Region Kreta - Regionalbezirk Rethymno

Gedenkstätte am Rathaus von AnogiaDer Ort
Anogia, das mit 2.379 Einwohner/innen (Stand: 2011) größte Bergdorf Kretas, liegt mit Unter- und Oberdorf zwischen 750 und 800 Meter Höhe auf einem Bergkamm am nördlichen Fuße des Ida-Gebirgsmassivs (Psilororitis-Massiv). 1822 und 1867 wurde das Dorf unter osmanischer Herrschaft zerstört; die dritte völlige Zerstörung Anogias begingen deutsche Besatzungstruppen vom 13. August 1944 bis zum 5. September 1944.
Der Ort gehört seit dem Jahr 1998 zu den Märtyrerorten Griechenlands (gem. Präsidialdekret 399/1998).
Von Iraklio fährt man zunächst auf der E 75 in Richtung Rethymno, zweigt bei Gazi auf die Landstraße in Richtung Tylissos/ Anogia ab (ca. 40 km); von Rethymno aus auf der E 75 zunächst in Richtung Iraklio bis Panormos, von dort weiter auf der Landstraße (ca. 55 km).

Ereignisse
Kurz vor dem Beginn des Abzug des größten Teils der deutschen Truppen (der Rest zog sich auf das Gebiet der ,,Kernfestung Kreta“ zurück) von der Insel verschärften sich Anschläge von Partisanen, teilweise auf Veranlassung von SOE-Agenten (Special Operations Executive, britische nachrichtendienstliche Spezialeinheit). Auch in Anogia, der Heimat der Partisanengruppe um Michael Xylouris, die Monate zuvor auch an der Entführung von General Kreipe beteiligt war, kam es am 7. August 1944 zu einem Zwischenfall: Eine deutsche Einheit unter Leitung von Feldwebel Ollenhauer, Chef eines kleinen Postens in Drosia an der Straße zwischen Iraklio und Rethymnon, Der Befehlkam mit Befehlen zur Zwangsarbeit in den Ort. Als niemand den Befehlen nachkam, ließ Ollenhauer eine große Menge von Dorfbewohnern, überwiegend Frauen mit kleinen Kindern und alte Menschen, zunächst auf dem Dorfplatz gewaltsam zusammen- und danach aus dem Ort treiben. Zwei Kilometer außerhalb von Anogia wurde Ollenhauer mit seinen Leuten von Partisanen angegriffen, überwältigt und später, nachdem die Geiseln befreit waren, exekutiert.

Am 13. August 1944 erließ General Friedrich Wilhelm Müller, Kommandant der ,,Festung Kreta“, den Befehl zur Zerstörung Anogias und Tötung aller männlichen Einwohner des Ortes. Nachzulesen ist diese Anordnung noch heute an der Gedenkstätte vor dem Rathaus in Anogia:
Da die Stadt Anogia ein Zentrum der englischen Spionagetätigkeit auf Kreta ist, da die Einwohner Anogias den Sabotageakt von Damasta ausgeführt haben, da die Partisanen verschiedener Widerstandsgruppen in Anogia Schutz und Unterschlupf finden und da die Entführer Generals Kreipe ihren Weg über Anogia genommen haben, wobei sie Anogia als Stützpunkt bei der Verbringung nutzten, befehlen wir, den Ort dem Erdboden gleichzumachen und jeden männlichen Einwohner Anogias hinzurichten, der innerhalb des Dorfes oder in seinem Umkreis in einer Entfernung bis zu einem Kilometer angetroffen wird."
(Der Befehl, der später von griechischer Seite für die deutschen Ermittlungen gegen ehemalige Offiziere vorgelegt wurde, weist marginale Unterschiede auf, darin wird auch die Ermordung von Feldwebel Ollenhauer als Begründung für die Zerstörung des Ortes aufgeführt.)
Auf der Platia im UnterdorfDer am 13. August 1944 beginnenden Zerstörung fielen alle auffindbaren männlichen Dorfbewohner (die meisten Männer hatten sich wegen befürchteter Vergeltungsmaßnahmen vorher in Sicherheit gebracht) wie auch Greise, Frauen und Kinder zum Opfer. Die Brandschatzungen dauerten bis zum 5. September an; Nachts zogen sich die Deutschen in das Nachbardorf Sisarha zurück und kehrten jeweils am Morgen wieder. Alle Häuser Anogias wurden zerstört.
Anogia war lediglich das erste der im August 1944 von deutschen Truppen vollkommen zerstörten Dörfern Kretas, in denen „Bandentätigkeit“ vermutet wurde, die den Abzug der Deutschen hätten stören können: wenige Tage später erlitten weitere 13 Dörfer, unter anderem Gerakari, Vryses, Ano Meros und Kria Vrysi, dasselbe Schicksal.

