Schriftgröße A A A

Lublin - Ghetto

Woiwodschaft Lublin

Jüdische Bevölkerung in Lublin
Seit dem 14. Jahrhundert lebten Juden in der Stadt, viele als Händler oder Handwerker. Es gab mehrere jüdische Schulen, ein Krankenhaus und seit 1930 mit der Chachmei Lublin Jeschiwa eine der einflussreichsten Talmudschulen Europas. 1939 waren etwa ein Drittel der 120000 Einwohner*innen jüdisch. Die allermeisten lebten im jüdischen Viertel zwischen Schlossberg und Altstadt, erst seit 1868 war es ihnen erlaubt, auch innerhalb der Stadtmauern zu wohnen.

Lublin war eine Stadt mit vielfältigem jüdischen Leben, 12 Synagogen, eine jüdische Klinik, Schulen, zwei jiddische Zeitungen. Viele arbeiteten in den Textil-, Schuh- und Nahrungsmittel- fabriken oder als Händler oder Kaufleute. Die sozialistisch-zionistische Jugendorganisation HaShomer Hatzair hatte eine Gruppe in der Stadt, HeChalutz bereitete Jugendliche auf die Auswanderung nach Palästina vor, der Bund – eine säkulare Gewerkschaft und Partei in Litauen, Polen und Russland warb dafür, da zu bleiben und die Verhältnisse im Land zu verbessern.

ehem. Talmudschule Chachmei Lublin Jeschiwa Denkmal an die ‚Umsiedlung‘ der jüdischen Bevölkerung Häuser in Wieniewa; Foto: TeatrNN.pl

Hist. Foto: Gräben ausheben

Deutsche Besatzung
Als die Wehrmacht am 18. September 1939 Lublin besetzte, setzten sich vor allem jüngere Juden in die Sowjetunion ab. Ab 9. November (Odilo Globocnik wurde an diesem Tag zum SS-und Polizeiführer von Lublin ernannt) wurden Juden aus ihren Häusern im Stadtzentrum vertrieben. Im Juni 1940 wurden die Juden aus dem Stadtteil Wienawa in den jüdischen Wohnbezirk Podzamce in Lublin „umgesiedelt“; ihr Viertel war als Wohngebiet für Deutsche vorgesehen. Gleichzeitig forderten die Deutschen die noch in der Stadtmitte lebenden jüdischen Menschen letztmalig auf, in den zukünftigen Ghettobezirk umzuziehen. Ab Ende November 1940 mussten alle Juden den sog. „Judenstern“ tragen, jüdische Geschäfte wurden entsprechend markiert.

Zwangsarbeit
Ab Oktober 1939 bestand Arbeitspflicht für die jüdische Bevölkerung (Anforderungen anfangs direkt durch Bürgermeister, SS etc; dann über das Arbeitsamt). Aufgrund des – kurzlebigen - NS Plans, im Distrikt Lublin ein sog. Judenreservat einzurichten, wurden zehntausende Juden, auch aus den annektierten polnischen Gebieten (u.a. 5000 aus Koło, Łódź, Kalisz) zunächst nach Lublin, später in umliegende Dörfer und Städte ‚umgesiedelt‘. Bei Razzien durch SS und Polizei wurden hunderte zur Zwangsarbeit rekrutiert: in einem der Arbeitslager in der Stadt (vgl. Lublin-Zwangsarbeitslager), in Chelm oder in Bełżec: dort mussten sie Grenzbefestigungen bauen und Panzergräben ausheben (vgl. Belzec – Zwangsarbeitslager). 1941 wurden über 10.000 Juden aus Lublin zwangsweise in Dörfer in der Umgebung „umgesiedelt.“ Alle polnischen Bewohner*innen wurden aus dem zukünftigen Ghettogebiet in andere Stadtteile vertrieben.

 

Karte des Ghettos Lublin; Quelle: deathcamps.org


Errichtung des Ghettos

In Lublin gab es nacheinander zwei Ghettos: das „Ghetto Podzamcze“ im ehem. jüdischen Wohnbezirk (1942/43) und das Ghetto „Majdan Tatarski“ am südlichen Stadtrand (1943/44).
Am 24. März 1941 erklärte Distriktsgouverneur Ernst Zörner den ältesten und ärmsten Teil des jüdischen Wohnbezirks zum Ghetto. Es wurde in den ersten Monaten nicht abgeschlossen; Juden war es verboten, „arische“ Straßen zu betreten, aber es gab noch Kontakte mit Menschen außerhalb des Ghettos und die Möglichkeit, Waren hereinzuschmuggeln. Probleme machten die zunehmende Enge (es kamen weitere jüdische Flüchtlinge hierher, die Zahl der Ghettobewohner*innen erhöhte sich vorübergehend auf 43000) sowie die unzureichenden sanitären und hygienischen Bedingungen, eine Fleckfieber Epidemie brach aus.

