Hauptstadt der Region Zentralmakedonien
Die Stadt
Thessaloniki (Saloniki als gebräuchliche Kurzbezeichnung) ist mit 325.182 (2011) Einwohner/innen die zweitgrößte Stadt Griechenlands, Hauptstadt der Verwaltungsregion Zentralmakedonien und wirtschaftliches und kulturelles Zentrum der gesamten griechischen Region Makedonien. Bis 1913 gehörte die Stadt noch zum Osmanischen Reich.
Um 1900 stellten Menschen jüdischen Glaubens - größtenteils sephardische Juden, deren Vorfahren gegen Ende des 15. Jahrhunderts aus Spanien geflüchtet waren - knapp die Hälfte der Bevölkerung Thessalonikis (80.000 von 173.000). Ihr Anteil verringerte sich durch Auswanderung bis 1940 auf ca. 50.000, damals etwa siebzig Prozent aller Juden Griechenlands. Nach der Deportation fast aller Juden aus Thessaloniki (siehe: Judenverfolgung in Griechenland) in deutsche Vernichtungslager im Jahr 1943 leben heute knapp 2.000 Juden in der Stadt.
Thessaloniki gehört seit dem Jahr 2012 zu den Märtyrerorten Griechenlands (gem. Präsidialdekret 118/2012).
Ereignisse
Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Griechenland nahmen die deutschen Truppen Thessaloniki am 9. April 1941 ein. Das Land wurde in drei Besatzungszonen zwischen Deutschland, Italien und Bulgarien aufgeteilt. Zentralmakedonien mit Thessaloniki gehörten zu den strategisch wichtigen Gebieten, die die Deutschen besetzten und dem Befehlshaber Saloniki-Ägäis unterstellten. Dieser hatte seinen Sitz in Thessaloniki.
Besatzungsterror
Um zu verhindern, dass sich Widerstandsaktivitäten von Athen auf Zentralmakedonien ausdehnten, führte die deutsche Militärverwaltung bereits Anfang Juli 1941 eine großangelegte Razzia durch: Knapp 300 Griechen, die im Verdacht standen, Kommunisten zu sein, wurden anschließend in der Artillerie-Kaserne Pavlos Melas interniert. Wegen Fluchthilfe bürgerlicher „anglophiler“ Gruppen wurde bereits Mitte August 1941 der erste Fluchthelfer exekutiert; bei Durchkämmungs-Operationen im Hinterland (u.a. in Kerdyllia, Kydonia, Klisto und Abelofyto) wurden die Dörfer niedergebrannt und hunderte unbeteiligte Menschen umgebracht.
Nach der Entscheidung des Befehlshabers Saloniki-Ägäis, Curt von Krenzki, in Thessaloniki ein „Konzentrationslager“ einzurichten (September 1941), wurde dies in Pavlos Melas etabliert. Das Lager unterstand dem Sicherheitsdienst (SD), wurde von griechischen Polizeikräften bewacht und diente als Geiselhaftlager: Vor allem die hier Inhaftierten stellten das Reservoir für Massenerschießungen als sogenannte „Sühnemaßnahmen“ dar, die an diversen Hinrichtungsstätten, u.a. im Gefängnis Eptapyrgio, verübt wurden. Allein am 6. Juni 1944 wurden 101 Geiselhäftlinge des KZ Pavlos Melas exekutiert.
Verfolgung der jüdischen Bevölkerung - Zwangsarbeit
Durch von der Besatzungsverwaltung in Zusammenarbeit mit der Geheimen Feldpolizei der Wehrmacht durchgeführten über 50 Razzien, mit anschließenden Verhören bei führenden jüdischen Persönlichkeiten, der Durchsuchung von Synagogen und Räumen der jüdischen Gemeinde und von Bankschließfächern sicherten sich die Deutschen bis Mitte November 1941 die für die späteren Deportationen nötigen statistischen Informationen. Darüber hinaus beschlagnahmten Mitarbeiter des Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (Griechenland) historisch wertvolle Dokumente, Kulturgüter und lithurgische Gegenstände und ließen sie nach Deutschland transportieren, darunter ca. 100.000 Bücher aus den jüdischen Bibliotheken in Thessaloniki.