Nach 1945
Keiner der unmittelbar am Verbrechen von Anogia Beteiligten wurde dafür später zur Rechenschaft gezogen. Lediglich Friedrich-Wilhelm Müller wurde nach dem Krieg von den Briten nach Griechenland ausgeliefert und hatte sich zusammen mit den beiden anderen „Festungskommandanten“ Andrae und Bräuer als direkt verantwortlich an der Tötung von insgesamt 9.000 getöteten Zivilisten (Rondholz 1995, S. 84) und der totalen Zerstörung von ca. 40 Ortschaften vor einem Athener Sondergericht zu verantworten. Müller und Bräuer wurden zum Tode verurteilt und am 20. Mai 1947, dem sechsten Jahrestag des Beginns der Invasion auf Kreta, in Chaidari bei Athen hingerichtet.

Gedenken
Rathausplatz Oberdorf
Gedenkstätte für den 8-jährigen Stefanis XylourisAuf dem Rathausplatz im Oberdorf steht das Denkmal eines Kreters mit Säbel und Muskete, der an die dreimalige Zerstörung Anogias 1822, 1867 und 1944 erinnert. Davor ist auf einer Gedenktafel in Form eines aufgeschlagenen Buches der (ggf. leicht gekürzte) Befehl General Friedrich-Wilhelm Müllers in griechischer Sprache eingraviert, das Dorf niederzubrennen und alle Männer hinzurichten. Beidseits des aufgeschlagenen Buches befinden sich Tafeln mit dem Befehl in englischer und deutscher Sprache (irrtümlich ist der Vorname des Generals mit ,,H. Müller“ verkehrt aus dem Original übernommen worden). An der Stirnseite der Gedenkstätte sind die Namen der Opfer Anogias unter der deutschen Besatzung zwischen 1941 und 1944 aufgeführt.

Platia Unterdorf
Am zentralen Platz des Unterdorfes erinnert die Statue eines bewaffneten Partisanen an den Kampf der Bevölkerung gegen die deutsche Besatzung.


Gedenkstätte für den 8-jährigen Stefanis Xylouris
Weiter die Straße entlang befindet sich am westlichen Ortsausgang Richtung Axos die im Jahr 2006 errichtete Gedenkstätte für den 8-jährigen Stefanis Xylouris:
Hier wurde am 13.August 1944 kaltblütig hingerichtet
Stefanis Xylouris 8 Jahre alt.
Ein unbewaffnetes Kind wurde Opfer des deutschen Besatzers
und es vergingen 6 Tage und Nächte, bevor er begraben werden konnte.
Als das Dorf brannte, war es ein schwarzer Tag
und den Vater von Stefanis traf die erste Kugel.

Der Andartis, Foto: AWI, wikipedia/cc-by-3.0Nida-Hochebene
Auf der knapp 1.400 Meter hohen Nida-Hochebene im Idagebirge, die den Schäfern Anogias im Sommer als Weide dient, hat die Berliner Bildhauerin Karina Raeck zusammen mit den Bewohnern des Dorfes Anfang der 1990er-Jahre eine Landschaftsskulptur als Monument für den Frieden, den Andartis, geschaffen. Die ca. 32 Meter lange und 9 Meter breite Skulptur, bestehend aus etwa 5.000 Natursteinen, bildet einen beflügelten Partisanen nach. Das Monument wurde am 23. Juni 1991 eingeweiht.
Die Nida-Hochebene liegt ca. 22 km südlich von Anogia und ist von dort aus über eine asphaltierte Straße zu erreichen. Am Ostrand der Hochebene zweigt am Gästehaus (Parkplatz) ein Weg ab, auf der der mittlerweile etwas zugewachsene Andartis nach etwa 1.000 Metern zu Fuß erreichbar ist. Der Weg ist ausgeschildert.

Gonies-Schlucht
Gonies-SchluchtBei der Anfahrt von Iraklio wird zwischen Tylissos und Anogia die Gonies-Schlucht mit ihren steil abfallenden Felswänden passiert. Direkt am Eingang zur Schlucht steht links von der Straße eine Gedenkstätte für Männer aus den Nachbarorten Kamaraki, Malevisi und der Umgebung, die am 21. August 1944 erschossen wurden.

Andartis - Monument für den Frieden
Viele Zeitzeugenberichte über die Zerstörung Anogias sind in Karina Raecks Buch Andartis - Monument für den Frieden über das auf der Nida-Hochebene in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung von Anogia entstandene gleichnamige Monument enthalten.


Literatur / Medien:
Raeck, Karina: Andartis - Monument für den Frieden, Berlin 1995; Rondholz, Eberhard: Die Schlacht auf Kreta und der Widerstandskampf unter der deutschen Besatzung von 1941 bis 1945, In: Raeck, Karina: Andartis - ein Monument für den Frieden, Berlin 1995, S. 77-93; Xylander, Maren von: Die deutsche Besatzungsherrschaft und der Widerstand auf Kreta 1941-1945, In: Raeck, Karina: Andartis - Monument für den Frieden, Berlin 1995, S. 174-177; www.explorecrete.com/history/WW2_Anogia_Destruction.html; de.wikipedia.org/wiki/Anogia