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Lodz - "Polen-Jugendverwahrlager" Litzmannstadt

Gedenktafel am ehem. Gebäude des Lagers; Foto pl.wikipedia, CC BY-SA 4.0

Der Ort
Am 1. Dezember 1942 wurde nach einem Erlass des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei Heinrich Himmler das „Polen-Jugendverwahrlager Litzmannstadt“ errichtet, ein Konzentrationslager für Kinder und Jugendliche. Die notwendige Fläche wurde vom Ghetto-Gelände abgetrennt. Mit zwei Seiten grenzte es direkt an das Ghetto Litzmannstadt, mit der dritten an den jüdischen Friedhof. Das Haupttor lag an der ul. Przemysłowa 34 (1940-45: Gewerbestraße) und bildete die Verbindung zur Stadt.

Einführung
Alle kriminellen und sonst verwahrlosten minderjährigen Polen im Alter von 8-16 Jahren“ sollten in das „Polen-Jugendverwahrlager der Sicherheitspolizei“ eingewiesen werden. Der Begriff war verharmlosend und irreführend. Reinhard Heydrich, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, meinte wohl eher ein Zwangs-Arbeitslager: „Erziehungsmaßnahmen außer Gewöhnung an Ordnung, Sauberkeit und Arbeit kommen nicht in Frage. An Wissen soll ihnen nur so viel beigebracht werden, dass sie eine einfache Arbeitsanweisung lesen und verstehen können.“ Walter Zirpins, der Chef der Kriminalpolizei in „Litzmannstadt“, „machte keinen Hehl daraus, dass die Ursachen der Verwahrlosung der Kinder in der Schließung der polnischen Schulen und der Zwangsarbeit ihrer Eltern lagen“ (Kosmala., a.a.O., S. 115f.).

Eingeliefert wurden zunächst Kinder und Jugendliche aus dem annektierten Warthegau, ab 1943 auch aus dem Generalgouvernement, dem Deutschen Reich sowie aus Frankreich und den polnischen Ostprovinzen (Kresy). Oft waren die Eltern erschossen worden, in Gefängnissen oder KZ inhaftiert (als vermeintliche oder wirkliche Angehörige von Widerstandsorganisationen, von den NS-Behörden „Terroristen“ genannt) oder zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden. Zahlreiche traumatisierte Kinder hatten zuvor schon andere Lager und Gefängnisse durchlaufen. Ein Drittel der Kinder war zwischen zwei und acht Jahren alt; http://www.lodz-ghetto.com/the_camp_for_polish_children.html,37

 

Lagerkommandant war von Dezember 1942 bis zur Befreiung am 19. Januar 1945 der neue Chef der Kripo von Lodz, SS-Sturmbannführer Karl Ehrlich. Lagerleiter wurde Polizeisekretär Heinrich Fuge, der im März 1943 auch das Außenlager für Mädchen in Dzierżązna bei Lodz übernahm (ca. 22 km  nördlich).

Von Anfang 1943 bis Ende 1944 führten Vertreter des Rasse- und Siedlungshauptamtes im Lager nach der Ankunft eines jeden größeren Transports Selektionen nach rassistischen Kriterien zum Zweck der „Germanisierung“ durch. Die ausgewählten Kinder wurden in einem ehemaligen Klostergebäude in der Nähe des Lagers untergebracht, manche zur Adoption durch Deutsche freigegeben.

Appell der weiblichen Häftlinge (dahinter die Aufseherin Eugenia Pohl/„Genofewa Pol“); Foto: IPN Appell im „Jugendverwahrlager“; Foto: Stefan Baluka

Lagerbedingungen

Im Lager mussten die über Achtjährigen zehn bis zwölf Stunden täglich arbeiten. Bei Bautätigkeiten waren sie beispielsweise als Zugkräfte der mit Baumaterial beladenen Wagen eingesetzt oder an der Walze, die 30 bis 40 Kinder unter Androhung von Schlägen ziehen mussten. Seit Frühsommer 1943 arbeiteten die Kinder und Jugendlichen in verschiedenen Werkstätten. Die Ernährung bestand aus drei Hungerrationen pro Tag. Auf Diebstahl von Nahrung oder das Suchen von Speiseresten im Abfall standen Strafen wie Auspeitschen, Karzer, Strafblock und Streichen der Essensration.

 

Nebenlager

Im August und September 1943 wurde das bisherige Durchgangslager in Konstantynów bei Lodz, das bis zu diesem Zeitpunkt Leidensort für viele tausend Polen aus dem Warthegau gewesen war, zum „Ost-Jugendverwahrlager der Sicherheitspolizei“ umgestaltet; es wurden rund 1.500 Kinder aus der Sowjetunion eingewiesen. Die genaue Zahl der Kinder und Jugendlichen, die das Lager durchliefen, lässt sich nicht genau ermitteln. Etwa 800 bis 900 von ihnen, darunter einige Dutzend Mädchen aus dem Außenlager Dzierżązna, erlebten die Befreiung am 18. Januar 1945.
Die bundesdeutschen Behörden haben das „Polen-Jugendverwahrlager Litzmannstadt“ und das „Ost-Jugendverwahrlager“ in Konstantynów als Konzentrationslager anerkannt.

