Am 23. August 1939 schloss das damalige Deutsche Reich und die Sowjetunion, vertreten durch ihre Außenminister von Ribbentrop und Molotow, wenige Tage vor dem deutschen Überfall auf Polen (1. September 1939) einen Nichtangriffspakt, seither verkürzt meist „Hitler-Stalin-Pakt“ genannt. Der Vertragsabschluss durchkreuzte monatelange Bemühungen Großbritanniens und Frankreichs um ein Abkommen mit der Sowjetunion, das zu einer Allianz gegen Nazideutschland führen sollte. Mit dem deutsch-sowjetischen Abkommen sicherten sich beide Staaten u.a. für den Fall eines Krieges Neutralität und gegenseitigen Gewaltverzicht zu. Den politischen Hintergrund dafür bildeten der in Europa erwartete Angriff Deutschlands auf Polen, dessen staatliche Souveränität von Großbritannien und Frankreich garantiert worden war, sowie die Befürchtung der Sowjetunion, in einen europäischen Krieg hineingezogen zu werden. In einem geheimen Zusatzprotokoll verständigten sich die Vertragspartner auf die Aufteilung Polens untereinander sowie auf die Zuordnung Finnlands, Lettlands, Estlands und Bessarabiens zur sowjetischen Interessensphäre. In Folge dieser Absprache besetzte Nazideutschland nach dem Einmarsch in Polen vom 1. September 1939 an den westlichen Teil Polens; Ostpolen wurde von der Sowjetunion besetzt. Ein weiterer deutsch-sowjetischer Vertrag vom 28. September 1939 veränderte das Abkommen vom 23. August u.a. dahingehend, dass auch Litauen der sowjetischen Interessensphäre zugeordnet wurde, nachdem bereits im Vertrag vom 23. August die Eingliederung der Region um Vilnius – zwischen Polen und Litauen seit langem heftig umstritten und von Polen 1920 annektiert – in das litauische Staatsgebiet festgelegt worden war (Litauische Geschichte).

Mit den Verträgen vom August und September 1939 und ihren geheimen Zusätzen erreichte die Sowjetunion die „Rückgewinnung“ ausgedehnter Gebiete des früheren russischen Zarenreichs, die nach dem Ersten Weltkrieg insbesondere in Gestalt des Nationalstaates Polen und der drei baltische Staaten unabhängig geworden waren. Nazideutschland wiederum erzielte für seinen programmatischen „Kampf um Lebensraum im Osten“ mit der gewaltsamen Besetzung Westpolens einen großen territorialen Fortschritt, den es innenpolitisch wegen der vollzogenen Kehrtwende gegenüber dem bisherigen „bolschewistischen Todfeind“ allerdings nur schwer vermitteln konnte. Diese nur zwei Jahre andauernde Kehrtwende und der deutsche Einmarsch in Polen im September 1939 signalisierten, dass Hitlerdeutschland die von Großbritannien und Frankreich abgegebene Garantieerklärung für Polens Unabhängigkeit für ein „Stück Papier“ hielt. Die mit der Sowjetunion vereinbarte Zerschlagung Polens bedeutete nach dem Anschluss Österreichs (März 1938), dem Münchener Abkommen zur Annexion des tschechoslowakischen Sudetengebietes (September 1938) und der Besetzung der Tschechoslowakei (März 1939) einen weiteren aggressiven Schritt auf dem Weg zur angestrebten deutschen Hegemonie in Europa. Die mit dem Hitler-Stalin-Pakt verbundene, vorübergehende Annäherung zwischen Nazideutschland und der Sowjetunion führte u.a. zur Umsiedelung deutscher Minderheiten aus sowjetischen Gebieten. Auch aus Litauen wurden „Volksdeutsche“ als Siedler z.B. in das okkupierte Westpolen ausgesiedelt, von dort aus wiederum wurden Polen und Juden deportiert. Die Sowjetunion ihrerseits lieferte deutsche Antifaschisten, die 1933 dort Zuflucht gesucht hatten, an das Naziregime aus.

Nach der im Jahr 1940 weitgehend gelungenen Unterwerfung der Länder des westeuropäischen Kontinents durch Nazideutschland hielten sich Hitler und die ihm hörige deutsche Militärführung für überlegen genug, den nie aufgegebenen Plan eines vernichtenden Angriffs auf die Sowjetunion in die Tat umzusetzen: unter Bruch der Verträge vom August und September 1939 überfiel Nazideutschland am 22. Juni 1941 die Sowjetunion – der Tarnname des Überfalls lautete „Unternehmen Barbarossa“. Das Territorium Litauens, das in der Folge der deutsch-sowjetischen Verträge von 1939 seit Juni 1940 eine Sowjetrepublik geworden war, war als Teil der Sowjetunion das nordöstliche Angriffsziel der deutschen Angriffswelle beim Überfall auf die Sowjetunion.

Die geheimen Zusatzprotokolle zu den deutsch-sowjetischen Verträgen von 1939 mit den dort vereinbarten Territorialverschiebungen wurden außerhalb der Sowjetunion erst nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt, von sowjetischer Seite aber erst 1989 als zutreffende Dokumente bestätigt.


Literatur / Medien
Le Monde Diplomatique (Hg.): Atlas der Globalisierung spezial. Das 20. Jahrhundert, Berlin 2010, S. 26f.; Morzycki-Markowski, Mikolaj: Hitler-Stalin-Pakt, in: Kochanowski, Jerzy / Kosmala, Beate (Hg.): Deutschland, Polen und der Zweite Weltkrieg. Geschichte und Erinnerung, Postdam u. Warschau 2013, S. 303; Pätzold, Kurt: Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt, in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, hrsg. von Wolfgang Benz u.a., München 2007; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (Hg.): Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt, Nr. 22/14 vom 19.08.2014

https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-sowjetischer_Nichtangriffspakt
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/aussenpolitik/hitler-stalin-pakt-1939.html
https://www.ushmm.org/wlc/en/article.php?ModuleId=10005156