Bezirk Vilnius

Die Stadt Ukmergė (russ. Vilkomir) mit gegenwärtig ungefähr 21.200 Einwohnern (2017) liegt ca. 50 Kilometer nordwestlich von Vilnius, wenige Kilometer westlich der Autobahn A2, die von Vilnius nach Panevėžys führt. 1935 hatte die Jüdische Gemeinde der Stadt etwa 8.000 Mitglieder (von einer Gesamteinwohnerzahl von ca. 15.000), deren Mitglieder Wirtschaft und Handel der Stadt dominierten.

Heutiger Ort des damaligen Massenmords

Die Ereignisse
Die deutsche Wehrmacht erreichte Ukmergė am 26. Juni 1941. Bereits in den Tagen zuvor hatten litauische Aufständische mit der Jagd auf die Juden der Stadt und der Umgebung begonnen, griffen deren Häuser und Eigentum an und verhafteten Angehörige der jüdischen Oberschicht. In einem Dorf in der Nähe kam es zu einem antikommunistischen Pogrom, bei dem Russen umgebracht wurden. Mit dem Eintreffen der Deutschen nahmen die willkürlichen Inhaftierungen zu, es gab erste Todesopfer. Unter dem Vorwand der Zusammenarbeit mit den Kommunisten wurden zweihundert Juden festgenommen und im Gefängnis von Ukmergė festgesetzt. 117 von ihnen wurden am 10. Juli in Richtung des Dörfchens Antakalnis II getrieben, wo die meisten von ihnen auf bestialische Weise erhängt wurden. Die Leichen wurden in einer Grube verscharrt. Bis zum Einbruch der Dunkelheit warteten noch über dreißig der Opfer, zumeist Frauen, auf ihren Tod und wurden wenige Kilometer von Antakalnis entfernt zum Wald Pivonija getrieben und dort erschossen. Die Mordaktion war, wie ein damals beteiligter Litauer später aussagte, von deutscher Seite angeordnet worden. Angeführt wurde sie u.a. von einem litauischen Gestapo-Mitarbeiter; das Wachpersonal und die Mordgehilfen setzten sich aus örtlichen Polizisten und Aufständischen zusammen.

Die in den ersten Wochen der Besatzungszeit vorerst mit dem Leben davon gekommenen Juden von Ukmergė und Umgebung wurden in einem provisorischen Ghetto im Vorort Smėliai und im überfüllten städtischen Gefängnis eingesperrt. Zwischen 1. August und Ende September 1941 schließlich wurden sie alle – von wenigen Überlebenden abgesehen – in mehreren „Aktionen“ am Waldrand von Pivonija umgebracht, insgesamt zwischen 6.000 und 10.000 jüdische Frauen, Kinder und Männer jeden Alters, unter ihnen auch Funktionsträger des Sowjetregimes. Eine Gesamtzahl der Opfer ist nicht bekannt, allein am 5. September wurden, wie im Jäger-Bericht festgehalten ist, 4.709 Menschen umgebracht. Auch die jüdischen Bewohner der umliegenden Orte wurden getötet. Ein letztes Massaker am 26. September galt den bis dahin im Ghetto der Stadt verschont gebliebenen Juden: Alte, Kranke, Frauen und Kinder. Sie wurden ebenfalls im Wald von Pivonija ermordet.

Täter dieser Serie von Massakern in und um Ukmergė waren neben Angehörigen des SS-Einsatzkommandos 3 und dem SS-Rollkommando Hamann litauische Polizei- und „Partisanen“-Einheiten. Einzelheiten der Gräueltaten sind im Zusammenhang mit der Exhumierung der Leichen im Juli 1944, durch damalige Zeugenbefragungen, durch Ermittlungen und durch Berichte Überlebender bekannt geworden. Die sowjetische Ermittlungskommission fand neben den Massengräbern die Überreste von 6.354 Männern, Frauen und Kindern, auch Spuren einer Verbrennungsaktion, mit der vermutlich Spuren des Verbrechens hatten verwischt werden sollten (Aktion 1005).

