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Słońsk / Sonnenburg

Slonsk

Der Ort
Słońsk (bis 1945 Sonnenburg) ist eine Gemeinde von etwa 3000 Einwohner*innen, ca. 15 km östlich von Kostrzyn nad Odrą (Küstrin) am Rande des Nationalparks Warthemündung [Park Narodowy Ujście Warty]. Mit dem Auto von Poznań (Posen) 157 km (DK 92, DK 24, DK 22); von Berlin 104 km (B 1, ab Grenzübergang Kostrzyn/Küstrin DK 22 →Poznań).

 

Gefängnis Sonnenburg, Luftbild 1945; Foto Yad Vashem, ID 82792KZ Sonnenburg – Die Ereignisse
In Sonnenburg (es gehörte bis 1945 zur Neumark im Deutschen Reich) betrieb die preußische Justiz seit den 1830er Jahren eine Haftanstalt. Dort wurden auch politische Gefangene aus der 1848er Revolution inhaftiert, vor allem polnische Patrioten. 1931 schloss die Justizverwaltung das Zuchthaus wegen hygienischer Mängel und zu hoher Kosten einer eventuellen Renovierung. Die örtliche Bevölkerung, für die das Zuchthaus eine Quelle von Arbeitsplätzen darstellte, beschwerte sich darüber und erreichte die Zusage der NSDAP, das Zuchthaus wieder zu eröffnen.
Unmittelbar nach der Machtübertragung an die NSDAP wurde das leerstehende Gefängnis als Konzentrationslager reaktiviert. Ab April 1933 wurden Gegner des NS-Regimes eingeliefert, vor allem Angehörige der politischen Linken, die während der Repressionen nach dem Reichstagsbrand inhaftiert worden waren.

Carl von Ossietzky, 1934 im KZ Esterwegen; 1) Erich Mühsam, 1928;  2) Hans Litten; 3) Ernst Grube, Stele in Werdau; 4) Portrait Georg Benjamin 1926; 5)

Bekannte Häftlinge waren der Schriftsteller und Pazifist Carl von Ossietzky (an den Haftfolgen gest. 1938 in Berlin), der Schriftsteller Erich Mühsam (gest. 1934 im KZ Oranienburg), der Rechtsanwalt Hans Litten (gest. 1938 im KZ Dachau), der Arbeitersportler Ernst Grube (gest. 1945 im KZ Bergen-Belsen) und der Kinderarzt Georg Benjamin, Bruder des Philosophen Walter Benjamin, gest. 1942 im KZ Mauthausen (vgl. biografische Hinweise auf https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Sonnenburg). Die unhygienischen Zustände, Gewalt und Folter im KZ wurden öffentlich durch die Broschüre „Die Folterhölle von Sonnenburg“, der Bericht des ehemaligen 'Schutzhäftlings' Rudolf Bernstein erschien anonym 1934 in Zürich und Paris. Im Herbst 1933 waren zwischen 1000 und 1200 NS-Gegner eingekerkert. Sie wurden von den SA-Wachmannschaften auf vielfache Weise gequält und erniedrigt. 1934 wurde das Konzentrationslager aufgelöst, die politischen Häftlinge in andere KZ und Haftanstalten verlegt.

Symbol für Nacht-und Nebel-Gefangene; Foto: erinnerungsorte.org Zuchthaus Sonnenburg

Im Frühjahr 1934 wurde das KZ in ein Zuchthaus für politische Gefangene und Straftäter „unter erschwerten Haftbedingungen“ inhaftiert. Zunächst vor allem Deutsche, z.B. Kriegsdienstverweigerer und wegen verbotenem Hören ausländischer Sender, ab 1941 zunehmend auch Polen, z.B. nach Fluchtversuch von der Zwangsarbeit.

