Der Ort
Das IX. Fort befindet sich etwa 10km außerhalb des Zentrums von Kaunas. Man erreicht es auf der A1/E85 in Richtung Klaipėda. Es gehört zwar zu den im 19. Jahrhundert errichteten Forts des zaristischen Russland, wurde jedoch erst nach dem Ersten Weltkrieg fertig gestellt.
Die Ereignisse
Zu Beginn der deutschen Besatzung wurde das IX. Fort zunächst als Außenstelle des Zentralgefängnisses von Kaunas genutzt, in der litauische und jüdische Aktivisten des sowjetischen Regimes erschossen wurden. Danach wurde es neben Paneriai bei Vilnius zu einem weiteren Ort unvorstellbarer Massenmorde, deren Chronik folgende Massaker verzeichnet:
• Am 26. September 1941 erfolgte im Ghetto von Kaunas eine „Strafaktion“, da angeblich auf den deutschen Kommandeur der Ghetto-Wache geschossen worden war. Bei dieser Aktion wurden zwischen 1.200 und 1.600 Juden – vor allem Alte, Kranke, Frauen und Kinder – im IX. Fort erschossen. Der Jäger-Bericht listet für diese Aktion 1.845 Opfer auf: „315 Juden, 712 Jüdinnen, 618 Kinder“ (Blatt 5, Jäger verortet diese Mordaktion irrtümlich am 4.10.1941).
• Nach der Auflösung des „Kleinen Ghettos“ und der Ermordung der nicht arbeitsfähigen Bewohnerschaft ging am 4. Oktober 1941 die Vernichtungswelle weiter. Auch hier waren die Opfer Alte, Kinder, Schwache und Kranke; am gleichen Tag wurde das Ghetto-Krankenhaus mit seinen 67 Patienten und dem Pflegepersonal niedergebrannt, auch über 140 Kinder aus dem Waisenhaus samt ihren Betreuerinnen waren unter den Opfern. Insgesamt starben an diesem Tag etwa 2.000 Menschen.
• Das Massaker mit einer unfassbaren Zahl von Opfern ereignete sich am 29. Oktober 1941. Am Tag zuvor mussten alle Ghetto-Bewohner auf dem zentralen Platz antreten, von ihnen wurden ca. 11.000 als so genannte Arbeitsfähige abgesondert, alle anderen am Morgen des 29. Oktober zum IX. Fort getrieben. Dort waren auf einem Wiesenhang mehrere große Gruben bereits vorbereitet, an denen Gruppen von jeweils 100 bis 150 Opfer erschossen wurden. Deutsche und litauische Angehörige des Rollkommandos Hamann führten diese Exekutionen aus. Der Jäger-Bericht verzeichnet für diesen Tag: „2.007 Juden, 2.920 Frauen und 4.273 Kinder (Säuberung des Ghettos von überflüssigen Juden) – 9.200“ (Jäger, Blatt 5).
• Während für die Überlebenden nach dieser „Großen Aktion“ die Serie der Massaker zunächst unterbrochen schien, trafen im November und Dezember 1941 Transporte mit mehreren tausend Juden aus Deutschland, Österreich und den von Deutschland besetzten Ländern im IX. Fort ein. Das dortige Gefängnis war zeitweise so überfüllt, dass Gefangene im Hof kampieren mussten, bevor sie getötet wurden. Die ersten dieser Transporte mit ungefähr 3.000 Männern, Frauen und Kindern aus Berlin, München und Frankfurt erreichten Kaunas am 25. November 1941. Am 29. November folgten etwa 2.000 Männer, Frauen und Kinder aus Wien und Breslau, erschossen wurden auch Juden aus dem Ghetto, „die gegen die Ghetto-Gesetze verstoßen hatten“, sowie in Gefangenschaft geratene sowjetische Partisanen (Jäger, Blatt 5).
• Im September 1943 begann für das IX. Fort nach Befehl aus Berlin die „Aktion 1005“. Sie sollte die Spuren der Verbrechen in den besetzten osteuropäischen Ländern verwischen. Abertausende Leichen sollten wieder ausgegraben und verbrannt werden. Ein Kommando aus über 60 Häftlingen, ungefähr zur Hälfte sowjetische Kriegsgefangene und zur Hälfte Juden, sollte die Leichen aus dreizehn großen Gruben, in denen 20.000 bis 30.000 Ermordete verscharrt waren, ausheben. Die Häftlinge, schwer bewacht und mit Ketten zum Teil aneinander gefesselt, mussten die ausgegrabenen Körper auf Scheiterhaufen aufschichten und in Brand setzen. Bis Weihnachten 1943 hatten sie unter grauenvollen Bedingungen viereinhalb Gruben geöffnet und etwa 12.000 Leichen verbrannt. Am 25. Dezember gelang dem gesamten Kommando nach langer, konspirativer Vorbereitung durch einen Tunnel der Ausbruch aus der Festung. Allerdings überlebten nur wenige die Flucht. Vierzehn der Geflüchteten, darunter Alex Faitelson, erreichten zunächst das Ghetto, danach in den umliegenden Wäldern die sowjetischen und jüdischen Partisanen. Ihr detaillierter Bericht über die Tätigkeiten des Sonderkommandos, geschrieben von 11 der Entflohenen am 26. Dezember 1943, ist erhalten geblieben (Jelin 1994).
• Am 27. und 28. März 1944 erfolgte schließlich eine zentrale „Kinder- und Altenaktion“. Kinder und alte Menschen, auch die Mitglieder der Ghetto-Polizei – insgesamt mehr als 1.700 Menschen – wurden teils im Fort, teils nach ihrer Deportation in Auschwitz und in Majdanek ermordet.
• Zwei Monate vor der Befreiung durch Truppen der Roten Armee traf am 18. Mai 1944 in Kaunas noch ein Transport mit 900 französischen Juden aus Drancy bei Paris ein. Ungefähr die Hälfte von ihnen wurde in das Zwangsarbeitslager Pravieniškės bei Kaunas gebracht, die andere Hälfte wurde am Tag nach der Ankunft in IX. Fort erschossen.