Überlebende deutscher Kriegsverbrechen in Italien und deren Hinterbliebene haben vom deutschen Staat nie eine Entschädigung erhalten. Forderungen der Opfer bzw. der Familien der Opfer von Mordopfern, von materiellen Vernichtungsaktionen, auch der Opfer von Zwangsarbeit und Deportationen wurden von allen deutschen Regierungen der Nachkriegszeit mit einem doppelten Argument zurückgewiesen. Erstens habe Deutschland im Rahmen eines 1960 abgeschlossenen Abkommens sechzig Millionen DM für italienische NS-Opfer , die „aus Gründen der Rasse, der Religion und der Weltanschauung“ verfolgt worden waren, bezahlt. Es handelt sich angesichts der zig-tausendfachen Unrechtstaten um eine sehr geringe Summe, die insbesondere nie bei den nicht-jüdischen Opfern von Kriegsverbrechen angekommen ist. Außerdem, so das zweite Argument, verbiete das Völkerrecht, dass Bürger eines Staates individuelle Forderungen gegenüber einem anderen Staat erheben – Reparationen könnten nur von Staat zu Staat gefordert und geleistet werden („Staatenimmunität“). Zu bezweifeln ist allerdings, ob dieser Grundsatz auch im Fall tausendfacher, zudem bis heute nicht entschädigter schwerer Verletzungen des Völkerrechts gilt.
Italienische Gerichte haben in mehreren Urteilen ehemalige Wehrmachtsangehörige, die an Kriegsverbrechen in Italien beteiligt waren, bestraft, und außerdem den Opfern Entschädigung gegen die Bundesrepublik Deutschland zugebilligt (so zuletzt das Militärgericht Verona im Urteil vom 6. Juli 2011, in dem sieben ehemalige Angehörige der Panzeraufklärungsdivision „Hermann Göring“ wegen Kriegsverbrechen in mehreren norditalienischen Dörfern in Abwesenheit zu lebenslanger Haft und zu Entschädigung verurteilt wurden; die Bundesrepublik wurde in der gleichen Entscheidung als Mitschuldnerin der Entschädigungszahlung verurteilt).
Nachdem das italienische Kassationsgericht am 29. Mai 2008 wegen des Massakers in Civitella Val di Chiana, das deutsche Soldaten am 29. Juni 1944 dort verübt hatten, Entschädigungsansprüche gegen Deutschland bejaht hatte, klagte die deutsche Regierung gegen dieses Urteil vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, um nach Möglichkeit weiteren für Deutschland nachteiligen Gerichtsentscheidungen einen Riegel vorzuschieben. Immerhin waren 2011 noch etwa 50 Gerichtsverfahren in Italien mit Klagen auf Entschädigung vor allem von Deportations- und Massakeropfern anhängig.
Der IGH in Den Haag hat in seinem Urteil vom 3. Februar 2012 die Urteile italienischer Gerichte, die z.B. den Opfern aus Civitella Val di Chiana Entschädigung durch die Bundesrepublik zusprachen, für unwirksam erklärt. Nach Auffassung des IGH gilt nach wie vor der Grundsatz der Staatenimmunität, der individuelle Klagen gegen einen Staat verbietet. Selbst im Fall schwerster Verbrechen gegen Menschenrechte gelten nach dieser IGH-Auffassung, die seit den Urteilen der Nürnberger Prozesse nach 1945 zumindest umstritten ist, keine Ausnahmen von diesem Grundsatz. Damit hat der IGH die Opfer deutscher Kriegsverbrechen in Italien (und Opfer in Griechenland, die von dieser Entscheidung ebenfalls betroffen sind) rechtlos gestellt und ihnen jede Grundlage für gerichtliche Klagen auf Entschädigung entzogen.
Das Verfassungsgericht in Rom hat allerdings am 23. Oktober 2014 das italienische Gesetz zur Umsetzung des IGH-Urteils vom Februar 2012 in innerstaatliches Recht für verfassungswidrig erklärt, weil es gegen den Verfassungsgrundsatz verstoße, der jedem italienischen Bürger Gehör vor einem inländischen Gericht garantiere. Der völkerrechtliche Grundsatz der sog. Staatenimmunität gelte nicht, wenn es um „unrechtmäßige Taten eines Staates geht, die als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen sind“, so das Verfassungsgericht (zitiert nach Süddeutsche Zeitung vom 24. Oktober 2014). Diese Entscheidung hat zur Folge, dass italienische Opfer des NS-Regimes vor inländischen Gerichten gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Entschädigung klagen können. Die Bundesregierung will jedoch weiterhin bei ihrer bisherigen, vom IGH bestätigten Haltung bleiben, wonach individuelle Klagen gegen Deutschland nicht zulässig sind (SZ a.a.O.).
Angesichts der seit Jahren im Detail und namentlich nachgewiesenen Verbrechen, die unter deutscher Verantwortung und von deutschen Staatsangehörigen während der Okkupationsjahre in Italien (und in Griechenland) mit tausenden von Todesopfern und Vernichtungsaktionen verübt worden sind, bleibt die anhaltende Weigerung der Bundesregierungen, sich wenigstens um eine gütliche Einigung mit den italienischen Opferverbänden zu bemühen – was der IGH immerhin angeregt hatte – oder Entschädigungsansprüche auf andere Weise anzuerkennen, unmenschlich und beschämend.
Literatur / Medien:
Antwort der Bundesregierung vom 6. 09. 2011 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (Drucksache 17/6923); www.nadir.org/nadir/initiativ/ak-distomo; www.resistenza.de/Kriegsverbrechen; www.keine-ruhe.org; www.faz.net/themenarchiv/politik/vereinte-nationen/deutsche-kriegsverbrechen-den-haag-staerkt-deutschlands-immunitaet-11636379.html; www.sueddeutsche.de/politik/entschaedigungsstreit-mit-italien-deutschland-geniesst-immunitaet-bei-nazi-kriegsverbrechen-1.1274635; www.spiegel.de/politik/ausland/kriegsverbrechen-urteil-eine-niederlage-fuer-die-menschenrechte-a-813241.html
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