Schriftgröße A A A

Prusków

Pruszkow

Hinweisschild auf Dulag 121 an der Bahnstrecke; Foto: pl.wikipediaDer Ort

Wachsende Industriestadt von 65.300 Einwohner*innen (2022) nahe bei Warschau. Die Wehrmacht besetzte Pruszków am 6./7.9.1939. 1940 wurde ein Ghetto errichtet, im Herbst 1944 ein Lager für Menschen gebaut, die SS- und Wehrmacht nach dem Ende des Warschauer Aufstands aus der  Stadt vertrieben wurden.

 

Ghetto
Beim Einmarsch der Wehrmacht flohen viele der 1.300 jüdischen Einwohner*innen nach Warschau oder in das sowjetische besetzte Ostpolen. Im Oktober setzten die Deutschen einen Judenrat ein und dekretierten: Männer bis 60 mussten Zwangarbeit leisten, alle  mussten eine weiße Armbinde mit Davidstern tragen.
Im Oktober 1939 schufen die Nazis ein Ghetto mit einem eingezäunten Viertel. Darin drängten sich 1300 bis 1600 jüdische Menschen, sehr beengt, mehrere Familien mussten sich eine Wohnung teilen. Am 1.2.1941 wurde das Ghetto 'liquidiert', seine Bewohner*innen  in das Warschauer Ghetto gebracht und teilten das Schicksal der dortigen jüdischen Menschen. Von Synagoge und Mikwe sind nur Reste erhalten: ul. Prusa (Foto: sztetl.org).

ehem. Wagenhalle des Güterbahnhofs Prusków: Foto: Adrian Grycuk, wikimedia commons ausgewiesene Warschauer*Innen auf dem Weg in das Dulag Pruszków; Foto: Bundesarchiv Bild 1011-695-0123-12. August 1944; Foto: Leher

„Durchgangslager“ für über 600.000 Warschauer*innen

 

Der Güter- und Verschiebebahnhof Prusków hatte viele Werkstätten, die während des Kriegs weitgehend leer standen. 1939 und 1940 hatte die Wehrmacht polnische Kriegsgefangene untergebracht, dann als Ausbesserungswerk genutzt. Angesichts der näher kommenden Roten Armee wurden die Werkstätten ab Juni 1944 geräumt.
Während des Warschauer Aufstand wurde in Pruszków auf dem Bahnofsgelände das „Durchgangslager 121“ (Dulag 121) aufgebaut. Wehrmacht und SS hatten beschlossen, ab 6. August die Massenerschießungen der Einwohner*innen einzustellen (s. Warschau-Wola); stattdessen sollte ihre Arbeitskraft als Zwangsarbeiter*innen in der deutschen Kriegswirtschaft ausgebeutet werden. Bis zum 10. November 1944 wurden bis zu 600.000 Menschen in das Lager nach Prusków gebracht, meist zu Fuß.

 

In den Baracken herrschten katastrophale Bedingungen – Schmutz, Hunger und Überfüllung führten zu Ausbreitung von Seuchen. Die meisten Menchen blieben nur wenige Tage im Lager. Das Dulag 121 war das einzige Lager, in dem Polen*innen arbeiteten und den Gefangenen halfen. Sie belieferten das Lager mit Lebensmitteln, organisierten die medizinische Versorgung und die Seelsorge. Die Gruppe der polnischen Lagermitarbeiter*innen bestand hauptsächlich aus Freiwilligen, u.a. aus Mitgliedern des polnischen Hauptfürsorgerats, die meisten waren Einwohner*Innen Pruskóws und Umgebung.

 

Vor der Abfahrt führten die SS noch einmal eine 'Selektion' durch: Die meisten wurden in Dörfer und Städte des Generalgouvernements transportiert, wo sie die jeweilige Verwaltung unterbringen musste; hier und da wurden sie auch in Arbeitslagern eingesetzt, so z.B. bei dem Rüstungskonzern HASAG in Częstochowa. Ca. 55.000 Menschen, die sich - nach SS-Meinung – am Aufstand beteiligt hatten, wurden in ein KZ deportiert; ca. 13.000 davon nach Auschwitz, einige tausend in die KZ Buchenwald und Dachau. Von dort kamen sie in ein KZ-Außenlager, wo sie als Zwangsarbeiter/“Sklavenarbeiter“ an Rüstungsbetriebe “vermietet“ wurden. So kamen etwa 1000 an die Adlerwerke in Frankfurt/Main: Dort war im Oktober 1944 das KZ “Katzbach“, Außenlager des KZ Natzweiler (Elsass, Frankreich) mitten in der Stadt eröffnet worden (vgl. Rudorff, S. 109 ff.).

