Der Ort
Die Kreisstadt in der Woiwodschaft Lodz hat 22.270 Einwohner*innen (2020; 1939: 16.000). Wieluń lag 1939 wenige km von der deutsch-polnischen Grenze entfernt; 1939 bis 1945 im deutsch annektierten Gebiet ‚Reichsgau Wartheland‘. Mit dem Auto von Lodz 111 km südlich (S 14 und S 8 bis Wieluńska, dort DK 45); von Wrocław/Breslau 132 km (S 8 und DK 74).
Die Ereignisse
Wieluń wurde zu Beginn des Zweiten Weltkrieges als die erste Stadt durch die deutsche Luftwaffe bombardiert und weitgehend zerstört. In den frühen Morgenstunden des 1. September 1939 griffen Flugzeuge des Sturzkampfgeschwaders 2 'Immelmann' die Stadt an, obwohl sich dort keine militärischen Ziele (z.B. Einheiten des polnischen Heeres und oder militärische Materiallager) befanden. Neuere Forschung lässt vermuten, dass die Zerstörung der Stadt Ziel des Angriffs gewesen ist, um die Schlagkraft der deutschen Luftwaffe zu erproben. Als die Deutschen in die Stadt einmarschierten, fanden sie noch 200 Einwohner*innen vor, die Schwerverletzten und die Kranken. Alle, die sich bewegen konnten, waren geflohen. Bei drei Bombenangriffen auf Wieluń an diesem ersten Kriegstag starben bis zu 1.200 Menschen; 75 Prozent aller Gebäude wurden zerstört, darunter viele historische Bauten.
Wielún wird auch das ‚polnische Gernika‘ genannt. Beim Stuka-Angriff auf Wielún mit dabei war Wolfram Freiherr von Richthofen, ehemals Stabschef der ns-deutschen 'Legion Condor,' die Gernika/Guernica im spanischen Baskenland im April 1937 in Schutt und Asche legte.
Erinnerung
Jahrzehntelang spielte die Bombardierung Wieluńs am 1. September 1939 im offiziellen Gedenken Polens - oder Deutschlands - fast keine Rolle. Dass der Zweite Weltkrieg nicht vor Danzig, sondern gut 100 Kilometer nordöstlich von Breslau (heute: Wrocław) ausgelöst wurde, war kaum im Bewusstsein verankert. Stattdessen wurde der Mythos Westerplatte gepflegt; der Kampf um die Westerplatte bei Danzig/Gdansk galt als Beispiel dafür, welche Opfer Polen brachten, um ihr Vaterland zu verteidigen. Wieluń dagegen „war eine kleine, ruhige Stadt, wo es ein Massaker, aber keine Helden gegeben hat“, meint der Geschichtswissenschaftler Tadeusz Olejnik. 2004 sprach erstmals ein polnischer Präsident in Wieluń (A. Kwaśniewski), 2019 die beiden Staatspräsidenten Duda und Steinmeier).
Stiftskirche und Heimatmuseum
Die Wielúner Stiftskirche oder Michaelkirche aus dem 14. Jahrhundert wurde 1939 durch die Bomben total zerstört und von deutschen Truppen gesprengt. Es blieben nur die Fundamente. Die Ruinen sind heute ein Denkmal. 2004 weihte der damalige Staatspräsident Kwaśniewski einen Obelisk ein; eine Gedenktafel erinnert an den deutschen Angriff vom 1. September 1939 (Plac Legionów).
Allerheiligen-Krankenhaus
Das bombardierte Krankenhaus, in dem zahlreiche Patienten, Ärzte und Pfleger umkamen, wurde nicht wieder aufgebaut. Viele Jahre wies lediglich eine Gedenktafel darauf hin. 2009 wurde sie durch eine Plastik ergänzt. Die Inschrift auf dem Sockel lautet: „Hier wurde am 1. September 1939 um 4.40 Uhr ein unvergesslicher Akt des Unrechts, der Gewalt und des Verbrechens an der schutzlosen Bevölkerung der Stadt Wieluń begangen. An dieser Stelle befand sich am 1. September 1939 das Allerheiligen-Krankenhaus, auf das die ersten Bomben des Zweiten Weltkrieges fielen“ (ul. Józefa Piłsudskiego 6).
Polnische und jüdische Bevölkerung
1939 lebten etwa 4.200 jüdische Menschen in Wieluń. Die Synagoge wurde bei dem Luftangriff zerstört. An sie erinnert am ehemaligen Standort eine Gedenktafel: ul. Sienkiewicza 10. Im November 1939 brachten die Deutschen mehrere Hundert Polen und Juden (meist ‚Intellektuelle‘) nach Łódź in das Gefängnis Radogoszcz. Bis zum Frühjahr 1941 wurden fast alle polnischen Einwohner*innen in das Generalgouvernement gebracht.
Die meisten Juden mussten in ein – nicht eingezäuntes - Ghetto umziehen und in alten Gebäuden oder Holzhütten wohnen. 1942 begannen „Aktionen“: Im Winter wurden zehn Juden der wegen „Schächtung“ von Tieren beschuldigt und öffentlich gehängt – zwischen ul. Rozana und Palestranca (s. Foto).
Im Vorfeld der schrittweisen Liquidierung des Ghettos ab August 1942 brachte man Juden aus der Kleinstadt Prazka nach Wieluń. Etwa 2.000 Bewohner*innen wurden an einen unbekannten Ort verschleppt. Am 22. und 23.8.1942 wurden die jüdischen Patienten*innen der Klinik ermordet (Kdo: Gestapo Alfred Großmann, Albert Richter u.a.). Die übrigen brachte man in eine Kirche und hielt sie vier Tage gefangen. Die Verwalter des Ghettos Litzmannstadt (Lodz) unter Hans Biebow selektierten Menschen für Zwangsarbeit im Ghetto. Alle übrigen Bewohner*innen wurden in das Vernichtungslager Kulmhof am Ner deportiert und ermordet.
Museum
Das Regionalmuseum von Wieluń im ehemaligen Franziskanerinnenkloster präsentiert eine Ausstellung über die deutschen Luftangriffe auf die Stadt und deren Geschichte im Krieg: Muzeum Ziemi Wieluńskiej [Regionalmuseum Wieluń], ul. Narutowicza 13, 98-300 Wieluń; https://www.muzeum.wielun.pl; email: [email protected]
Literatur/Medien
Böhler, Jochen: Der Überfall. Deutschlands Krieg gegen Polen, 2. Auflage, Frankfurt/M. 2009, bes. S. 100ff., 179ff.
Kochanowski, Jerzy/Kosmala, Beate (Hg.): Deutschland, Polen und der Zweite Weltkrieg. Geschichte und Erinnerung, Potsdam/Warschau 2013, S. 446ff.
Miron, Guy/Shulhani, Shlomit (Hg.): Die Yad Vashem Enzyklopädie der Ghettos während des Holocaust, Göttingen/Jerusalem 2014, S. 945f.
http://www.memorialmuseums.org/denkmaeler/view/1533/Erinnerung-an-den-Bombenangriff-auf-Wielu%C5%84
https://www.dw.com/de/die-ersten-bomben-fielen-auf-wielu%C5%84/a-50164453
https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfram_von_Richthofe n
(B. Kosmala 2015 – ergänzt Uhh 2021)