Das „Reichskommissariat Ostland“ (RKO) stellte die Besatzungsverwaltung im Baltikum (Weißrussland eingeschlossen); sie war „Zivilverwaltung“ im Unterschied zur Militärverwaltung (Wehrmacht). Reichskommissar war Hinrich Lohse, Gauleiter und Oberpräsident von Schleswig-Holstein, ernannt am 17. Juli 1941, anfangs mit Sitz in Kaunas, ab Herbst 1941 in Riga (Lettland). Er war dem „Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete“ (RMO) unter Alfred Rosenberg unmittelbar unterstellt. Politische Zukunftsperspektive für die baltischen Besatzungsgebiete war deren – nach der erwarteten Niederwerfung der Sowjetunion – beabsichtigte Angliederung an das Deutsche Reich. Aktuelle Aufgabe des RKO war die politisch-administrative Nutzung und Kontrolle der litauischen Verwaltung sowie die wirtschaftliche Ausbeutung der Besatzungsgebiete.

Reichskommissariat OstlandLohse holte vor allem Beamte aus Schleswig-Holstein in die Verwaltung des RKO, das in General-, Gebiets- und Stadtkommissariate untergliedert wurde. Die Leitungsfunktionen im RKO wurden mit überzeugten und erfahrenen Nationalsozialisten besetzt: Generalkommissar für Litauen wurde Adrian von Renteln; zu den sechs Gebiets- und Stadtkommissaren wurden Hans Cramer (Kaunas Stadt), Arnold Lentzen (Kaunas Land), Hans Gewecke (Šiauliai), Walter Neum (Panevėžys), Horst Wulff (Vilnius Land) und Hans Hingst (Vilnius Stadt) berufen. Mit relativ wenig Personal verfügten sie über die exekutive Gewalt in den jeweiligen Gebiets- und Stadtterritorien und hatten Weisungsgewalt gegenüber der litauischen Verwaltung (neun Generalräte an der Spitze, unter ihnen Kreisverwaltungen und Bürgermeister mit jeweiliger Ordnungs- und Hilfspolizei). Die litauischen Leitungsfunktionen waren mit Vertretern der nationalistischen und faschistischen Verbände aus der Zeit vor der Sowjetrepublik Litauen besetzt. Die deutschen Kommissariate waren wiederum auf die Bereitschaft zur Kollaboration der litauischen Seite angewiesen. Dies galt nicht zuletzt für die Durchführung der Ghettoisierung, Beraubung und folgenden Vernichtung der jüdischen Bevölkerung sowie die Ausschaltung jener Litauer, die die Sowjetrepublik unterstützt hatten. Von Transporten und Bewachung bis zum Mordkommando wurden hierfür litauische Hilfstruppen eingesetzt.

Die Besatzungsverwaltung orientierte sich an der Gliederung der litauischen Verwaltung. Die Kombination aus übergeordneter Besatzungs- und kollaborierender litauischer Verwaltung ergab die flächendeckende Gewalt für die im Juli/August 1941 systematisch beginnenden Massenmorde. Das Fundament dieser insoweit reibungslosen Verzahnung war die ideologische Übereinstimmung im Kampf gegen den „jüdischen Bolschewismus“. Die personelle Besetzung der Leitungsfunktionen mit litauischen Nationalisten begünstigte die Entstehung eines passiven nationalen Widerstandes. Dies führte u.a. 1943 zum Scheitern der von deutscher Seite geforderten Aufstellung einer litauischen SS-Legion. Als Form passiven Widerstands ist auch die 1943 zunehmende Weigerung von Bauern zu werten, die hohen Ablieferungskontingente von Ernte und Vieh zu erfüllen. Deren Einhaltung sicherzustellen, gehörte zu den wirtschaftspolitischen Aufgaben der Gebietskommissariate. Es kam zu Verhaftungen, Straflagern und auch Erschießungen von Bauern. Gebietskommissar Wulff (Vilnius Land) ließ im Februar 1943 sogar 40 polnische Bauern wegen Wirtschaftssabotage (Nichterfüllung der Ablieferungspflicht) exekutieren. Das Besatzungsregime wurde auch im Bereich der wirtschaftlichen Ausbeutung zum Straf- und Terrorregime.

Literatur / Medien
Benz u.a. (Hg.): Einsatz im "Reichskommissariat Ostland", Berlin 1998; Dieckmann 2011, Bd. 1, S. 451ff., S. 495ff., S. 604ff.; Gräfe, Karl Heinz: Vom Donnerkreuz zum Hakenkreuz. Die baltischen Staaten zwischen Diktatur und Okkupation, Berlin 2010, S. 170ff.; Danker, Uwe: Der Judenmord im Reichskommissariat Ostland, in: Gegenwind 1999/128 (abrufbar unter http://www.gegenwind.Danker); Lehmann, Sebastian u.a. (Hg.): Reichskommissariat Ostland. Tatort und Erinnerungsobjekt, Paderborn u.a. 2012; Pohl, Reinhard: Reichskommissariat Ostland. Schleswig-Holsteins Kolonie, in: Gegenwind 1998/122 (abrufbar unter http://www.gegenwind.Pohl); Seckendorf, Martin: Deutsche Baltikumkonzeptionen 1941–1944 im Spiegel von Dokumenten der zivilen Okkupationsverwaltung. Eine Dokumentation, in: 1999 Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 1/2001, S. 140-172.

https://de.wikipedia.org/wiki/Reichskommissariat_Ostland (Karte)