Bezirk Vilnius
Der Ort
Die Gemeinde Švenčionėliai liegt ca. 10km westlich von Švenčionys und zählte 1941 ca. 4.500 Einwohner, inzwischen (2016) sind es nahezu 7.000. Der Fluss Žeimena fließt durch die Stadt. Nach dem Bau der Eisenbahn zu Beginn des 20. Jahrhunderts wuchs Švenčionėliai vom kleinen Weiler zum wichtigen Verkehrsknotenpunkt. Der jüdische Bevölkerungsanteil machte in den 1930er Jahren ein Fünftel der Einwohnerschaft aus. Švenčionėliai ist von Vilnius aus auf der Straße Nr. 102 zu erreichen. Man biegt in Švenčionys auf die Straße Nr. 111 ab und erreicht Švenčionėliai nach ca. 10km.
Die Ereignisse
Bereits im Juli und August 1941 wurden über hundert Juden aus Švenčionys von unbekannten Tätern im Wald bei Švenčionėliai ermordet. In diesen Wochen des politischen Chaos – Einmarsch der Deutschen, Flucht der Roten Armee und der Träger der Sowjetrepublik, Wiedereinsetzung einer litauischen Verwaltung, Aktionen und Morde aufständischer Litauer, Plünderungen jüdischer Häuser, Errichtung eines zeitweiligen Ghettos in der Stadt, Zwangsarbeit von Juden – wurden immer wieder einzelne oder auch ganze Gruppen von Juden von Litauern, die aus der sowjetischen Armee desertiert waren und sich den örtlichen litauischen Aufständischen angeschlossen hatten, verfolgt, viele von ihnen getötet. Vermutlich gilt einer der Gedenksteine im Baranavas Wald, der an 43 ermordete Juden erinnert, den Opfern dieser Wochen.
Anfang August 1941 übernahm das Gebietskommissariat (GBK) Vilnius Land die deutsche Besatzungsverwaltung. GBK-Chef wurde SS-Obersturmbannführer Horst Wulff, der zunächst das „Zusammentreiben“ der örtlichen Juden durch die litauische Verwaltung und Polizei in der Region („Ghettoisierung“) anordnete und schließlich Ende September 1941, die im provisorischen Ghetto von Švenčionėliai inhaftierten Juden in ein Baracken-Lager auf einem ehemaligen Militärgelände zu schaffen. Dorthin waren bereits seit Mitte August viele Juden aus der ganzen Region deportiert worden. Jeder persönliche Besitz der Gefangenen wurde konfisziert. In den Baracken waren Ende September schließlich zwischen 5.000 und 8.000 Männer, Frauen und Kinder (überlieferte Zahlenangaben weichen von einander ab) unter unsäglichen Lebensbedingungen zusammengepfercht. Auf dem Elendsmarsch zu den Baracken gelang es einigen hundert, in Richtung weißrussischer Grenze zu fliehen.
Anfang Oktober erhielt der Bürgermeister von Švenčionėliai den Befehl des GBK, eine große Grube müsse ausgehoben werden, weil die Erschießung der in den Baracken gefangen gehaltenen Juden bevorstehe. Am 5. Oktober, am Tag vor der geplanten Massenexekution, ließ GBK-Chef Wulff die jüdischen Gefangenen zu einem Appell antreten und verlangte von ihnen eine Kontributionszahlung im Wert von mehreren hunderttausend Rubel – dem Massenmord ging eine Erpressung voraus. Weil Wulff die Freilassung nach Zahlung der Erpressung versprach, trugen die verzweifelten Gefangenen Wertgegenstände (Edelsteine und Pelze hatte Wulff gefordert) zusammen, ohne dass die versprochene Freilassung erfolgte. Vielmehr begann tags darauf, am 6. Oktober (nach anderen Erinnerungen am 8. Oktober), die Massenexekution, nachdem zuvor einige hundert litauische Arbeiter eine 200 Meter lange, 10 Meter breite und 3 Meter tiefe Grube ausgehoben hatten. Die Mordaktion dauerte zwei Tage lang an: mindestens fünftausend (wahrscheinlich erheblich mehr Jüdinnen und Juden jeden Alters) wurden von einem unter Befehl der deutschen Sicherheitspolizei stehenden Sonderkommando aus Vilnius unter Mitwirkung litauischer Hilfstruppen, litauischer Polizisten und örtlicher Kollaborateure ermordet. Die Juden wurden von den Baracken aus in Gruppen in die Erschießungsgrube getrieben und dort exekutiert. Einwohner von Švenčionėliai mussten nach der Exekution die Grube, in die auch lebendige Kinder geworfen worden waren, wieder zuschütten. Dem gesamten Massaker fiel die große Mehrheit der jüdischen Bevölkerung der Region Švenčionys zum Opfer. Ein Augenzeuge schrieb in einem Brief an den russischen Schriftsteller Ilja Ehrenburg: „Du musst das Weinen der Mütter und Kinder bis Moskau gehört haben“ (Dieckmann 2011).
Gedenken
Außerhalb von Švenčionėliai erinnern zwei Gedenkorte an die Opfer.
Gedenkort I
In Švenčionėliai fährt man nicht Richtung Zentrum, sondern in Richtung Utena auf die Kaltanėnų-Straße und biegt nach ca. 40m links in die Žeimenos-Straße ein. Man überquert die Bahngleise und den Fluss Žeimena bis zum ersten Hinweisschild aus Holz („I Masinių Žudynių Vieta“), dort biegt man nach links ab. Nach ca. 300 Metern zeigt ein schwarzer Markstein (200m) rechts in den Wald hinein. Ein zweiter Markstein (100m) weist die Richtung zur Gedenkstätte.
Auf den beiden Gedenktafeln vor dem Obelisken stehen die Orte der Region, aus denen die Juden zusammengetrieben und ermordet wurden. Die Inschriften auf den Gedenksteinen lauten (in Hebräisch, Jiddisch und Litauisch): „An diesem Platz töteten die Nazi-Mörder und ihre lokalen Helfer im Oktober 1941 8.000 Juden“ und „Dieser Gedenkstein ist den Juden gewidmet, deren Mordstätte unbekannt ist, 1941–1944“.