Zahlreiche Namen der an den Mordaktionen Beteiligten sind in erhalten gebliebenen Dokumenten aufgeführt. In einem Strafprozess verurteilte 1959 ein litauisches Gericht zwei der damaligen Mittäter zum Tode. Andere Beteiligte sind während der deutschen Besatzungszeit ums Leben gekommen, einige wurden – nach den verfügbaren Quellen mit unbekanntem Ergebnis – 1945/46 vor Gericht gestellt. Ein litauischer Mitorganisator der Massaker konnte nach 1944 unter falschem Namen in die USA fliehen, verlor nach der Aufdeckung seiner Beteiligung an den Verbrechen jedoch die US-Staatsbürgerschaft (Kollaboration). Ob ihm in Litauen der Prozess gemacht wurde, ist unbekannt. Einige wenige Litauer, die einzelne Juden versteckt und ihnen das Überleben ermöglicht hatten, wurden von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem geehrt.

Gedenken
An das Verbrechen vom 10. Juli 1941 am Rand von Antakalnis II erinnert kein Gedenkstein und kein Denkmal. Man erreicht den Ort des Massakers, von Vilnius kommend, über die A2 / zweite Ausfahrt Ukmergė, die in Richtung Molėtai weist; an der Kreuzung rechts auf die Straße Nr. 115 in Richtung Molėtai, nach ca. 900 Metern dem Hinweisschild „Antakalnis II 0,6km“ nach links folgen. Nach dem ersten Gebäudekomplex, einer alten Fabrik, befand sich die heute nicht mehr existierende Scheune, in der über achtzig der Opfer erhängt worden sind.
55.22812306 24.83557639 / 55°13.6874'N 24°50.1346'E

 

Eingang zur Gedenkstätte

Gedenkstätte

Zum Gedenkort für die Massenmorde am Rand des Pivonija Waldes gelangt man, ebenfalls auf der A2 von Vilnius kommend, über die erste Ausfahrt in Richtung Ukmergė. Nach dem Dorf Vaitkuškis ist rechts am Straßenrand eine hölzerne Vogelskulptur und ein schwarzer Markstein zu sehen, der zum Gedenkort weist. Diesen erreicht man auf der kleinen Straße nach 2km.
55.22028472 24.80647139 / 55°13.2171'N 24°48.3883'E

 

 

 

 


 

 

 

Tafel mit Inschrift

Die  Inschrift des Gedenksteins zur Erinnerung an die vielen tausend im August/September 1941 hier getöteten Juden lautet (in Jiddisch, Hebräisch und Litauisch): „1941 wurden an dieser Stelle 10.239 unschuldige litauische Bürger – Söhne und Töchter des Jüdischen Volkes, kleine Kinder und alte Menschen – von den Kugeln der Hitler-Schergen und deren lokalen Kollaborateuren niedergestreckt. Möge ihr unschuldig vergossenes Blut das Gewissen aller wachrütteln, damit nie wieder Menschen ermordet werden.“ Die Zahl der Opfer in dem vermutlich aus dem Jahr der Errichtung des Gedenksteins (1953) stammenden Text dürfte dem damaligen Kenntnisstand entsprechen. Spätere Forschungen ergeben – nach unterschiedlichen, später entdeckten Dokumenten und nach Zeugenaussagen – eine ungefähre Zahl zwischen 6.300 und 10.000 Ermordeten.


Literatur/Medien
Dieckmann 2011, Bd. 1, S. 366-368; Holocaust Atlas S. 284-288; Latvytė-Gustaitienė, Neringa: The Mass Extermination of the Jews of Ukmergė during the Hitlerite Occupation, in: Levinson, Joseph (Hg): The Shoah (Holocaust) in Lithuania, Vilnius 2006, S. 64ff.

http://www.holocaustatlas.Ukmerge/item/69/
http://www.jewishgen.org/yizkor/pinkas (Josef Rosin: Ukmerge)
http://www.iajgs.org/cemetery/lithuania/ukmerge.html (International Jewish Cemetery Project)
http://www.jewishgen.org/yizkor/lithuania (unter Ukmergė/Vilkomir)
http://www.ourfamilystory.net/Vilkomir.html (Familiengeschichte aus Ukmergė/Vilkomir)