Geboren am 17. Juli 1906 in Hachenhausen bei Braunschweig, arbeitete Hans Gewecke nach dem Abitur zunächst auf dem väterlichen Bauernhof und machte ab 1928 als glühender Antisemit in der NSDAP Karriere vom Kreisleiter in Lauenburg bis zum Reichstagsabgeordneten. Ab August 1941 bis 1944 war er als Gebietskommissar (RKO) in Šiauliai für die Ghettoisierung aller Juden der Region, für deren Beraubung und Einsatz zu Zwangsarbeit und letztlich deren Ermordung verantwortlich, wenn auch die Erschießungen selbst meist von Angehörigen des Einsatzkommandos 3 (EK 3) und von litauischen Hilfstruppen ausgeführt wurden.
Als Kommandoführer Hamann vom EK 3 am 3. September 1941 in Šiauliai auftauchte mit dem Auftrag, sofort sämtliche Juden der Stadt zu liquidieren, intervenierte Gewecke sowohl beim Reichskommissar Lohse als auch beim Auftraggeber, SS-Standartenführer Karl Jäger. Zwar waren in Geweckes Zuständigkeitsbereich und mit seiner Zustimmung bis zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 60.000 Juden umgebracht worden – fast alle Kreise seien „judenfrei“ – die noch lebenden ca. 6.000 Arbeitskräfte jedoch wollte er aus wirtschaftlichen Motiven vorerst am Leben lassen. In seinem Schreiben an den Generalkommissar in Kaunas, von Renteln, lässt er diesen wissen, „dass in Schaulen selbst eine ziemliche Industrie herrscht, deren Spezialarbeiter ausschließlich Juden sind. Man kann hier keinerlei Arbeiten ausführen lassen, an deren Herstellung Juden nicht maßgeblich beteiligt sind. Besonders bemerkbar macht sich dies in der Lederverarbeitungsindustrie. Hier sind alle Facharbeiter ausschließlich Juden. Es wurden aber bereits Anordnungen … herausgegeben, zu jedem jüdischen Spezialarbeiter einen jungen Litauer zu geben, damit dieser sich einarbeiten kann, um zur gegebenen Zeit das Judenproblem ohne Schädigung der Wirtschaft restlos zu lösen“ (Schreiben Geweckes an von Renteln vom 10.9.1941 siehe Link zu Yad Vashem File Number 142). In demselben Schreiben hatte er sich allerdings auch gebrüstet, dass entsprechend den ihm mitgegebenen Instruktionen, "fast alle Kreise judenfrei" seien und "die Judenfrage im Gebiet Šiauliai mit der nötigen Intensität und nationalsozialistischer Härte durchgeführt worden sei" (Dieckmann 2011). Nach dem Krieg wird Gewecke argumentieren, dass er aus rein „menschlichen Erwägungen“ die Anordnung Jägers zur Liquidierung der Juden zurückgewiesen und somit Juden gerettet habe (siehe Interview Lanzmann, Clip 4 von 5). Beim Abzug der deutschen Besatzung sorgte er für die Vernichtung der Akten des Gebietskommissariats Šiauliai, einige Korrespondenz Geweckes ist erhalten geblieben. Gewecke gehörte zu den vielen Beamten im RKO, die sich persönlich an geraubtem oder erpresstem Vermögen bereichert haben. Er ließ sich offensichtlich vom örtlichen Judenrat Lösegelder bezahlen, um Exekutionsbefehle auszusetzen. Ende 1944 hatte der 1940 noch verschuldete Beamte ein Vermögen angehäuft, das mit seinen regulären Bezügen nicht erklärt werden konnte (Lehmann 2007).
1945 kam Gewecke in alliierte Internierung und wurde 1948 im Entnazifizierungsverfahren zu zwei Jahren Haft verurteilt. Ermittlungen wegen der Beihilfe zum Massenmord an den Juden in der Region Šiauliai wurden später zwar eingestellt, doch 1970 verurteilte ihn das Landgericht Lübeck zu viereinhalb Jahren Zuchthaus wegen der Ermordung eines jüdischen Ghetto-Häftlings in Šiauliai, der wegen verbotenen Schmuggels von Lebensmitteln vor den Augen aller Ghettohäftlinge erhängt wurde. Gewecke starb am 10. März 1991 in Heidelberg.
Literatur / Medien
Dieckmann 2011, Bd. 1, S. 460f.; Bd. 2, S. 805-809, S. 832-861 (Zitat Geweke S. 860); Ders.: Überlegungen zur deutschen Besatzungsherrschaft in Osteuropa 1941–1944: Das Beispiel Litauen, in: Annaberger Annalen 5/1997 (abrufbar unter http://annaberger-annalen.de/jahrbuch/1997/pdf); Klee, Ernst: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt/M. 2003; Landgericht Lübeck, Urteil vom 27.01.1970, in: Justiz und NS-Verbrechen, Bd. 18, Verfahren Nr. 722; Lehmann, Sebastian: Kreisleiter der NSDAP in Schleswig-Holstein. Lebensläufe und Herrschaftspraxis einer regionalen Machtelite ( = IZRG-Schriftenreihe, Band 13), Bielefeld 2007, S. 402f.
1979 führte Claude Lanzmann mit versteckter Kamera ein Interview mit Hans Gewecke, in dem dieser sich als äußerst human den Juden von Šiauliai gegenüber, pflichtbewusst und frei von jeder Schuld darstellte. Steven Spielberg Film and Video Archive: https://www.ushmm.org/online/film/display/detail.php?file_num=5089
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Gewecke (Foto)
Gewecke an den Generalkommissar in Kauen, Adrian v. Renteln, vom 10. September 1941, Yad Vashem Datenbank, Yitzhak Stone Collection of NS Documents, File Number: 142
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