Region Abruzzen / Provinz Chieti
Der Ort
Lanciano ist eine abruzzische Gemeinde und mit 35.251 Einwohner/innen der Hauptort des Val di Sangro. Der Ort wurde für den Kampf der Bevölkerung um die Befreiung Italiens mit der medaglia d'oro al valor militare ausgezeichnet.
Lanciano liegt 20 km südlich von Ortona und ist von der Adria aus über die SS 84 erreichbar.
Ereignisse
Der Oktoberaufstand und deren Opfer, die Martiri Ottobrini
Empörung über die Schikanen der unmittelbar nach dem Kriegsaustritt Italiens folgenden Besetzung durch deutsche Truppen, Zwangsrequirierungen und Verhaftungen führten am 4. Oktober 1943 dazu, dass sich in Lanciano eine Menschenmenge auf der zentralen Piazza (heute: Piazza Plebiscito) zu Protesten versammelten.
Im Anschluss daran begannen Partisanen, vor allem junge Männer, die sich nach der italienischen Kapitulation den Deutschen hatten entziehen und mit Waffen versorgen können, Angriffe auch deutsche Positionen und Militärfahrzeuge. Nachdem einer von ihnen, Trentino La Barba, gefasst und nach Folterungen am 5. Oktober öffentlich exekutiert wurde, entbrannte am 6. Oktober 1943 - ggf. motiviert durch den Aufstand von Neapel, die „Quattro Giornate di Napoli“, wohl auch in der Hoffnung auf rasche Unterstützung durch von Süden vorrückende alliierte Truppen - ein stundenlanger Straßenkampf, den die Deutschen schließlich gewannen. Neben Trentino La Barba fielen weitere 10 Partisanen den Auseinandersetzungen zum Opfer.
Im Zuge anschließender sogenannter „Repressalmaßnahmen" der Besatzungstruppen wurden viele Häuser in Lanciano zerstört und 12 Zivilisten getötet.
Lanciano wurde am 2. Dezember 1943 befreit, blieb aber, da nah der Gustav-Linie gelegen, noch weiterhin ins Kampfgeschehen eingebunden. Viele der Partisanen aus Lanciano schlossen sich der kurz darauf im nahen Casoli gegründeten „Brigata Maiella" an.
Campo di Concentramento Lanciano
Von Juni 1940 bis Oktober 1943 existierte in Lanciano eines der 15 Internierungslager der Region Abruzzen. Es wurde vom faschistischen Italien unter Mussoloni als Internierungslager für ausländische Frauen eingerichtet, als das es bis Februar 1942 diente. Das für 70 Frauen ausgelegte Lager war in der Villa Sorge an der Via dei Cappuccini am Ortsrand untergebracht. Anders als in einigen Männerlagern waren die Frauen nicht nach Herkunftsländern oder rassenpolitischen Gesichtspunkten getrennt. Nach Voigt (S. 61) waren in Lanciano insgesamt 32 Jüdinnen interniert (siehe auch: Judenverfolgung in Italien).
Im Februar 1942 wurden die 60 dort befindlichen Frauen in das Lager Pollenza (Region Marken) transferiert und das Lager Lanciano zu einem Männerlager umfunktioniert. Es diente danach vorrangig der Internierung deportierter Männer aus dem damaligen Jugoslawen.
In den Wirren nach dem 8. September 1943 gelang fast allen Internierten die Flucht. Offiziell geschlossen wurde das Lager Mitte Oktober 1943 (Capogrecio, S. 218).
Gedenken
An vielen Stellen in der Stadt wird der „Martiri Ottobrini" - von denen Trentino La Barba posthum mit der Medaglia d'oro al Valor militare, drei weitere mit der Medaglia d'argento al Valor militare ausgezeichnet wurden - gedacht. U.a. ist nach jedem der getöteten Partisanen in Lanciano eine Straße oder ein Platz benannt. Gedenktafeln erinnern an die zivilen Opfer, wie an Pierino Sammaciccia an der Salita Fenaroli.
Piazzale 6 ottobre
Die zentrale Gedenkstätte für die Opfer des Oktoberaufstandes befindet sich seit 1963 an der Piazzale 6 Ottobre.
Gedenkstätte für Trentino La Barba
Im Oktober 2016 wurde am Largo dell’Appello eine Skulptur im Gedenken an Trentino La Barba (1915-1943) aufgestellt. Sie zeigt den Mann aus Lanciano, der als Soldat von den deutschen Besatzungskräften entwaffnet und gefangenommen worden war (siehe: italienische Militärinternierte), dem aber noch vor der Deportation die Flucht gelang und der sich - zurück in Lanciano - sofort dem Widerstand anschloss, an einen Baum gefesselt kurz vor seiner Erschießung.
Lanciano, Largo dell’Appello
Parco della Memoria
Ganz in der Nähe des früheren Internierungslagers Villa Sorge (heute Privatbesitz) wurde im Jahr 2012 der kleine Parco della Memoria eingerichtet.
Via Maria Eisenstein
Im Jahr 2013 wurde die Straße an der Villa Sorge nach Maria Eisenstein benannt. Maria Luisa Moldauer (1914-1994, verheiratete Eisenstein) aus Wien war eine der Insassinnen des Internierungslagers Lanciano. Sie überlebte den Holocaust und hat das Lagerleben später in ihrem Buch „L'internata numero 6" ausführlich beschrieben.
Literatur / Medien:
Capogreco, Carlo Spartaco: I campi del duce - L'internamento civile nell'Italia fascista (1940-1943), Turin 2004, S. 217-219; Eisenstein, Maria: L'internata numero 6, Mailand 1994; Schreiber, Gerhard: Deutsche Kriegsverbrechen. Täter, Opfer, Strafverfolgung. München 1996, S. 140; Voigt, Klaus: Zuflucht auf Widerruf – Juden und andere Verfolgte des Hitlerregimes in Italien 1933–45, Band 2, Stuttgart 1993; Auszug aus der deutsch-italienischen Datenbank „Atlante delle Stragi Naziste e Fasciste in Italia" über den Oktoberaufstand; www.campifascisti.it/scheda_campo.php?id_campo=237