellen unterschiedlich interpretiert. Vielen Autoren (u.a. Xylander, Beevor, Gilbert, Psychoudakis u.a.) erscheint die Sicherung des Abzugs der deutschen Truppen naheliegender zu sein.
Nach 1945
Ein Untersuchungsverfahren beim Landgericht Bremen gegen fünf Angeschuldigte des Unternehmens „Abschiedsfest-Sommernachtstraum“, u.a. gegen Hauptmann Sand, den Kommandanten der ca. 500 Mann starken Einsatztruppe, und die Leutnants Köhler und Brombach, wurde Ende 1961 eingestellt; wegen mangelnder Schuldbeweise wurden die Angeschuldigten außer Verfolgung gesetzt. Das Gericht äußerte zwar Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der „Repressalie“, somit auch an der Rechtmäßigkeit des Befehls, billigte den Angeschuldigten aber zu, lediglich Befehle ausgeführt zu haben. „[...] in Anbetracht der Unbestimmtheit des Kriegsrechts auf dem Gebiet der Repressalie kann nicht festgestellt werden, dass der Befehl offensichtlich rechtswidrig gewesen sei. [...] Den Angeschuldigten ist daher nicht zu widerlegen, dass ihnen ein verbrecherischer Charakter des Befehls nicht bekannt gewesen ist.“ (zit. nach Gilbert, S. 378 aus der Einstellungsverfügung).
Friedrich-Wilhelm Müller wurde nach dem Krieg von den Briten nach Griechenland ausgeliefert und hatte sich zusammen mit den beiden anderen „Festungskommandanten“ Andrae und Bräuer als direkt verantwortlich an den Massenexekutionen (Xylander nennt auf Ebene von Bürgermeisterberichten 3.474 exekutierte Kreter, das Gericht insgesamt 9.000 getötete Zivilisten, Rondholz 1995, S. 84) und der totalen Zerstörung von ca. 40 Ortschaften vor einem Athener Sondergericht zu verantworten. Müller und Bräuer wurden zum Tode verurteilt und am 20. Mai 1947, dem sechsten Jahrestag des Beginns der Invasion auf Kreta, in Chaidari bei Athen hingerichtet.
Gedenken
Gedenkstätte in Gerakari
Vor der Kirche von Gerakari, von Spili kommend auf der linken Straßenseite, befindet sich die Gedenkstätte. Unter dem Datum 22. August 1944 sind die Namen von 30 an diesem Tag hingerichten Männern aufgeführt.
Gedenkstätte in Vryses
Von Gerakari kommend befindet sich die Gedenkstätte kurz vor dem Ortsausgang von Vryses. Unter dem Datum 22. August 1944 sind die Namen von 30 an diesem Tag hingerichten Männern aufgeführt.
Gedenkstätte in Ano Meros
Von Gerakari kommend befindet sich die Gedenkstätte an einer Kurve kurz vor dem Ortseingang von Ano Meros: Eine weiß gekleidete Frau meißelt die Namen der Getöteten in eine Marmorstele. Unter dem Datum 22. August 1944 sind die Namen von 38 an diesem Tag hingerichten Menschen aufgeführt, 34 Männer und 4 Frauen. An der Seitenwand sind die Namen von weiteren 8 Männern aufgeführt, die während der deutschen Besatzung Kretas getötet wurden.
Literatur / Medien:
Beevor, Antony: Crete: The Battle and the Resistance, New York 2014; Gilbert, Harald: Das besetzte Kreta 1941-1945, Ruhpolding 2014; Kadelbach, Ulrich: Schatten ohne Mann. Die deutsche Besetzung Kretas, Mähringen 2002; Xylander, Marlen von: Die deutsche Besatzungsherrschaft auf Kreta 1941-1945, Freiburg 1989; Rondholz, Eberhard: Die Schlacht auf Kreta und der Widerstandskampf unter der deutschen Besatzung von 1941 bis 1945, In: Raeck, Karina: Andartis - ein Monument für den Frieden, Berlin 1995, S. 77-93; Xylander, Maren von: Die deutsche Besatzungsherrschaft und der Widerstand auf Kreta 1941-1945, In: Raeck, Karina: Andartis - Monument für den Frieden, Berlin 1995, S. 177-183