Fünfmal geänderte Staatszugehörigkeit
In den letzten 150 Jahren wurde die Staatszugehörigkeit des Elsass und Lothringens (östlicher Teil, Departement Moselle = Moselgebiet) fünfmal geändert, drei blutige Kriege wurden auf ihren Gebieten geführt. Bis dahin französisch, waren sie von 1871–1918 dem Deutschen Reich einverleibt, von 1918–1940 französisch, von 1940 bis Kriegsende faktisch von Nazideutschland annektiert, was die NS-Machthaber zu massiver Germanisierung und Nazifizierung (u.a. Wehrpflicht und Hitlerjugend) und zum Bau des KZ Natzweiler-Struthof nutzten, ab 1945 wieder französisch.
Faktische Annexion im Zweiten Weltkrieg
Nach Kriegsbeginn Anfang September 1939 und erneut nach der deutschen Invasion Frankreichs im Mai 1940 wurden – entsprechend den französischen Plänen – Zehntausende aus den Grenzgebieten in den französischen Südwesten evakuiert. Viele kehrten nach dem Waffenstillstand im Juni 1940 zurück; u.a. Juden und Kommunisten wurde die Rückkehr verwehrt. Im Herbst wurden über 80.000 „missliebige Personen“, darunter Juden und Frankophile nach Frankreich ausgewiesen.
Im August 1940 setzten die Deutschen – einseitig – die NSDAP-Gauleiter Bürckel in Lothringen und Wagner im Elsass als Reichsstatthalter und Chefs der Zivilverwaltung ein, Lothringen wurde mit dem Saarland und der Pfalz zum Gau Westmark, das Elsass mit Baden zum Gau Oberrhein zusammengelegt. Staatsrechtlich blieben die Gebiete französisch, faktisch wurden sie aber integraler Bestandteil des „Großdeutschen Reichs“. Das hatte Konsequenzen auch für den Widerstand.
Germanisierungs- und Nazifizierungspolitik
Noch im Herbst 1940 folgten praktische Schritte, das „Welsche“ zu tilgen und das „Deutsche“ durchzudrücken: Gemeinden und Straßen bekamen statt französisch klingender deutsche Namen, Deutsch wurde Amts- und Unterrichtssprache, französisch in der Öffentlichkeit verboten. Post, Bahn, Polizei und Verwaltung kamen unter deutsche Kontrolle. Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädels wurden Pflicht, alle sollten Mitglied der „Deutschen Volksgemeinschaft“ werden. Nach Reichsarbeitsdienst wurde im August 1942 die Wehrpflicht in der deutschen Wehrmacht eingeführt, viele junge Männer an der Ostfront eingesetzt. Das löste große Empörung aus und verstärkte den Widerstand. Desertion und Flucht von „Malgré-Nous“, d.h. der gegen ihren Willen in Wehrmacht oder Waffen-SS Gezwungenen, nahmen zu.
Widerstand
Der Widerstand weist Besonderheiten gegenüber dem im (restlichen) Frankreich auf. Er fand auf deutschem (annektierten) Gebiet statt und hatte es mit deutscher Polizei etc. zu tun. Andererseits spielte der Vertrauensvorsprung von Pétain keine Rolle. Anders als in Frankreich (und in Deutschland) war ein Hauptmotiv die Ablehnung der Germanisierung.
Erste Aktionen zielten darauf, die Zugehörigkeit zu Frankreich und zur Republik zu demonstrieren: blau-weiß-rote Blumen an Denkmälern, Abreißen von NS- oder deutschen Parolen/Plakaten, französisch sprechen. Dies wurde als Angriff auf das Ansehen und die deutschen Kriegsanstrengungen streng geahndet, viele wurden in das SS-„Umerziehungs“-Lager Schirmeck oder in das SS-Sonderlager Feste Göben (Fort Queuleu) bei Metz eingeliefert. Nach Einführung der Wehrpflicht nahmen Verweigerung und Flucht in die Schweiz oder nach Frankreich zu (vgl. Ballersdorf, sentier des passeurs) zu.
Als 1942 über 10.000 Lothringer die „Deutsche Volksgemeinschaft“ ablehnten, ordenete Gauleiter Bürckel an, die nicht „eindeutschungsfähigen“ Familien in Arbeitslager in Polen und Tschechien (Oberschlesien, Sudeten) „umzusiedeln“, d.h. zu deportieren. Die Beteiligten nannten sich Patriotes Résistants à l’Occupation (PRO), vgl. http://www.fndirp.asso.fr/patriotes%20resistants.htm Die sog. „Umsiedlung“ war auch eine Sanktion gegen Familien von Wehrdienstverweigerern.
Widerstandsgruppen
Die Verbindungen zu den Widerstandsnetzen im besetzten oder unbesetzten Frankreich waren anfangs spärlich. Einige Gruppen (z.B. Groupes Mobiles d'Alsace) standen in Verbindung mit General Giraud und bekamen auch deshalb erst spät Unterstützung des Freien Frankreich. Das Netzwerk Wodli und die Gruppe Mario (Jean Burger) organisierten den Widerstand unter den Eisenbahnern, Minenarbeitern, Bergleuten und Stahlarbeitern.
Repression, Deportation
Nach deutschen Quellen wurden über 7.700 Personen (etwa ein Prozent der Bevölkerung) verhaftet, 1.800 interniert, 5.800 wurden deportiert, 2.960 von ihnen kamen nicht zurück. Ein Großteil der Sanktionen, darunter auch die sog. Umsiedlungen, erfolgte wegen Ablehnung der Germanisierungspolitik. Die Juden aus Elsass und Lothringen wurden im Herbst 1940 nach Frankreich ausgewiesen. Im Elsass und Lothringen wurden auch Homosexuelle interniert und deportiert.
Befreiung
Das Elsass und das Moselgebiet gehörten zu den letzten befreiten Regionen Frankreichs. Das Elsass war im Februar 1945 befreit, in Lothringen kam es noch bis Ende März 1945 zu Kämpfen mit einigen deutschen Einheiten.
Gedenken
Die Gedenkstätte Mémorial d'Alsace-Moselle in Schirmeck informiert umfassend insbesondere über die Zeit 1939–1945: www.cheminsdememoire.gouv.fr/de/elsass-mosel-gedenkstatte-schirmeck (dt.)
Literatur/Medien:
Dictionnaire historique de la Résistance, Paris 2006, S. 266–268.
Mémorial d'Alsace-Moselle, Le musée d'une histoire tourmentée de 1970 à nos jours, 2008.
Ungerer, Tomi: Die Gedanken sind frei! Meine Kindheit im Elsass, Zürich 1993.
http://fr.wikipedia.org/wiki/Alsace-Lorraine
http://fr.wikipedia.org/wiki/Annexion_de_la_Moselle_(1940)
http://fr.wikipedia.org/wiki/R%C3%A9sistance_en_Alsace_et_en_Moselle_annex%C3%A9es