Region Hauts-de-France/Picardie, Departement Oise
Der Ort
Der Bahnhof von Compiègne liegt im Stadtzentrum (Place de la Gare). Regionalzüge fahren u.a. von und nach Paris-Nord und Beauvais. Neben den Gleisen und dem Bahnhofgebäude befindet sich die Gedenkstätte Deportationswagen.
Die Ereignisse
Die von den deutschen Stellen (SiPO-SD in Paris, Lagerleitung) für die Deportation bestimmten Gefangenen des Internierungslagers Compiègne-Royallieu wurden nach einem Fußmarsch, später in Lastwagen über die alte Oise-Brücke durch die Stadt in die am Bahnhof bereitstehenden Güter- oder Viehwaggons gebracht. Dort begann der zwei- bis viertägige Transport in die Konzentrations- und Vernichtungslager. „An den Viehwaggons stand: 'Pferde 8, Menschen 40.' … Aber es gab keine Pferde, und es waren nicht 40 Menschen in einem Waggon, sondern 80, 100, 110 oder 120, zusammengepfercht wie Vieh... Vier lange Tage rangen wir nach Luft in unseren Käfigen, vier lange Tage machten wir fürchterliche Szenen durch ….“, schrieb Pierre Bur, Überlebender des letzten Transports.
Vom Bahnhof gingen 45 Deportationstransporte zwischen 1942 und 1944 ab. Laut Stele wurden 48000 Menschen wurden in die Nazi-Todeslager deportiert: Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, (Mittelbau-)Dora, Flossenbürg, Mauthausen, Neuengamme, Oranienburg/Sachsenhausen, Ravensbrück, (Natzweiler-)Struthof. Heute geht man von 39559 Deportierten aus, vgl. Delage, S. 140. Zu einzelnen Transporten vgl. Delage, a.a.O., S. 119f.; Husser u.a., a.a.O., S. 149ff.
Der erste Deportations-Transport ging am 27. März 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz mit über 1100 Juden, Opfer einer Razzia in Paris im Dezember 1941 – ein Fanal für die nun einsetzenden Massendeportationen „nach Osten“. Auch der zweite Transport vom 5. Juni ging mit 1000 jüdischen Deportierten in das Vernichtungslager Auschwitz. Die folgenden Deportationen von jüdischen Männern, Frauen und Kindern gingen dann meist über Drancy. 62000 Erwachsene und 11000 Kinder sind nicht zurückgekommen/haben nicht überlebt.
Auch der dritte Transport vom 6. Juli 1942 ging nach Auschwitz, eine der ersten großen Deportationen von 'Politischen' (nach der Deportation der Bergleute aus dem Nord-Pas-de-Calais vom Juni 1941). Er umfasste 1155 Männer (1105 Résistants, überwiegend Kommunisten und Gewerkschafter, die 1941 in gezielten Aktionen als potentielle Geiseln z.B. in Lothringen und Burgund, verhaftet und nach Compiègne geschickt worden waren, sowie 50 Juden) und sollte der 'jüdisch-bolschewistischen Verschwörung' und der Résistance einen Schlag versetzen. Neben die Erschießungen als Repressalie traten jetzt Deportationen. Den Deportierten wurden bei der Ankunft in Auschwitz Häftlingsnummern ab 45000 in den Arm tätowiert – daher der Name 'Transport der 45000'. Näheres vgl. http://www.memoirevive.org/)
Transport vom 24. Januar 1943, der später geteilt wurde: 1466 Männer wurden in das KZ Sachsenhausen und 230 Frauen in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Diese sind am Tag zuvor aus dem Fort de Romainville bei Paris gekommen. Unter ihnen befanden sich Widerstandskämpferinnen, politische Gegnerinnen oder Geiseln, z.B. Danielle Casanova, Charlotte Delbo, Adelaïde Hautval, Maï Politzer, Marie-Claude Vaillant-Couturier; die Überlebenden wurden 1944 in das KZ Ravensbrück verlegt, die Befreiung haben 49 Frauen erlebt. (Der Transport wird auch 'convoi des 31000' genannt, weil den Frauen Häftlingsnummern ab 31000 in den Arm tätowiert wurden). Näheres vgl. Delage, a.a.O., S. 134; http://www.memoirevive.org/convoi-des-31000/
Am 31. Januar 1944 verließ der dritte Deportations-Transport von Frauen Compiègne Richtung KZ Ravensbrück.