Kontrolle von Juden durch deutsche Ordnungspolizei; Quelle: Bundesarchiv_Bild_101I-019-1224-10, Polen, Kontrolle von Juden.jpg (Lubartowska/Kowalska)

Ghetto A und B
Im Februar 1942 zogen die Deutschen einen Stacheldrahtzaun um das Ghetto. Alle bisher außerhalb wohnenden Juden mussten in das Ghetto umziehen. Das Ghetto wurde in zwei Teile geteilt. Im Ghetto A wurden vor allem die Jüdinnen und Juden konzentriert, die für die Deportation vorgesehen waren. Ghetto B war für Zwangsarbeiter*innen in deutschen Einrichtungen, Inhaber von Sondergenehmigungen vorgesehen; auch der Judenrat und Gemeinschaftseinrichtungen wurden hier untergebracht (siehe oben, Karte des Ghettos). Die beiden Ghettos trennte ein Stacheldrahtzaun mit einem Tor, das man nur mit Sondererlaubnis passieren durfte; es wurde von deutscher Ordnungspolizei kontrolliert wurde.

Sammelplatz; Foto: TeatrNN.pl Deportation ins Vernichtungslager Belzec; Quelle: jewishvirtuallibrary.org Lublin Deportationsort/Gedenkstätte; Foto: A.Gerhardt Belzec Schlackefeld

Deportationen in das Mordlager Belzec
In der Nacht vor der ersten Deportation informierten die SS-Offiziere Hermann Höfle (Stellvertreter Globocniks) und Hermann Worthoff die Leiter des Judenrats, dass ab morgen täglich 1400 Juden aus dem Ghetto „für Arbeitseinsätze in den Osten verschickt“ würden. In der Nacht umstellten SS- und Trawniki-Männer das Ghetto, die jüdischen Menschen wurden auf dem Platz vor der Maharszala-Synagoge (1943 von den Deutschen gesprengt) gesammelt und zum „Umschlagplatz“ (neben dem städtischen Schlachthof) gebracht. Von dort wurden sie am 17. März 1942 per Zug in das Vernichtungslager Belzec deportiert. Sie waren nach Juden und Jüdinnen aus Lemberg/Lwow (heute: Lviv, Ukraine) die ersten Opfer der sog. Aktion Reinhardt. Bis zum 14. April wurden etwa 28000 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus Lublin nach Belzec deportiert; sie wurden kurz nach ihrer Ankunft mit Motorabgasen ermordet; vgl. Belzec - Vernichtungslager. Der Weg der Deportierten aus der Stadt zum ‚Umschlagplatz‘ ist von TeatrNN als ‚Memory Trail‘ markiert worden, s. Lublin-Gedenken.
Weitere mindestens 1000 Personen wurden in Lublin und Umgebung von SS, deutscher und ukrainischer Polizei getötet, u.a. die Kinder des Waisenhauses.

Schusterwerkstatt im Ghetto; Foto: teatrnn.pl Sitz jüdisches Waisenhaus und Judenrat, Grodzka 11 Gedenkplatte für die ermordeten Waisenkinder; Foto: teatrnn.pl

Werkstätten
Wehrmacht und Privatfirmen ließen z.B. Bekleidung, Uniformen, Schuhe im Ghetto fertigen bzw. reparieren, sie mussten dafür an die SS nur wenig Geld zahlen. Später errichtete der Judenrat eigene Werkstätten (s. Foto). Die Ghettobewohner*innen erhielten ein geringes Entgelt, meist eine warme Mahlzeit und die „Arbeitskarte“ - sie schützte eine (un-)gewisse Zeit vor Deportation.

Jüdisches Waisenhaus, Judenrat
Im Haus ul. Grodzka 11 waren u.a. die Jüdische Selbsthilfe, Fürsorge, Suppenküchen, (jüd.) Arbeitsamt und ein Waisenhaus untergebracht. Es wurde zunächst als ein sicherer Hafen‘ angesehen; deshalb brachten z.B. Eltern, die Zwangsarbeit leisten mussten, ihre Kinder tagsüber in den „Hort“. Am 24. März 1942 holten SS-Kräfte die Kinder aus dem Waisenhaus und fuhren sie auf Lastwagen zu einer ehemaligen Sandgrube außerhalb der Stadt. Sie wurden erschossen und in eine vorbereitete Grube geworfen. Ihre Zahl ist nicht bekannt, Schätzungen gehen von etwa 100 Kindern aus. Die Überreste der Kinder wurden 1948 exhumiert und auf dem Neuen Friedhof an der ul. Walecznych beigesetzt (Gedenktafel s. dort). Die mehreren Hundert BewohnerInnen des Altenheims wurden im Niemce-Wald umgebracht, mit ihnen ihre Ärzte und Krankenschwestern.

Der auf Verlangen der Deutschen gebildete Judenrat (Vors. Henryk Bekker, Stv. Marek Alter) hatte seinen Sitz ebenfalls im Haus ul. Grodzka 11. Er war in der typischen widersprüchlichen Doppelrolle: die Ghettobewohner*innen beschützen, für ausreichend Lebensmittel etc. sorgen – und andererseits die Weisungen der Deutschen im Ghetto bekanntmachen und ggfs. ausführen. Bei der Wiederaufnahme der Deportationen wurde der Judenrat verkleinert; der bisherige Vorsitzende H. Bekker und andere Mitglieder verloren ihr Amt und wurden am 31. März 1942 nach Belzec deportiert und dort ermordet..

