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Montreuil-Bellay

Region Pays de la Loire, Departement Maine-et-Loire

Altstadt mit Schloss; Quelle: ot-saumur.fr Der Ort
Kleinstadt mit altem Stadtkern, ca. 4000 Einwohner/innen (2014), etwa 5 km südlich von Saumur, 85 km nordwestlich von Poitiers. Das ehemalige Internierungslager für 'nomades' (Nichtsesshafte) liegt an der D 347 →Loudon/Poitiers, 2-3 km außerhalb des Ortes, nordwestlich der Zone industrielle de Méron, an der Kreuzung Rue de Loudun/Route de Méron.


Internierungslager / Camp pour les „nomades“/tsiganes, „Zigeuner“

Vorgeschichte

Auf dem Gelände einer 1940 gebauten Pulverfabrik, das die Wehrmacht zeitweise als Lager für frz. Kriegsgefangene genutzt hatte, ließ der Präfekt am 8. November 1941 ein 'Konzentrationslager' (nicht zu verwechseln mit den deutschen KZ) für „Individuen ohne festen Wohnsitz, 'nomades' (Nichtsesshafte) und Markthändler vom Romani-Typ“ errichten, was „den rassistischen Charakter der Maßnahme bestätigt“ (J. Sigot).

Vorausgegangen waren zwei Anordnungen: Einmal das Dekret der 3. Republik vom 6. April 1940, wonach die 'nomades' während des Kriegs an bestimmten Orten unter Polizeikontrolle gesammelt werden sollten und den Ort nicht verlassen durften ('assignation à résidence'). Zum anderen wies die Wehrmacht per Befehl vom Oktober 1940 die frz. Behörden in der besetzten Nordzone an, „Zigeuner“ in Lagern zu internieren. Die Deutschen erweiterten den Personenkreis der französischen Dekrete von 1912 und 1940, die sich vor allem auf 'nomades' (Landfahrer, Nichtsesshafte) bezogen; vgl. Sachstichwort Sinti und Roma (Frankreich).


Die Internierten

Als erste Internierte kamen etwa 260 'nomades' am 8. November 1941 aus dem Lager in Avrillé-les-Ponceaux (Centre) an; im Dezember 213 'nomades', die in der West-Bretagne bei Razzien gefangen worden waren. Ende 1942 erreichte das Lager mit fast 1100 Internierten den höchsten Stand – es waren u.a. weitere Männer, Frauen und Kinder aus den Lagern Muslanne (Pays de la Loire) und Rennes (Bretagne) dazu gekommen. Im Dezember 1943 wurden 304 'nomades' aus dem Lager Poitiers (Poitou-Charentes) hierher verlegt. Montreuil-Bellay war zu einem Lager für die Region geworden. Meist kamen ganze Familien. Während der gesamten Zeit waren mehrere tausend Männer, Frauen und Kinder interniert – aus dem einzigen Grund, weil sie 'nomades' waren.

Manche konnten das Lager – zumindest zeitweise – verlassen, wenn sie außerhalb – unter Hausarrest – wohnten und arbeiteten. Andere wurden zur Arbeit in Werkstätten oder auf die Felder geschickt. Familienangehörige wurden als Geiseln/Garanten für die Rückkehr der außerhalb zur Arbeit Eingesetzten im unterirdischen Kerker festgehalten.


Zustände

Die Internierten wohnten in Holzbaracken, manche hatten Steinfußboden und -treppen, die Dächer waren meist aus Wellblech. Sie waren im Sommer heiß und im Winter kalt. Familien wohnten oft zusammen. Die Ernährung war einseitig, vor allem zu wenig, die meisten hatten ständig Hunger. Hygiene völlig unzureichend. Immer an einem Ort eingesperrt zu sein, das erzwungene Sesshaftwerden war schwer erträglich besonders für Menschen, zu deren Lebensstil es gehört, im Land herumzufahren. Insbesondere für die Kinder; Franziskanerinnen, die im Lager wohnten, spielten, sangen, lernten, aßen und gingen mit ihnen in die Kirche.

Holzbaracken; Quelle: 2august.eu Internierte im Lager Montreuil; Quelle: humanite.fr Eingang zum Lager-Kerker (rekonstruiert 2016)

Im Sommer 1944 wurden die Internierten umquartiert, nachdem das Lager von alliierten Flugzeugen bombardiert worden war; im Oktober 1944 bezogen sie wieder ihre Baracken.
Neben ihnen wurden eingesperrt u.a. deutsche Kriegsgefangene sowie – im Januar 1945, nach Auflösung des 'nomades'-Lagers – etwa 800 deutsche Zivilisten mehrheitlich Frauen, die zuvor im Lager Schirmeck und im KZ Natzweiler-Struthof interniert worden waren (vgl. Sigot, blogspot aaO).