Denkmal des Martyriums der Kinder; Foto de.wikipedia Denkmal des Martyriums der Kinder (nachts)

Gedenken

1947 wurden sämtliche Überreste des Lagers abgetragen, um Mietshäuser und zwei Schulen auf dem Gelände des neuen Stadtviertels Lodz-Doły zu errichten. Damit geriet dieser Ort zunächst in Vergessenheit. Im September 1969 wurde dann im damaligen Park Promienistych, heute 'Park im. Szarych Szeregów', in der Nähe des ehemaligen Lagers der Grundstein für ein Denkmal gelegt - mit der Inschrift „Möge unser gemeinsamer Ruf  künftige Generationen mahnen: Nie wieder Krieg, nie wieder Lager!“
Am 9. Mai 1971 wurde das acht Meter hohe „Denkmal des Martyriums der Kinder“ (Pomnik Martyrologii Dzieci) eingeweiht. Es stellt ein großes geborstenes Herz aus Stein dar, in dessen Spalt eine schmale Knabengestalt steht, entworfen von Jadwiga Janus und Ludwik Mackiewicz. Auf den Tafeln, die das Denkmal umgeben, ist zu lesen: „Das Leben wurde euch genommen – heute geben wir euch nur die Erinnerung“. In der Nähe des Denkmals befinden sich symbolische Ghettomauern (GPS 51.792467, 19.471661 =  Księdza Stanisława Staszica).
Zahlreiche ehemalige Lagerinsassen aus ganz Polen nahmen an der Einweihungsfeier teil. Dem Zeitgeist entsprechend zeichnete der Staatsrat der Volksrepublik Polen die ermordeten Kinder posthum mit dem Grundwald-Orden II. Klasse aus. Jährlich am 1. Juni, dem Internationalen Tag des Kindes, finden am „Denkmal des geborstenen Herzens“, wie es auch genannt wird, Feierlichkeiten statt, an denen ehemalige Häftlinge dieses Lagers teilnehmen. Seit 1988 werden auch Medaillen mit der Aufschrift „Ein Herz für das Kind“ an Erwachsene vergeben, die sich besonders um das Wohl von Kindern verdient gemacht haben wie z.B. Lehrer, Pädagogen oder Funktionäre karitativer Organisationen.

An das Lager erinnert auch eine Tafel am Gebäude in der ul. Przemysłowa 34, wo sich die Lagerverwaltung befand. In der Nähe der Grundschule 81 im. Bohaterskich Dzieci Łodzi (Schule der Heldenkinder von Lodz) an der Emilii-Plater-Straße 28/32 ist eine kleine Ausstellung den Kindern des Lagers gewidmet (GPS 51.792467, 19.471661 =  ul. Emilii Plater 28/32).

Der Park „im. Szarych Szeregów” liegt zwischen den Straßen ul. Głowackiego, ul. Staszica, ul. Plater, ul. Górniczą, ul. Marysińska und ul. Boya-Żeleńskiego auf dem Gebiet des ehemaligen Ghettos.

 

Literatur/Medien
Hepp, Michael: Denn ihrer ward die Hölle. Kinder und Jugendliche im „Jugendverwahrlager Litzmannstadt“, in: Mitteilungen der Dokumentationsstelle zur NS-Sozialpolitik. Heft 11/12, April 1986, S. 49–71

Kosmala, Beate: Das Polenjugendverwahrlager der Sicherheitspolizei in Litzmannstadt/Lódz, in:  Benz, Wolfgang/Distel, Barbara (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 9: Arbeitserziehungslager, Ghettos, Jugendschutzlager....., München 2009, S. 115ff.

https://www.centrumdialogu.com/en/history/memorial/przemyslowa-camp

https://erinnerungsorte.org/miejsca/lodz-polen-jugendverwahrlager-der-sicherheitspolizei-an-der-ul-przemyslowa/

https://de.wikipedia.org/wiki/Polen-Jugendverwahrlager_Litzmannstadt

https://de.wikipedia.org/wiki/Jugendkonzentrationslager

http://www.lodz-ghetto.com/the_camp_for_polish_children.html,37

https://muzeumdziecipolskich.pl/de (Museum der polnischen Kinder; deutsch)

https://ipn.gov.pl/en/news/6857,German-labour-camp-for-Polish-children-on-Przemyslowa-Street-in-Lodz-19421945.html

 

(B. Kosmala 2019; Erg. Uhh 2021)

 

(Karte googlemap 'Lodz', Ballons auf
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Polen-Jugendverwahrlager der Sicherheitspolizei (ul. Przemysłowa 34  = GPS 51.7927628,19.4761217)
- Park im. Szarych Szeregów (Eingang ul. Tadeusza Boya-Żeleńskiego = GPS 51.7916854, 19.4675556 )
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Denkmal für das Leiden der Kinder /Pomnik Martyrologii Dzieci "Pęknietego Serca" (GPS 51.7916854, 19.4675556 [= Księdza Stanisława Staszica = ca. Verlängerung ul. Bracka ])
- Gedenktafel am ehem. Gebäude der Lagerverwaltung  (GPS 51.7927628,19.4761217 [= ul. Przemysłowa 34])
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Grundschule Nr. 81, Schule der Heldenkinder von Lodz, ul. Emilii Plater 28/32 (GPS 51.7928023, 19.4712092 [= Szkoła Podstawowa nr 81 im. Bohaterskich Dzieci Łodzi])