Dulag 121: Ankunft ausgewiesener Einwohner*innen;  gemeinfrei. Frankfurt/Main, Adlerwerke 1944; Foto: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/M.

Museum Dulag, PruszkówMuseum Dulag 121

Das 2010 auf dem Gelände des ehem. Dulag 121 entstandene kleine Museum erinnert an das Schicksal der vertriebenen Einwohner*innen von Warschau und die Hilfe der Einwohner*Innen von Pruszków für die geschwächten Gefangenen. Die moderne, multimediale Ausstellung besteht aus fünf Teilen: „Warschauer Aufstand“, „Exodus aus Warschau“, „Funktionsweise des Dulag“, „Hilfe für das Lager“, „Letzte Monate des Lagers.“ Die Tafel auf dem Gedenkstein links vor dem Museum erinnert an die über 600.000 während und nach dem Aufstand  ausgewiesenen Warschauer*innen.

Auf dem Gelände des ehemaligen Lagers finden Ende September/Anfang Oktober jährlich Gedenkfeiern statt, Information (auch englisch) über das Museum, s.u.

Anschrift: Museum Dulag 121, ul. 3 Maja 8a, Prusków; GPS 52.17302,

20.7725521; tel. (22)758 8663; homepage: www.dulag121.pl;  email: [email protected] ; vom Bahnhof (dworzec) zu Fuß ca. 1,1 km.

 

Pruszkow, Verhaftung von AK-Führern 1945, Gedenktafel; Foto: wikimedia commonsMärz 1945: Verhaftung von Partei- und AK-Führern / Prozess der Sechzehn

Auf ihrer Konferenz in Jalta (4. - 11.2.1945) hatten die drei Alliierten beschlossen, die im Herbst 1944 gebildete 'provisorische' polnische Regierung durch eine 'Regierung der Nationalen Enheit' abzulösen. Bei einem Vorgespräch mit Vertretern  polnischer Parteien zeigten sich die Sowjets freundlich, bestanden aber auf der Teilnahme von führenden Persönlichkeiten wie Jan Stanislaw Jankowski (Delegierter der polnischen Exilregierung) und Leopold Okulicki (letzter AK-Oberkommandierender).   

In einer Villa  am Stadtrand von Pruszkow trafen sie am 27.3.1945 Kazimierz Puċak, Stanislaw Jankowski  und Leopold Okulicki, einen Tag später die anderen Parteienvertreter. Man sagt ihnen, dass man sie nach London fliegen werde, sie wurden stattdessen nach Moskau ins NKWD-Gefängnis Lubjanka gebracht.

In einem Schau-'Prozess der Sechzehn' nannte Okulicki  in einer mutigen  Rede die Gründe für die Auslösung des Warschauer Aufstands vor Eintreffen der Roten Armee. Das Gericht verhängte keine Todesstrafe. Okulicki erhielt 10 Jahre Gefängnis, Jankowski fünf Jahre,  andere ein bis fünf Jahre. Okulicki starb unter ungeklärten Umständen am 24.12.1945 im Gefängnis, Jankowski starb am 13.3.1953, zwei Wochen vor dem Ende seiner Strafe.

Eine große Gedenktafel steht an der al. Armii Krajowej 11, vgl. Foto.


2022-Uhh

Literatur/Medien

Davies, Norman: Aufstand der Verlorenen, Der Kampf um Warschau, München 2004, S. 506ff., 519 – 523.
Miron, Guy/Shulhani, Shlomit (Hg.): Die Yad Vashem Enzyklopädie des Holocaust, Göttingen Yad Vashem 2014, S. 622f.

Rudorff, Andrea: Katzbach – das KZ in der Stadt. Zwangsarbeit in den Adlerwerken Frankfurt am Main 1944/45, Göttingen 2021

A. Wojda/M. Boenisch: Boschüre Dulag 121 Museum, Pruszków

https://erinnerungsorte.org/miejsca/pruszkow-museum-dulag-121/

https://www.pruszkow.pl/kultura/aktualnosci-kultura/obchody  

https://erinnerungsorte.org/miejsca/pruszkow-denkmal-fuer-fuehrer-des-polnischen-untergrundstaates-in-pruszkow                             

https://www.google.com/maps/place/P%C4%99cicka+3,+05-800+Prusz %C3%B3w,+Polen/@52.1653286 ,20.8355384, 52.158440, 20.819693

https://de.wikipedia.org/wiki/Prozess_der_Sechzehn (mit Namen u. Funktion der 'Opfer')