Ab 1942 wurden auch Häftlinge aus West- und Nordeuropa hierher verschleppt. Es waren „Nacht und Nebel“-Gefangene, Widerstandskämpfer aus den von Nazideutschland besetzten Ländern West- und Nordeuropas, vor allem Norweger, Dänen, Niederländer, Belgier, Franzosen und Luxemburger (Berichte in Coppi/Majchrzak, a.a.O., S.75 ff.). Hitler hatte nach dem verpassten Sieg über die Sowjetunion befohlen, den zunehmenden Widerstand zu brechen und seine Gegner „spurlos verschwinden“ zu lassen. Sie wurden in deutsche KZ oder Zuchthäuser gebracht, sie hatten kein Recht, mit ihren Angehörigen Kontakt aufzunehmen, sie standen unter strenger Aufsicht.
Die Gesamtzahl der NN-Gefangenen in Sonnenburg wird auf 1500 geschätzt. Sie wurden bewusst unzulänglichen Hygienebedingungen ausgesetzt, so dass die Sterblichkeit durch Krankheiten sehr hoch war.                                                                                                                                                                                              

Auflösung der Haftanstalt

Im November 1944 begann die Auflösung des Zuchthauses Sonnenburg. Die politischen Häftlinge wurden in die Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin und Groß-Rosen bei Breslau (Wroclaw) verlegt. Der Abtransport stockte jedoch wegen Transportschwierigkeiten und wegen des schlechten Gesundheitszustandes der meisten Gefangenen.

ermordete Häftlinge, fotografiert nach der Befreiung; Foto: Bundesarchiv Bild 183-E0406-0022-035 / CC-BY-SA 3.0 de Als die sowjetische Armee Ende Januar 1945 Poznań/Posen eingeschlossen hatte und weiter nach Westen vorstieß, wurde der NS-Justiz klar, dass ein „geordneter“ Abtransport der Gefangenen nicht mehr möglich sein würde. So „übergab“ die Justizverwaltung die Häftlinge der Gestapo. Auf Befehl von Justiz-Staatssekretär Herbert Klemm erschossen Gestapomänner aus Frankfurt an der Oder unter dem Kommando von SS-Hauptsturmführer Wilhelm Nickel in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 innerhalb von wenigen Stunden 819 der noch in Sonnenburg verbliebenen Gefangenen. Darunter waren 91 Luxemburger 'Refraktäre', die sich der Zwangsrekrutierung in die deutsche Wehrmacht widersetzt hatten oder desertiert waren. Nur drei Gefangene überlebten. Das Massaker ist eines der größten unter den Verbrechen der Endphase des Naziregimes.

Die Toten wurden im Gefängnishof liegengelassen, die Mörder und der Rest des Wachpersonals flohen nach Westen. Die Rote Armee entdeckte die Spuren des Massakers wenige Tage später bei der Einnahme von Sonnenburg. Der sowjetische Kommandant ordnete an, dass die verbliebene deutsche Bevölkerung die Opfer in zwei Massengräbern zu bestatten habe. Diese wurden zunächst in östlicher Richtung vom Gefängnis angelegt; später wurde die Begräbnisstätte an den westlichen Ortsrand verlegt (Gefangenenfriedhof, s.u.).

Nach 1945 – Strafverfahren gegen Verantwortliche
Polnische Justizbehörden begannen Untersuchungen, viele wurden vorläufig eingestellt, z.B. weil die westdeutsche Justiz Auskunftsersuchen etc. meist nicht beantwortete. Das Landgericht Schwerin verurteilte den SS-Wachführer Heinz Adrian zum Tode, er wurde im November 1948 hingerichtet.
Wegen des Massakers bei der Räumung des Zuchthauses Ende Januar 1945 wurden angeklagt:  Staatssekretär Herbert Klemm  wurde am 14. Dezember 1947 von einem US- Militärgericht im Nürnberger Juristenurteil zu lebenslanger Haft verurteilt, aber im Februar 1957 aus der Haft entlassen. Die SS-Sturmbannführer Heinz Richter und Wilhelm Nickel von der Gestapo Frankfurt/Oder wurden am 2. August 1971 vom Landgericht Kiel freigesprochen, sie seien nur Gehilfen eines Totschlags gewesen – und der sei inzwischen verjährt (Justiz und NS-Verbrechen, Band 36 Nr. 758, S. 1ff.; Näheres in Coppi/Majchrzak, a.a.O., S.  200ff.).