Am 7. Juli 1942 erließ der Befehlshaber Saloniki-Ägäis, Curt von Krenzki, die Anordnung zur Zwangsarbeit für alle männlichen unbeschäftigten Juden griechischer Staatsangehörigkeit bis zum Alter von 45 Jahren. Am 11. Juli 1942 mussten sich ca. 8.000 registrierte Männer auf dem Eleftheria-Platz in Thessaloniki einfinden, wo sie unter entwürdigenden Schikanen öffentlich gemustert wurden. Ca. 3.500 Juden, die kein Beschäftigungsverhältnis nachweisen konnten, wurden zwangsverpflichtet und vorwiegend im Straßenbau eingesetzt. Die Aktion trug alle Merkmale der „Vernichtung durch Arbeit“: Die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen forderten ca. 400 Tote.
Die Zwangsarbeitspflicht wurde im Oktober 1942 wieder aufgehoben: Der Kriegsverwaltungsrat Dr. Max Merten hatte der jüdischen Gemeinde eine Vereinbarung abgepresst, die die Juden von Zwangsarbeit gegen Zahlung von 2,5 Mrd. Drachmen und Überlassung des wertvollen, 300.000 Quadratmeter großen Areals des jüdischen Friedhofs (auf den die Stadtverwaltung seit langem ein begehrliches Auge geworfen hatte) befreite.
Auf dem Gelände des ehemaligen jüdischen Friedhofs wurde der Campus der Aristoteles-Universität errichtet.
Enteignung und Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung
Die bis dahin relativ kleine Dienststelle des Sicherheitsdienstes in Thessaloniki wurde im Februar 1943 um ein vom Reichssicherheitshauptamt gesandtes SS-Sonderkommando um die SS-Hauptsturmführer Dieter Wisliceny und Alois Brunner verstärkt. Die Aufgabe dieses von der örtlichen Militärverwaltung unterstützten Sonderkommandos (offiziell: „Außenstelle der Sipo und des SD in Saloniki IV B 4“, ab März 1943 „Sonderkommando der Sicherheitspolizei für Judenangelegenheiten Saloniki-Ägäis“) war die Deportation der Juden von Thessaloniki nach Auschwitz.
In schneller Abfolge bereiteten danach diverse, meist von Kriegsverwaltungsrat Max Merten unterzeichnete Erlasse die sukzessive Entrechtung der Juden zur anschließenden Deportation vor: Sie bestimmten den Oberrabbiner von Thessaloniki, Dr. Zvi Koretz, zum Sprecher aller im Bereich des Befehlshabers Ägäis-Saloniki lebenden Juden, regelten die Beschlagnahmung des jüdischen Vermögens, verpflichteten die Juden zum Tragen des Judensterns, kennzeichneten Ghettobezirke und regelten die Umsiedlung in die entsprechenden Gebiete des Baron-Hirsch-Viertels sowie der Stadtbezirke Ajia Paraskevi und Regia Vardar. Am 06. März 1943 wurden diese Ghettos von der griechischen Polizei umstellt und abgeriegelt.
Deportation von über 45.000 Jüdinnen und Juden
Der erste Deportationszug verließ den alten Bahnhof von Thessaloniki am 15. März 1943 in Richtung Auschwitz mit 2.400 jüdischen Männern, Frauen und Kindern, denen die Umsiedlung in die Nähe von Krakau vorgegaukelt wurde.
Insgesamt 18 Deportationszüge verließen bis zum 11. August 1943 die Stadt in Richtung Auschwitz. Neben den Juden aus Thessaloniki wurden ab Mai 1943 auch ca. 2.500 Juden aus Florina, Veria, Demotika, Nea Orestia und Soufli deportiert.
Zwischen dem 15. März und dem 11. August 1943 wurden über 45.000 Juden aus diesen Orten in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Knapp 34.000 Menschen wurden sofort nach ihrer Ankunft vergast; etwa 11.000 wurden als Häftlinge zur Zwangsarbeit selektiert. Etwa 500 fünfzehn- bis achtzehnjährige Mädchen wurden den pseudo-wissenschaftlichen Sterilisationsexperimenten der Lagerärzte zugewiesen. Sobald es für die verstümmelten Opfer keine Verwendung mehr gab, wurden sie vergast.
