Reichsgau Wartheland 1939-1945; Quelle: Wikipedia


Der Reichsgau Wartheland war eines der 1939 von Nazi-Deutschland – völkerrechtswidrig – annektierten „eingegliederten Gebiete“. Er umfasste in etwa die Gegend um Poznan (ehem. preußische Provinz Posen) mit hochwertigen Böden, die stark industrialisierte Region um Lodz und einige kleinere Gebiete (vgl. Karten). Im Herbst 1939 lebten hier 4,9 Millionen Menschen, davon waren etwa 4,19 Mio polnisch (85 %), 385000 jüdisch (=7,7 %) und 325000 deutsch (7 %). Infolge der rassistischen „Volkstumspolitik“ (Vertreibung von Polen, Deportation und Ermordung von Juden sowie Ansiedlung von (Volks-)Deutschen, z.B.aus dem Baltikum) betrug der Anteil der Polen Ende 1944 etwa 72 %, der Deutschen 27 %; es gab nur noch wenige Juden. Chef der Zivilverwaltung („Reichsstatthalter“) war NSDAP-Gauleiter Arthur Greiser. Er hatte den Ehrgeiz, das Wartheland zu einem faschistischen „Mustergau“ zu machen.

Orte im Warthegau; Quelle: Wikipedia

„Exerzierplatz des praktischen Nationalsozialismus“ (Röhr)
Der Warthegau sollte auf Dauer in das Reich eingegliedert, „entpolonisiert“ und „eingedeutscht“ werden. Innerhalb von zehn Jahren sollte die polnische Bevölkerung vertrieben und die noch benötigte polnische Bevölkerung auf ein niedriges kulturelles Niveau zurückgedrängt werden, z.B.durch drastische Beschränkung des Schulbesuchs.
Dies wurde auf mehreren Wegen umgesetzt: Massenmord an der polnischen Führungsschicht (vgl. Intelligenzaktion); Massenaussiedlungen „unerwünschter“ Personengruppen in das Generalgouvernement: schon vom 1.-17. Dezember 1939 wurden 87000 Menschen „umgesiedelt“, bis Kriegsende insgesamt etwa 600000 (in dieser Zahl sind die polnischen Juden nicht enthalten); viele Bauern wurden dabei von Haus und Hof vertrieben und enteignet; sehr restriktive Handhabung der Eindeutschung von Polen gemäß der „Deutschen Volksliste“, anders als z.B. in Danzig-Westpreußen; massive Deportation polnischer Arbeiter/innen zur Zwangsarbeit nach Deutschland, von den über 2 Millionen Zwangsarbeitern stammten viele aus dem Warthegau; Verdrängen der polnischen Sprache, Ersetzung polnischer Ortsnamen durch deutsche.

Muster für spätere deutsche Okkupationen
Die Praxis im Warthegau hatte für die weitere nationalsozialistische Politik Experimental- und Modellcharakter, insbesondere auch in anderen okkupierten Ländern - wobei sich Unterschiede und Differenzierungen ausgebildet haben (nach Schumann/Nestler, S. 26f.):
- Aufteilung des okkupierten Landes in die industriell und landwirtschaftlich stärksten Gebiete und andere kaum lebensfähige Gebilde (so später z.B. in Frankreich, Besatzungszonen);
- Enteignung und Massenvertreibung polnischer Bauern verbunden mit der Ansiedlung Volksdeutscher war ein Probe für die zukünftige Aneignung von „Lebensraum im Osten“;
- Enteignung industrieller Betriebe, ggfs. Überführung in die Hände von Treuhändern;
- die Diskriminierung und Vernichtung der Juden – Kennzeichnung, Ghettoisierung, Transport in die Vernichtungslager – wurden erst hier praktiziert und später auf das Reich und und die besetzten Länder übertragen;
- das erste Lager für die industrialisierte Massenvernichtung von Juden sowie Sinti und Roma wurde im Dezember 1941 in Kulmhof (Chelmno nad Nerem) /Warthegau in Betrieb genommen; es war von Anfang im Hinblick auf die Vernichtung der europäischen Juden berechnet;
- noch vor dem Anlaufen der Aktion T4 im Reich wurden im Warthegau und in Danzig-Westpreußen Behinderte und Kranke in Krankenhäusern oder Anstalten ermordet;
- die Methoden der Deportation von Zwangsarbeitern einer als „primitiv“ angesehenen Bevölkerung wurde auf die jugoslawischen und sowjetischen Völker mit noch größere Brutalität angewandt.

Literatur/Medien
Epstein, Catherine: Model Nazi. Arthur Greiser and the Occupation of Western Poland, Oxford 2010
Kochanowski, Jerzy/Kosmala, Beate (Hg.): Deutschland, Polen und der Zweite Weltkrieg. Geschichte und Erinnerung, Potsdam/Warschau 2013, S. 437-439
Röhr, Werner: Reichsgau Wartheland 1939-1945. Vom „Exerzierplatz des praktischen Nationalsozialismus“ zum „Mustergau“?, Berlin 2012 (organon)
Schumann, Wolfgang/Nestler, Ludwig (Hg.): Die faschistische Okkupationspolitik in Polen (1939-1945), Köln 1989, S. 26f.
https://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/regionen/reichsgau-wartheland/
https://de.wikipedia.org/wiki/Wartheland