Region Centre-Val de Loire, Departement Indre-et-Loire

'Maillé seinen 124 Märtyrern'; Stele am Abzweig der D 91 nach MailléDer Ort 
Das landwirtschaftliche geprägte Dorf von 580 Einwohner/innen (2015) liegt 46 km südlich von Tours (D 910 bis Draché, dort D 91).  Bahn: Station an der Strecke Paris–Tours–Bordeaux. Über die Bahnstrecke und die Nationalstraße lief der am 17. August 1944 begonnene Rückzug der Wehrmacht aus Südfrankreich in Richtung Deutschland.
Bei einem Massaker im August 1944 töteten deutsche Soldaten 124 Einwohner/innen und brannten das Dorf nieder.

 

Zerstörtes Maillé, 1945 (© Maison du Souvenir)

Die Ereignisse
Am 25. August 1944 umstellten deutsche Soldaten das Dorf. Gegen 9 Uhr rückten etwa 50, nach anderen Quellen bis zu 100, Soldaten in das Dorf ein, töteten alles was sich bewegte: Männer, Frauen, Kinder und Vieh. Um 10 Uhr kamen sie in den Dorfladen, schossen auf die Mutter und Großmutter der Inhaberin, auf den 3jährigen Jean und die 5jährige Annie, dann zerbrachen sie die Glasvitrinen und legten Feuer. Gegen Mittag verließen sie das Dorf und untersagten den Überlebenden, ihre Keller zu verlassen. Gegen 14 Uhr verschossen Soldaten aus Flak-Kanonen etwa 80 Geschosse, es gab weitere Opfer und zerstörte Häuser. Vor ihrem Abzug hinterließen sie einen Zettel: „Das ist die Strafe für die Resistants und ihre Helfer.“
Die schreckliche Bilanz: 124 der 500 Einwohner/innen, darunter 42 Frauen und 44 Kinder unter 14 Jahren, sind tot. Das jüngste Opfer war 4 Monate, lag mit einer Kugel im Nacken in seiner Wiege; der Älteste war 89 Jahre. 52 der 60 Häuser und Gebäude des Dorfs waren ganz oder teilweise zerstört. Zwei Tage später wurden die Leichen auf dem Friedhof bestattet.  

Denkmal am Friedhof

Beteiligte deutsche Einheiten
Offenbar waren mehrere deutsche Einheiten vor Ort; welche das eigentliche Massaker begangen hat, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Fest steht, dass der Platzkommandant im nahen Sainte-Maure, Leutnant Gustav Schlüter, nach einer Schießerei zwischen Maquisards und deutschen Soldaten unweit von Maillé von seinem Vorgesetzten, Oberstleutnant Alfred Stenger in Tours, grünes Licht für einen Einsatz in Maillé bekommen hat. Berichte von Résistants, vgl. Peter Lieb (a.a.O.), sowie die Staatsanwaltschaft Dortmund (s.u.) halten Soldaten des im 30 km entfernten Châtellerault stationierten SS-Feldersatzbataillons 17 der SS-Division 'Götz von Berlichingen' für das Blutbad verantwortlich.

Ein Verbrechen ohne Täter?
Die Untat ist bisher strafrechtlich nicht gesühnt. Leutnant G. Schlüter wurde 1952 vom Militärgericht Bordeaux in einem Verfahren, das wenig Licht in die blutigen Vorgänge brachte, in Abwesenheit zum Tode verurteilt; er starb 1965 in Hamburg. Die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelte ab 2008 – sie hatte Namen ehemaliger Angehöriger der in das Massaker verwickelten deutschen Einheiten herausgefunden – sehr intensiv, u.a. auch durch persönliche Recherchen vor Ort. Ende 2016 wurden die Ermittlungen eingestellt, „weil kein lebender Beteiligter am Massaker mehr gefunden werden konnte.“ 

Drei Kinder vor der Gedenktafel am Rathaus (© Maison du Souvenir)Gedenken
Fast 60 Jahre schien das Massaker verkannt und vergessen. Das Gedenken setzte spät ein. Dafür und für das kollektive Vergessen werden mehrere Gründe genannt. Offenbar wurde im Ort wenig über das Massaker geredet. Das Dorf wurde rasch wieder aufgebaut. Die Ereignisse standen im Schatten der Befreiung von Paris (an eben jenem 25. August 1944) und dem Massaker von Oradour-sur-Glane. Das änderte sich 50 Jahre später, als sich ein Verein „Für die Erinnerung an Maillé“ gründete und einiges anschob. Darauf sind der Besuch des damaligen Präsidenten Sarkozy, die Errichtung des 'Maison du Souvenir' und mehrere Dokumentarfilme zurückzuführen.

Metall-Plastik am Maison du Souvenir1945 wurde eine Gedenktafel am Rathaus angebracht: „Hier in dieser Gemeinde sind am 25. August 1944 124 Einwohner brutal von den Nazi-Barbaren massakriert worden. Vergessen wir es nie.“ Das Denkmal auf dem Friedhof nennt Namen und Alter der 124 Opfer. Gedenkfeier ist jährlich am 25. August. Das Haus der Erinnerung/La Maison du Souvenir (1 Rue de la Paix) informiert in einer Ausstellung über das Massaker : email: [email protected]; internet: www.maisondusouvenir.fr; Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag 10.30–13 h, 14–18 h; Sonntags und Montag: 14–18 h.

Literatur/Medien
Chevereau, Sébastien/Forlivesi, Luc: Histoire et mémoire d'un massacre – Maillé, Indre & Loire, Paris 2007
Lieb, Peter: Konventioneller Krieg oder NS-Weltanschauungskrieg? Kriegführung und Partisanenbekämpfung in Frankreich 1943/44, München 2007, S. 464ff.
Maison du Souvenir: Maillé-Touraine (Haus der Erinnerung)
Payon, André: Maillé. Martyrium eines Dorfes, Maillé 2008
Petit Futé. Guide des lieux de mémoire, Paris 2005, S. 69; Ausgabe 2012/2013, S. 49
Taillefait, Romain: Un massacre classé sans suites?, in: Le Patriote Résistant N° 917 (2017), p. 4-5
http://www.deutschlandradiokultur.de/massaker-von-maille-bleibt-ungesuehnt.265.de.html?drn:news_id=700202
Film v. C. Weber, 2011: Maillé, un crime sans assasins (ein Verbrechen ohne Mörder): www.dailymotion.com/video/xji3h8_25-aout-1944-maille-un-crime-sans-assassin-1_webcam  
http://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Maill%/C3%A9 
www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/175Arnaud.pdf