Vor dem Landgericht Ulm/Donau fand von April 1958 bis zum Urteil am 29. August 1958 ein Strafprozess gegen zehn Angeklagte statt, denen die Ausführung von Mordtaten an der jüdischen Bevölkerung und an Kommunisten im deutsch-litauischen Grenzgebiet (Memelland) vorgeworfen wurde. Die Mordtaten fanden zwischen Juni und September 1941, unmittelbar nach dem am 22. Juni 1941 beginnenden deutschen Überfall auf die Sowjetunion statt, als die deutschen Truppen in der damaligen Sowjetrepublik Litauen einmarschierten. Angeklagte waren u.a. der damalige deutsche Polizeichef von Memel (heute Klaipėda), Bernhard Fischer-Schweder, der Gestapochef des damals ostpreußischen Tilsit, Hans Joachim Böhme, sowie der damalige Chef des Tilsiter SS-Sicherheitsdienstes Werner Hersmann. Sie hatten mit Angehörigen ihrer Ämter in Absprache mit Walter Stahlecker, Chef der SS-Einsatzgruppe A, das „Einsatzkommando Tilsit“ gebildet, dessen Aufgabe es war, die jüdische Bevölkerung und Vertreter des litauischen Sowjetregimes in den Städten und Dörfern des Grenzstreifens zu ermorden. Das Kommando der Einsatzgruppe hatte SS-Obersturmbannführer Böhme. Den von dieser Einsatzgruppe begangenen Verbrechen fielen zwischen dem 24. Juni und Mitte September 1941 über 5.000 Menschen zum Opfer, in ihrer Mehrzahl litauische Juden und deren Familien, jedoch auch zahlreiche Kommunisten. Die Untaten geschahen u.a. in den Orten Gargždai, Kretinga, Palanga, Tauragė, Darbėnai, Jurbarkas, Kalvarija, Marijampolė, Kudirkos Naumiestis, Žemaičių Naumiestis. Alle vor dem Landgericht Ulm Angeklagten wurden wegen Beihilfe zu Mord zu Haftstrafen zwischen 3 und 15 Jahren verurteilt.

Der Ulmer Prozess war nach jahrelanger Untätigkeit der deutschen Strafjustiz nach Beendigung der Strafprozesse der Alliierten nach 1945 das erste große Verfahren wegen nationalsozialistisch motivierter Verbrechen vor einem deutschen Gericht, das die systematischen Mordaktionen deutscher Täter vor allem aus SS- und Polizeiverbänden und deren Kollaborateure während des Zweiten Weltkriegs zum Gegenstand hatte. Die starke Publizität des Ulmer Strafprozesses und der dadurch bekannt gewordenen Massenmorde führte u.a. zur Einrichtung der „Ludwigsburger Zentralstelle“, die ab 1. Dezember 1958 die Vorermittlungen für die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechen führte.


Literatur/Medien
 
Augstein, Franziska: Strafverfolgung von NS-Verbrechern: Richter, Mörder und Gehilfen. In: Süddeutsche Zeitung vom 17. Mai 2010 (http://www.sueddeutsche.de/ns-strafverfolgung); Mix, Andreas: NS-Prozessse. Als Westdeutschland aufwachte. In: Spiegel Online vom  27. April 2008 (http://www.spiegel.de/ns-prozesse.html); Pätzold, Kurt: Einsatzgruppe Tilsit. In: Junge Welt vom 25. Juni 2011 (http://www.ag-friedensforschung); Tobin, Patrick: Crossroads at Ulm – Postwar West Germany and the 1958 Ulm Einsatzkommando Trial. Dissertation University of North Carolina, Chapel Hill 2013 (https://Patrick Tobin_Einsatzkommando Trial); Urteil des Landgerichts Ulm vom 29. August 1958. In: Justiz und Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945–1966, Bd. XV, Amsterdam 1976, Nr. 465, S. 1-274 (Urteile nachzulesen unter http://phdn.org/archives/holocaust-history.org/german-trials/einsatz-ulm.shtml).

https://de.wikipedia.org/wiki/Ulmer_Einsatzgruppen-Prozess
https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwigsburger Zentrale Stelle
http://www.dw.com/en/landmark-trial-pushed-germany-to-tackle-nazi-past
http://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/rezausstellungen-63 ("Die Mörder sind unter uns. Der Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958". Ausstellung im Haus der Geschichte, Ulm 2008)
http://www.vol.at/2006/04/Der_Ulmer_Prozess.pdf (Dokumentarfilm Südwestrundfunk 2006)
http://seligman.org.il/kretinga/esc