Außer den 18 Deportationszügen nach Auschwitz verließ am 2. August 1943 ein Zug mit „priviligierten“ Juden Thessaloniki in Richtung Konzentrationslager Bergen-Belsen, unter ihnen auch Dr. Koretz mit seiner Familie.
Nach 1945
Prozess gegen griechische Kollaborateure
1946 wurde Mitgliedern der sogenannten „Judenpolizei“ und anderen Kollaborateuren, die gefasst werden konnten, in Thessaloniki der Prozess gemacht. Mehrere Männer wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, Vital Hasson, „rechte Hand“ Dieter Wislicencys bei der Ghettoisierung, Ausbeutung, und anschließenden Deportation der Juden aus Thessaloniki, der sich auch weiterer Kapitalverbrechen schuldig gemacht hatte, wurde zum Tode verurteilt. Er war der einzige jüdische Kollaborateur, der nach dem Krieg in Griechenland hingerichtet wurde (andere Todesurteile ergingen in Abwesenheit).
Der Fall Merten
Dr. Max Merten, Verwaltungschef in Thessaloniki, wurde 1957 in Griechenland verhaftet, als er zur Erledigung privatgeschäftlicher Angelegenheiten einreiste. Basis dafür war ein Haftbefehl, den das mit der Ermittlung strafrechtlich relevanter Sachverhalte und Verdächtiger betraute Nationale Büro für Kriegsverbrechen, das Office National Hellénique des Criminels de Guerre (ONHCG), Jahre vorher erlassen hatte. Am 5. März 1959 wurde Merten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 25 Jahren Zuchthaus verurteilt, von der er wegen massiver Einflussnahme höchster bundesrepublikanischer Stellen lediglich sechs Monate verbüßen musste und danach nach Deutschland abgeschoben wurde (siehe: Der Fall Max Merten).
Ermittlungsverfahren wegen der Ermordung der Juden aus Thessaloniki vor deutschen Gerichten
Trotz diverser Ermittlungsverfahren vor deutschen Gerichten musste sich wegen Mitwirkung an der Beraubung, Deportation und Ermordung der Juden aus Thessaloniki keiner der Offiziere oder Beamten des deutschen Besatzungsregimes verantworten: Das Ermittlungsverfahren gegen Curt von Krenzki, den ehemaligen Befehlshaber Saloniki-Agäis, bei der Staatsanwaltschaft Hildesheim wurde wegen dessen Tod 1962 eingestellt; das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen 31 Beschuldigte wegen Mordes und anderer Verbrechen gegen die griechische Zivilbevölkerung wurde 1965 eingestellt; das Ermittlungsverfahren gegen zivile Vertreter der Besatzungsverwaltung (u.a. Altenburg, von Graevenitz) wurde von der Staatsanwaltschaft Köln 1968 eingestellt. Und auch das Ermittlungsverfahren gegen Max Merten beim Landgericht Berlin wurde 1968 eingestellt.
Forderung der jüdischen Gemeinde Thessaloniki gegen die Deutsche Bahn AG
Die Jüdische Gemeinde Thessalonikis fordert von der Bahn AG als historisches Nachfolgeunternehmen der Reichsbahn die Rückzahlung der Beträge, mit denen die Deportationsopfer selbst ihre Fahrkarten für die Zugfahrt in die Vernichtungslager zu bezahlen hatten (siehe: Forderung der jüdischen Gemeinde Thessaloniki gegen die Deutsche Bahn AG).
Gedenken
Der zentrale Gedenkort für die jüdischen Opfer Thessalonikis ist das Holocaust Memorial auf dem Plateia Eleftherias (Freiheitsplatz). Weitere Gedenkstätten befinden sich auf dem neuen Jüdischen Friedhof, auf dem Campus der Aristolotes Universität und am alten Bahnhof Thessalonikis. Im Herbst 2015 wurden vor dem ehemaligen Knabengymnasium die ersten Stolpersteine Griechenlands verlegt. Weitere Stolpersteinverlegungen, auch am Hafen, folgten im Jahr darauf.
Im Jahr 2016 wurde der 30. Oktober, der Tag der Befreiung von der deutschen Besatzung im Jahr 1944, zum lokalen Gedenktag erklärt.