Am 27. April 1944 wurden im 'convoi des tatoués' 1670 wegen Widerstands verhaftete Männer, darunter der Poet Robert Desnos und der Gewerkschafter, Kommunist und spätere Minister Marcel Paul (1900 – 1982) in das Todeslager Auschwitz-Birkenau geschickt. Es war der dritte Transport von Nicht-Juden nach Auschwitz. Bei ihrer Ankunft wurden ihnen Häftlingsnummern in den Arm tätowiert (deshalb auch der Name „Transport der Tätowierten“). Fast alle wurden nach wenigen Tagen in das KZ Buchenwald weiter transportiert.
Am 18. Juni 1944 wurden 2139 Männer in das KZ Dachau deportiert. Mehr als die Hälfte kam aus dem Zuchthaus Eysses (Villneuve-sur-Lot, Nouvelle Aquitaine). 1200 Résistants waren nach einem gescheiterten Häftlingsaufstand und Massenausbruch von der französischen Milice den Deutschen übergeben und mit dem Ziel der Deportation nach Compiègne gebracht worden. Mehrere hundert von ihnen überlebten die KZ-Haft nicht.
Im „train de la mort“ („Todeszug“) in das KZ Dachau vom 2. Juli 1944 starben unterwegs 530 der 2162 Männer an Hitze, Wassermangel und den unmenschlichen Bedingungen; 400 weitere gingen im KZ zugrunde. Bei einem Zwischenstopp im Bahnhof Sarrebourg/Lothringen konnten Anwohner/innen die Gefangenen mit etwas Wasser und Suppe versorgen, bis die Wachmannschaften das unterbanden. In dem Zug waren auch 198 Männer, die die Waffen SS-Division 'Das Reich' bei ihren blutigen Repressionsakten im Juni 1944 gefangen genommen hatte, u.a. 135 Männer aus Tulle.
Der letzte Transport vom 17. August 1944 in das KZ Buchenwald sollte ursprünglich am 14. August starten, konnte das aber nicht, weil zwei Résistants Lokomotive und Gleise bei einer Sprengung stark beschädigt hatten. Die 1250 Gefangenen wurden am 17. August mit Lastwagen zu einem Ersatzzug gebracht. Der wartete im Wald von Compiègne, weil die Eisenbahnbrücken und -schienen durch alliierte Flieger zerstört waren (carrefour Bellicard). Ein Denkmal erinnert daran: Die Inschrift lautet: „Am 17. August 1944 sind von hier aus 1250 Männer zum Todeslager Buchenwald losgefahren. Das war der letzte Deportationszug mit Start in Compiègne. Vergesst es nie!“ Jährlich findet um den 17. August eine Gedenkzeremonie statt (auf dem Weg nach Rethondes bei Schild 'La stèle du dernier train pour Buchenwald' von N 31/Avenue de l'armistice in den Forstweg Route Tournante du Grand Parc abbiegen, nach etwa 100 m sieht man links die Stele und den kurzen Fußweg dahin, GPS 49.422033, 2.854967)
Der für den 27. August 1944 vorgesehene Transport wurde von der Résistance und alliierten Truppen in der Nähe von Péronne (Hauts-de-France) gestoppt und das deutsche Wachpersonal festgenommen. Leiter und Wachmannschaften des Lagers mussten sich 1950 vor dem französischen Militärgericht in Metz verantworten.
Mémorial du wagon de la déportation
Neben dem Bahnhof direkt an Gleisen befindet sich die Gedenkstätte 'Deportationswagen'. Die Wagen sind Symbol für Verfolgung, Deportation und Tod der meisten Deportierten in den Lagern. Die zentrale Stele nennt die Zahl der Deportierten und die Namen der Konzentrations- und Vernichtungslager; eine Stele erinnert speziell an die jüdischen Deportierten. Eine Tafel benennt die einzelnen Transporte und die Zahl der Deportierten.
Literatur/Medien
Delage, Christian (Hg.): Le camp de Royallieu (1941-1944). De l'histoire au Mémorial, Compiègne 2008, bes. Kap. IX – Les déportations, S. 119ff.
Delbo, Charlotte: Le convoi du 24 janvier 1943, Paris 1965
Husser, Beate/Besse, Jean Pierre/Leclère-Rosenzweig, Françoise : Frontstalag 122, Compiègne-Royallieu, un camp d’internement allemand dans l’Oise, 1941-1944, Beauvais 2008
http://fr.wikipedia.org/wiki/Gare_de_Compi%C3%A8gne