Bezirk Klaipėda

Der Ort
Die Stadt Palanga mit geschätzten 15.400 Einwohnern (2018) ist der bekannteste und beliebteste Ferien- und Kurort Litauens und neben der Kurischen Nehrung ein bedeutendes Zentrum des litauischen Fremdenverkehrs. Mit dem Hafen Šventoji und kleineren Gemeinden im Umreis ist Palanga neben Neringa der zweite selbstverwaltete Kurort. Er liegt ca. 30km nördlich von Klaipėda. Sehenswert sind der im 19. Jahrhundert eingerichtete Botanische Garten und das Bernsteinmuseum. 2013 war Palanga Kulturhauptstadt Litauens. Von Klaipėda aus ist Palanga auf der A13 zu erreichen, von dort sind es weniger als 20km zur lettischen Grenze.

Die Ereignisse
Bereits am 22. Juni 1941, dem Tag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, wurde Palanga (deutsch Polangen) von deutschen Soldaten ohne Widerstand eingenommen. Einige Tage später trafen die Gestapo von Klaipėda und litauische Hilfspolizisten unter dem Kommando von Pranas Lukys, dem Leiter der nationalistischen Litauischen Aktivistenfront (LAF) Kretinga, in Palanga ein. Sie hatten den Befehl, Kommunisten und jüdische Bewohner unter dem Vorwand, die Juden hätten bereits in Kretinga Feuer gelegt und die Juden in Palanga hätten das Gleiche vorgehabt, zu verhaften. Etwa 250 Menschen mussten sich in der Nähe einer Busstation versammeln, die Frauen und Kinder wurden in der jüdischen Schule eingesperrt, die Männer in der Synagoge.

Palanga Birutė HügelGedenkstein für die ermordeten jüdischen MännerAm 27. Juni 1941 wurden 111 Männer vom 13. Lebensjahr an, unter ihnen auch einige litauische Kommunisten, zum Strand getrieben und in einem kleinen Waldstück zwischen Dünen auf einem Hügel namens „Birutė“ erschossen. Zuvor mussten sie ihre Wertgegenstände abgeben und sich in Gruppen zu 10 Personen aufstellen. Jede Gruppe musste ihr Grab selbst ausheben und die Leichen der zuvor Erschossenen in den Graben werfen. Verantwortlich für die Morde waren Hans-Joachim Böhme, Chef der Gestapo Tilsit, Werner Hersmann vom SS-Sicherheitsdienst (SD) Tilsit und Edwin Sakuth, Chef des SD Memel. Die Erschießungen leitete der Chef der deutschen Schutzpolizei Memel, Werner Schmidt-Hammer, beteiligt waren eine vom Memeler Polizeidirektor Fischer-Schweder entsandte Polizeieinheit aus Memel und Mitglieder einer deutschen Luftwaffeneinheit. Ortskommandant Oberleutnant Hans-Helmut Steuer, zugleich Kommandant des dortigen Fliegerhorstes, stellte ein Erschießungskommando von 16 bis 20 Mann aus dem Ausbildungsregiment einer Jagdfliegerstaffel freiwillig zur Verfügung. Wie bereits in Gargždai und Kretinga gab Schmidt-Hammer vor den am Graben aufgestellten Opfern die Erklärung ab: „Sie werden wegen Vergehen gegen die Wehrmacht auf Befehl des Führers erschossen“ (Landgericht Ulm 1958). Gegen Ende des Massakers wurde auf Befehl Hersmanns, der einen entsprechender Hinweis erhaltern hatte, noch ein jüdischer Kinderarzt gegen den Protest des deutschen Sanitätspersonals aus einem Lazarett in Palanga mit einem Pkw zum Erschießungsort geschafft und in seinem weißen Arztmantel erschossen.

Gedenkstein für die ermordeten jüdischen Frauen und KinderWald von Kunigiškiai, PalangaDie 200 bis 300 in der jüdischen Schule inhaftierten Frauen und Kinder wurden in ein Lager im Dorf Valderiškės gebracht und zunächst zu Zwangsarbeit bei der Bernsteingewinnung eingesetzt. Unter Berufung auf eine Anordnung von Hans-Joachim Böhme befahl der Polizeichef von Kretinga, Pranas Lukys, dem Polzeichef von Palanga, Juozas Adomaitis, alle noch lebenden Juden von Palanga zu erschießen. Am Vorabend des 12. Oktober 1941 wurde den Frauen und Kindern im Lager Valderiškės befohlen, ihre Wertsachen abzugeben, bevor sie angeblich in ein Ghetto in der Nähe von Darbėnai verlegt werden sollten. Sie wurden auf Lastwagen verfrachtet und etwa 4km außerhalb von Palanga im Wald von Kunigiškiai ermordet. Eine Einheit aus zwanzig Polizisten, kommandiert von den beiden Polizeichefs Lukys und Adomaitis, begann noch in der Nacht im Scheinwerferlicht der Lastwagen mit den Erschießungen, die bis zum Morgengrauen andauerten. Die Wertsachen wurden auf den Lastwagen nach Palanga gebracht und dem Bürgermeister der Stadt übergeben.