Der Opfer der deutschen Besatzungsherrschaft, insbesondere der Menschen, die im Geiselhaft-/ Konzentrationslager Pavlos Melas ermordet wurden, wird bei Gedenkveranstaltungen am Partisanendenkmal in Pavlos Melas gedacht.
Gedenkorte in Thessaloniki:
Alter Bahnhof Thessaloniki
Aristoteles-Universität
Avenue des 30. Oktober 1944
Gedenkstätte Jerzy Szajnowitz-Iwanow
Hafen Pier A
Holocaust Memorial
Knabengymnasium
Neuer Jüdischer Friedhof
Pavlos Melas
Einrichtungen:
Jüdisches Museum Thessaloniki, Agiou Miná Straße 13, 546 24 Thessaloniki, Tel: +30 2310 250406-7, Mail: [email protected], www.jmth.gr. Öffnungszeiten: Dienstag, Freitag und Sonntag von 11.00-14.00 Uhr, Mittwoch und Donnerstag von 11.00-14.00 Uhr und von 17.00-20.00 Uhr.
Das Jüdische Museum von Thessaloniki thematisiert die Geschichte der sephardischen Jüdischen Gemeinde von Thessaloniki von der Vertreibung aus Spanien im Jahr 1492 bis zu ihrer Vernichtung durch die deutsche Besatzungsmacht 1943 und stellt Exponate aus, die Einblick in die Verfolgung der Juden in Griechenland und ihre Ermordung in deutschen Vernichtungslagern geben. Wechselnde Ausstellungen zu Themenschwerpunkten wie „Synagonistis: The Greek Jews in the National Resistance" im Sommer 2015.
Kriegsmuseum Thessaloniki, Grigoriou Lambraki / Pedio Areos 3, Thessaloniki, Tel: +30 2310 249803, Öffnungszeiten: Dienstag - Freitag von 9.00-14.00 Uhr, Samstag / Sonntag 10.00-14.00 Uhr. U.a. mit Exponaten zur Schlacht um Kreta, der deutschen Besatzung und dem Widerstand.
Literatur / Medien:
Breyer, Wolfgang: Dr. Max Merten - ein Militärbeamter der deutschen Wehrmacht im Spannungsfeld zwischen Legende und Wahrheit, Mannheim 2003; Bundesarchiv (Hg.): Europa unterm Hakenkreuz - Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus in Jugoslawien, Griechenland, Albanien, Italien und Ungarn, Berlin 1992; Dordanas, Stratos N./ Kalogrias, Vaios: Das nationalsozialistische Polizeihaftlager Pavlos Melas in Thessaloniki - Geschichte und Wahrnehmung, in: Klei, Alexandra/ Stoll, Katrin/ Wienert, Annika (Hg.): Die Transformation der Lager, Bielefeld 2011; Dordanas, Stratos N./ Kalogrias, Vaios: Die jüdische Gemeinde von Thessaloniki während der deutschen Besatzungszeit 1941-1944: Zwischengemeindliche Beziehungen, Ghettoisierung und Deportation, in: Denz, Rebekka/ Grazyna, Jurewicz (Hg.): Ghetto - Räume und Grenzen im Judentum, Potsdam 2011, S. 97-118; Molho, Michael (Hg.): Israelitische Gemeinde Thessalonikis in Memoriam, gewidmet dem Andenken an die jüdischen Opfer der Naziherrschaft in Griechenland, Essen 1981; Molho, Rena/ Hastaoglou-Martinidis, Vilma: Jüdische Orte in Thessaloniki – Ein historischer Rundgang, Athen 2011; Nessou, Anestis: Griechenland 1941-1944, Deutsche Besatzungspolitik und Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung - eine Beurteilung nach dem Völkerrecht, Göttingen 2009, S. 285-297; Rondholz, Eberhard: Rechtsfindung oder Täterschutz? Die deutsche Justiz und die „Bewältigung“ des Besatzungsterrors in Griechenland, in: Droulia, Loukia/ Fleischer, Hagen (Hg.): Von Lidice bis Kalavryta - Widerstand und Besatzungsterror; Studien zur Repressalienpraxis im Zweiten Weltkrieg, Berlin 1999, S. 225 - 291;
Fleischer, Hagen: Saloniki unter dem Hakenkreuz; de.wikipedia.org/wiki/Jüdische_Gemeinde_Thessaloniki;
www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=12112