Am Tag des deutschen Einmarschs in Litauen (22. Juni 1941) begann die Litauische Aktivistenfront (LAF) einen noch von ihrem Exil in Berlin aus vorbereiteten Aufstand gegen die vom deutschen Angriff überraschten sowjetischen Truppen und gegen die litauisch-sowjetischen Instanzen. Das Unterfangen war militärisch und politisch mit der deutschen Seite (Wehrmacht, Geheimdienst, SS) abgestimmt (Kollaboration). In Kaunas bildete sich am 23. Juni eine von der LAF getragene Provisorische Nationalregierung unter Ministerpräsident Ambrazevičius; ihr Hauptziel war die Wiederherstellung des litauischen Nationalstaates unter dem Schutz Nazideutschlands. Die Provisorische Regierung wollte die Deutschen bei deren Einmarsch vor vollendete Tatsachen stellen und forderte Militär-, Polizei- sowie Verwaltungsangehörige aus der vorsowjetischen Zeit dazu auf, in ihre früheren Funktionen zurückzukehren. Auf deutscher Seite stand jedoch fest, keinen Satellitenstaat zu etablieren, sondern Litauen später dem Deutschen Reich einzugliedern. Das national-litauische Projekt sollte jedoch einige Wochen genutzt werden, um die deutsche Besatzungsherrschaft zu installieren und vor allem die litauische Militär- und Polizeiorganisation hierbei zu integrieren. Ein Versuch der erst im Juni von Anhängern des „Eisernen Wolf“ gegründeten „Litauischen Nationalistischen Partei“ (LNP), einer offen faschistisch-rassistischen Organisation, in der von der LAF bestimmten Provisorischen Regierung mehr Einfluss zu gewinnen, endete mit stärkerer Kooperationsbereitschaft der litauischen Militär- und Polizeiverbände, deren Führung von rechtsextremen Kräften bestimmt wurde. Die Kollaboration der litauischen Seite war damit gesichert. Am 13. August erklärte der nun eingesetzte Generalkommissar für Litauen, von Renteln, die Tätigkeit der Provisorischen Regierung vom 5. August an kurzerhand für beendet. Im Tagebucheintrag von Zenonas Blynas, Generalsekretär der LNP, schreibt er: „6.1.1942. So oder so, den Anfang der Judenmorde machten die Litauer, und zwar unter der provisorischen Regierung“ (zit. in Faitelson 1998).

Weißarmbinder nehmen Juden fest (BArch)In den Wochen zuvor jedoch war in Kaunas, Vilnius und im ganzen Land eine Pogromstimmung gegen Kommunisten und Juden förmlich explodiert, die vom litauischen Untergrund nach deutschem Muster propagandistisch vorbereitet und von der Provisorischen Regierung mit Beschlüssen zur Verfolgung von Kommunisten und Juden untermauert wurde. Am 30. Juni 1941 erteilte die Regierung den Auftrag, ein KZ für Juden und Kommunisten einzurichten. Über Litauen breitete sich eine Pogromwelle aus. Die Opfer wurden vielerorts zusammengetrieben, Wohnungen und Häuser wurden geplündert, in hunderten von Mordtaten wurden sie gejagt und gepeinigt. Zusätzlich wurden die verfolgten Juden und Kommunisten kollektiv für jene Deportationen 1940/41 verantwortlich gemacht, mit denen noch Mitte Juni 1941, kurz vor dem deutschen Einmarsch, ca. 20.000 „antisowjetische Elemente“ – Litauer, Polen, auch viele litauische Juden – vom sowjetischen Geheimdienst nach Russland verschleppt worden waren. Bei den nun folgenden antijüdischen und antisowjetischen Gewaltaktionen trugen die litauischen Nationalisten häufig weiße Armbinden. Sie selbst bezeichneten sich als antisowjetische „Partisanen“ und wurden wegen ihrer Armbinden „Weißarmbinder“ genannt. Aus ihnen rekrutierten sich wenig später u.a. die litauischen Hilfstruppen, die unter der Befehlsgewalt der SS zu ausführenden Organen der Kollaboration bei der Vernichtung der Juden wurden.

Literatur / Medien
Brandišauskas, Valentinas: Neue Dokumente aus der Zeit der Provisorischen Regierung Litauens, in: Bartusevičius u.a. (Hg.): Holocaust in Litauen, 2003, S. 51ff.; Dieckmann 2011, Bd. 1, S. 416ff.; Faitelson, Alex: Im jüdischen Widerstand, Zürich 1998, S. 26; Gräfe 2010: Vom Donnerkreuz zum Hakenkreuz, S. 159ff.; Kwiet Konrad: Rehearsing for Murder: The Beginning of the final Solution in Lituania in June 944: http://holocaustinthebaltics/Konrad-Kwiet-paper.pdf; [Schur, Grigorij] Die Juden von Wilna. Die Aufzeichnungen des Grigorij Schur 1941–1944, hrsg. von W. Porudominskij, München 1999, S. 33f.

https://de.wikipedia.org/wiki/Litauische_Aktivistenfront
https://www.alles-ueber-litauen.de/litauen-geschichte/laf,-pg-und-der-judenmord.html
http://madness-visible.blogspot.de/2011/02/great-and-small-provocations-in.html 
http://www.wikiwand.com/de/Holocaust_in_Litauen (Foto)

Foto
Bundesarchiv, Bild 183-B12290