In Palanga verbrachten in diesem Sommer 1941 über zweitausend Kinder aus ganz Litauen ihre Ferien in einem Lager der kommunistischen Jugendorganisation „Pioniere“. Vom Krieg überrascht, konnten nur wenige von den sowjetischen Behörden evakuiert werden. Nachdem das Lager von „Weißarmbindern“ übernommen worden war, wurden die jüdischen Kinder von den nicht-jüdischen Kindern getrennt. Letztere wurden nach Hause geschickt, die jüdischen Kinder wurden zu den bereits in der Synagoge und im Schulhaus verhafteten Juden gebracht. Ihre Namen und Herkunftsorte wurden auf Listen erfasst, ein paar Kinder je nach Herkunftsort in die jeweiligen Ghettos gebracht. Die meisten Kinder jedoch wurden mit den Juden von Palanga ermordet. Nach sowjetischen Quellen wurde nach dem Krieg in der Nähe des Lagers ein Massengrab mit den Leichen von tausend Kindern gefunden, die nach diesen Quellen am 22. Juni 1941 noch im Lager erschossen worden waren.

An einem nicht genau feststellbaren Tag im August wurden im Dünengelände von Palanga mindestens 60 litauische Kommunisten, unter ihnen auch einige Frauen, erschossen. Die Opfer wurden mit Lastwagen aus dem Lager Dimitravas geholt und, jeweils zwei von ihnen aneinander gefesselt, zum Erschießungsplatz in den Dünen gebracht. Trotz ihrer Fesselung gelang zwei der Gefangenen die Flucht. Das Erschießungskommando bestand aus Grenzpolizisten. Die Gefangen wurden paarweise „an den Graben geführt und dort von Gestapo-Beamten durch Genickschüsse getötet“ (Landgericht Ulm 1958).

Gedenken
Zwei Gedenkorte erinnern an die Massenmorde von Palanga.

Gedenkort für die am 27. Juni 1941 erschossenen 111 Männer
Der Gedenkort Birutė befindet sich am Rand der Dünen im Süden Palangas. Man erreicht ihn vom Zentrum Palangas aus auf der Vytauto-Straße im Botanischen Garten. An den Eingängen befindet sich jeweils ein Übersichtsplan, auf dem der Gedenkort die Nummer 24 trägt, der sich in der Nähe der Meeres-Beobachtungsstation befindet. Vom Haupteingang aus durchquert man den Botanischen Garten zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Man kann auch die Vytauto-Straße mit dem Pkw entlang fahren und auf einem Seitenweg (Markstein Nr. 10) zu Fuß oder mit dem Fahrrad zum Gedenkort gelangen. Die Inschrift erwähnt 105 Opfer, spätere Recherchen ergaben, dass 111 Männer ermordet worden sind. Sie lautet: „In den Dünen im südlichen Teil dieses Waldes haben Nazi Mörder und ihre lokalen Helfer 1941 105 Juden brutal ermordet. Die Erinnerung wird für immer geheiligt bleiben“ (in Jiddisch und Litauisch).
55.90039139 21.05397139 / 55°54.0235'N 21°3.2383'E

Gedenkort für die am 12./13. Oktober ermordeten Frauen und Kinder
Von Palanga aus fährt man auf der A13 in nördlicher Richtung und nimmt den Abzweig Darbėnai (Straße Nr. 2309). Nach ca. 2km biegt man links zu einem mit einer Schranke versperrten Waldweg ein (GPS 55.95398472 21.10171000 bzw. 55°57.2391'N 21°6.1026'E). Zu Fuß erreicht man nach ca. 300 Metern einen ersten schwarzen Markstein, danach führt der Weg rechts 700 Meter zu einem zweiten Markstein, nach weiteren 100 Metern kommt man zum Gedenkort. Der schwarze Gedenkstein trägt die Inschrift (in Jiddisch, Hebräisch und Litauisch): „An diesem Ort haben Hitlers Schergen und ihre lokalen Helfer 1941 200 Juden brutal ermordet.“
55.95983639 21.10181306 / 55°57.5902'N 21°6.1088'E

Literatur / Medien
Dieckmann 2011, Bd. 1, S. 384ff.; Holocaust Atlas 2011, S. 94/95; Kwiet, Konrad: Rehearsing for Murder: The Beginning of the Final Solution in Lithuania in June 1941 (abrufbar unter http://holocaustinthebaltics.com/Konrad-Kwiet.pdf; With a Needle in the Heart: Memoirs of Former Prisoners of Ghettos and Concentration Camps, Vilnius 2003, S. 151ff. (Biographie Tobias Jafetas, S. 153f.); Urteil des Landgerichts Ulm vom 29. August 1958, in: Justiz und NS-Verbrechen, Band XV, Nr. 465 (Verfahrensübersichten Tatland Litauen) unter https://www.expostfacto.nl/

http://www.holocaustatlas.lt/EN/Palanga I ("Mass Murder of Jewish Men from Palanga.")
http://www.holocaustatlas.lt/EN/Palanga II ("Mass Murder of the Jewish Women and Children from Palanga.")
http://www.jewishgen.org/yizkor/pinkas_lita (Dov Levin: Palanga)
http://www.iajgs.org/cemetery/lithuania/palanga.html (International Jewish Cemetery Project)
Execution sites of Jewish victims investigated by Yahad-In Unum (Fotos und Zeugenaussagen)
http://leoryk.fatcow.com/Facts_Opinions_files (Naum Rykliansky: "An interrupted children’s vacation in Palanga.")
http://phdn.org/archives/einsatz-ulm.shtml (Urteil Einsatzgruppen-Prozess LG Ulm vom 29.08.1958, siehe V. Polangen (I).)