Gedenktafel „Die Freiheit ….“


Späte Befreiung

Viele Menschen waren bis lange nach der Befreiung von Montreuil-Bellay (1. September 1944) interniert – so als wenn sie von den Behörden und der Bevölkerung vergessen worden wären. Im Januar 1945 wurden einige Menschen befreit, aber 524 Personen in die Lager Jargeau (bei Orléans) und Angoulême (Charente) gebracht, wo manche noch bis Mitte 1946 bleiben mussten. Der Präfekt bemühte das Dekret von 1940; vgl. Näheres Sachstichwort Sinti und Roma (Frankreich).

Der Text auf der Gedenktafel des 'mémorial national' setzt dagegen. „Die Freiheit ist das Herz des Menschen, das weiter schlägt und der weiter kämpft trotz widrigster Schicksalsschläge“ (Tikno Adjami, im Lager interniert).


40 Jahre Vergessen und Schweigen

Im Oktober 1946 wurden Gebäude, Inventar etc. versteigert. Lange Jahre wurde das Gelände anders genutzt: als Lager, als Viehweide, als US-Materiallager. Es geriet in Vergessenheit. Jacques Sigot führt das auf eine verbreitete Haltung zurück, die 'nomades' praktisch als Ausländer ansieht, und fragt nach den Motiven des Schweigens.

„Weil – und das ist von den Opfern noch schwerer zu verstehen – die Lager nicht nach
der Befreiung geschlossen wurden, sondern weiter bestanden – unter dem Vorwand,
dass der Krieg noch nicht offiziell beendet sei? Und wenn das Schweigen andauert, ist
es nicht ganz einfach deshalb, weil auch heute noch die „Zigeuner“ die Zivilisation
der Sesshaften, die sie zurückweist, wie sie sie seit jeher
zurückgewiesen hat, vor Probleme stellen?“ (Le camp de concentration …., aaO, S. 20)



Gedenken

Auf Privatinitiative des ehemaligen Internierten Jean-Louis Bauer und des Lehrers Jacques Sigot wurde 1986 ein Gedenkstein eingeweiht – mit einer teils verschleiernden Inschrift: „Hier mussten mehrere tausend Zigeuner – Männer, Frauen und Kinder – als Opfer einer willkürlichen Gefangenschaft leiden.“ Nach jahrelanger Vorarbeit des Unterstützerkreises AMCT wurden 2010 die Ruinen des Lagers zum Historischen Denkmal erklärt und damit gegen Verkauf etc. geschützt. Gedenkzeremonie jeweils am letzten Sonntag im April.

Montreuil – erster Gedenkstein Reste einer Barackentreppe

Am 29. Oktober 2016 – 70 Jahren nach Schließung des letzten Lagers – wurde das mémorial national (nationale Gedenkstätte) eingeweiht. Es besteht aus farbig gebrannten, durchbrochenen, an einen Lagerzaun erinnernden Ziegelsteinsäulen; im Inneren sind über 470 Namen von internierten Familien eingebrannt. Präsident Hollande hat in seiner Rede einen – lange überfälligen – Schritt getan und erstmals offiziell die Verantwortung der Französischen Republik benannt: „Die Republik anerkennt das Leid der 'nomades', die interniert worden sind, und bekennt, dass seine Verantwortung an diesem Drama groß ist.“ 

Weiter kündigte er an, dass das diskriminierende „Reisebuch“, das Personen ohne festen Aufenthalt oder Wohnsitz verpflichtet, sich alle drei Monate bei der Polizei zu melden, abgeschafft werden soll.

Montreuil - mémorial national/nationale Gedenkstätte mémorial: Namen internierter Familien; Quelle: adsvg63

Literatur/Medien
Sigot, Jacques: Des barbelés que découvre l'Histoire. Un camp pour les Tsiganes … et les autres, Montreuil-Bellay 1940-1946, Editions Wallâda 2011
ders.: Montreuil-Bellay. Le camp de concentration de la route de Loudon, Montreuil-Bellay 2011
ders: Quand l'histoire oublie …, https://jacques-sigot.blogspot.de 
Peschanski, Denis: Les Tsiganes de France 1939-1946, Paris 2002
ONAC Pays de la Loire: Un exemple d'exclusion: L'internement des nomades dans l'actuelle région des Pays de la Loire, La Roche-sur-Yon
Un camp pour mémoire, Le Patriote résistant N° 845 (2010), S. 5
Film von Alexandre Fronty: Montreuil-Bellay, un camp tsigane oublié (2012)
http://www.fondationshoah.org/memoire/montreuil-bellay-un-camp-tsigane-oublie-un-film-dalexandre-fronty
http://depechestsiganes.blogspot.com/
http://www.cheminsdememoire.gouv.fr/fr/camp-dinternement-pour-les-tsiganes-montreuil-bellay-49 
https://jacques-sigot.blogspot.com/ 
http://2august.eu/a-forgotten-camp-montreuil-bellay-france/
http://fr.wikipedia.org/wiki/Camp_de_concentration_de_Montreuil-Bellay