 

Majdan Tatarski Ghetto - Karte; Grafik: USHMM Denkmal Massenerschießungen; Foto: deathcamps.org Majdan Tatarski Ghetto - Erinnerungstafeln; Foto: teatrnn.pl

Lublin - Ghetto Majdan Tatarski
Nach den Deportationen nach Belzec Mitte April 1942 hielten sich noch mehrere tausend jüdische Menschen in den Kellern und Gewölben unterhalb des Ghettos versteckt. Die SS beschloss, die verbliebenen Juden nach Majdan Tatarski zu bringen, einen südlichen Vorort, 2 km vom KZ Majdanek entfernt. Das Ghetto war begrenzt von den Gromadzka-, Majdanek- und Majdan Tatarski-Straßen, in der Mitte verlief die ul. Rolna; an einer Seite grenzte es an das Zwangsarbeitslager Lublin-Flugplatz. Viele mussten die Nächte auf Straßen und Hinterhöfen verbringen. Im Lauf von drei Selektionen im April, September und Oktober 1942 wurden Juden, die keinen offiziellen J(uden)-Ausweis hatten, ins Ghetto Piaski, ins KZ Majdanek geschickt oder im Wald von Krępiec umgebracht, etwa 13 km südöstlich (TeatrNN).

Am 20. April wurden 2500 bis 3000 Menschen, meist Frauen mit Kindern in das KZ Majdanek verschleppt. 200 bis 300 junge Menschen blieben dort inhaftiert, über 2000 wurden kurz darauf im Wald von Krępie cerschossen; die Zahl der im Wald Ermordeten ist nicht bekannt. Nach dieser ‚Selektion‘ wurde Majdan Tatarski als ‚geschlossenes Ghetto‘ geführt und mit Stacheldraht eingezäunt. Am 2. September und 24. Oktober wurden bei weiteren Selektionen ein Teil der Juden in das Ghetto Piaski bzw. das KZ Majdanek deportiert.

Auflösung des Ghettos
Am 9. November 1942 holten SS-Kommandos unter Hermann Worthoff die restlichen Bewohner*innen aus den Häusern und trieben sie in das KZ Majdanek, wo die meisten – nach einer Selektion – mit Gas getötet wurde. Gefangene aus anderen Lagern bzw. dem Schloss-Gefängnis Lublin mussten die zurückgebliebene Habe und Wertsachen einsammeln und in das Lager Lipowastraße bringen.

Gedenkstein ‚Aktion Erntefest‘ im KZ Majdanek

Nach der Auflösung aller Arbeitslager in Lublin wurden die noch im Distrikt Lublin lebenden Juden im Rahmen der zynisch sog. „Aktion Erntefest“ ermordet, die meisten im KZ Majdanek; sie wurden in Gruben geworfen und notdürftig mit Erde bedeckt, s. Foto.

Zerstörung des Ghettos Lublin
1943 sprengten die deutschen Besatzer Teile des Ghettos, insbesondere um den Schloss- und Bahnhofsplatz. Die Gebäude wurden nach dem Krieg nicht wiederaufgebaut, deshalb wirkten Schloss- und Bahnhofsplatz lange Zeit leer.

Gedenken
Die Grenzen des Ghettos sind mit kleinen Tafeln im Straßenpflaster markiert. Im ehemaligen Ghettogebiet sind zahlreiche Häuser und Wege mit Tafeln markiert. An die ermordeten und gequälten Menschen des Ghettos erinnern das eindrucksvolle Denkmal an der ul. Radziwillowa 4 und das Mausoleum am Eingang zum neuen Friedhof an der ul. Walenzych (vgl. Lublin-Gedenken).

Literatur/Medien
Gutman, Israel (Hg.): Enzyklopädie des Holocaust, Berlin 1993, Bd. II, S. 904-908
Harvey, Elisabeth: in: Nützenadel (Hg.): Das Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus. Göttingen 2017, S. 348ff. und 423ff.
Yad Vashem Enzyklopädie der Ghettos während des Holocaust, Bd. I, Göttingen/Jerusalem 2014, S. 424-429
http://teatrnn.pl/lexicon/articles/the-displacement-of-the-jewish-inhabitants-of-german-occupied-lublin-before-the-creation-of-the-ghetto-1/#the-liquidation-of-the-jewish-quarter-in-wieniawa
http://teatrnn.pl/lexicon/articles/maharshal-synagogue-in-lublin-defunct/
The Majdan Tatarski Ghetto - Lublin. Memory of the Holocaust - NN Theatre (teatrnn.pl)
The Ghetto in Majdan Tatarski - Lexicon - NN Theatre (teatrnn.pl)
The establishment of the ghetto at Majdan Tatarski and the first selection among the Jews in KL Lublin (majdanek.eu )