Museum - 2014 neu gestaltetes Denkmal*) Museum – ältere Gedenktafeln *) Martyriums-Museum*)

Gedenken
Das Gefängnisgebäude wurde Ende der 1940er Jahre abgerissen, die Ziegel wurden zum Wiederaufbau von Warschau verwendet. Das letzte Überbleibsel, ein Teil der einstigen Mauer des Gefängnishofes, gehört heute zu einem an die Gedenkstätte angrenzenden holzverarbeitenden Unternehmen und ist für Besichtigungen nicht zugänglich.

Die erste Gedenkstätte entstand in Słońsk Mitte der 1970er Jahre. Nach dem Systemwechsel in Polen verfiel sie, und ein Teil der ursprünglichen Ausstellung fiel Feuchtigkeit und Schimmel zum Opfer. Nach 2010 wurde das Gebäude mit EU-Mitteln restauriert; Anfang 2015 wurde eine in polnisch-deutscher Kooperation erstellte neue Ausstellung in Betrieb genommen (Näheres vgl. Majchrzak, a.a.O.).

Das Museum des ehemaligen Gefängnisses und Konzentrationslagers befindet sich etwas östlich des Stadtzentrums an der Straße nach Poznań: Muzeum Martyrologii w Słońsku – Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers und Zuchthauses Sonnenburg; Adresse: ul. 3 Lutego 54, 66-436 Słonsk; https://de-de.facebook.com/muzeumslonsk/; Öffnungszeiten: Mi-So 11.00-16.00, Eintritt frei. Die Schautafeln sind ins Deutsche übersetzt, ein Museumsführer in deutsch ist erhältlich.

Hinweisschild auf Gefangenen-Friedhof*) Friedhof: Gesamtansicht*) Friedhof: Gedenktafel an Gefangene*)

Der Friedhof, auf dem ein Teil der Opfer des Massakers vom 30./31. Januar 1945 bestattet ist, liegt westlich von Słonsk zwischen der Straße DK 22 nach Kostrzyn an der ul. Kolejowa; diese biegt nach etwa 4 km nach links ab Richtung Czarnów. Zum Friedhof weist ein Schild mit der Aufschrift „Cmentarz Jeniecki“ (Gefangenenfriedhof).

Fotonachweise
1) Carl von Ossietzky, Bundesarchiv_Bild_183-R70579, CC-BY-SA 3.0
2)
Erich Mühsam, Bundesarchiv_Bild_146-1981-003-08, CC-BY-SA 3.0
3) Hans Litten,  scoopnest.com
4) Ernst Grube, Vwpolonia, wikimedia, CC BY 3.0
5) Georg Benjamin, Nachlass Hilde Benjamin, wikimedia commons

Text und *Fotos: R. Lauterbach 2015/Ergänzung Uhh 2021

Literatur/Medien
Benz, Wolfgang/Distel, Barbara (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 2: Frühe Lager… Sonnenburg,  München 2005, S. 200ff.
Coppi, Hans/Majchrzak, Kamil (Hg.): Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg. Berlin 2015
Majchrzak, Kamil: Möglichkeiten europäischer Erinnerungsarbeit. Das deutsche Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg, in: informationen 89 (Mai 2019), S. 25ff.
Bernstein, Rudolf: Folterhölle Sonnenburg. Tatsachen- und Augenzeugenbericht eines ehemaligen Schutzhäftlings, Zürich / Paris 1934
http://www.memorialmuseums.org/denkmaeler/view/143/Martyriumsmuseum-Sonnenburg (dt.)
https://erinnerungsorte.org/miejsca/slonsk-museum-der-maertyrer-von-sonnenburg (dt.) https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Sonnenburg
https://fr.wikipedia.org/wiki/Sonnenburg (u.a. frz. Häftlinge)
https://de.wikipedia.org/wiki/Herbert_Klemm https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Richter_(Jurist) https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Nickel_(SS-Mitglied