Region Hauts-de-France/Picardie, Departement Oise
Der Ort
Im Ortsteil Compiègne-Royallieu bestand zwischen 1941-1944 ein großes deutsches Internierungs- und Deportationslager. Hier wurden über 50000 Menschen gefangen gehalten, etwa 40000 wurden in die NS-Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Das ehemalige Lager und die Gedenkstätte liegen an der Avenue des Martyrs, zu erreichen vom Bahnhof Compiègne mit der Buslinie 5 Richtung Hôpital.
Deutsches Internierungs- und Deportationslager
Das Lager Compiègne-Royallieu war eines der wenigen Internierungslager, das von deutschen Besatzungsbehörden direkt verwaltet wurde. Das Frontstalag 122 Compiègne-Royallieu unterstand der Wehrmacht, sie war für die Verwaltung zuständig und stellte auch das Personal und die Wachmannschaften. Der Wechsel der Kompetenzen für „Sicherheitsfragen“ von der Wehrmacht zur SS und die Installierung des Höheren SS- und Polizeiführers Carl Oberg im Frühjahr/Sommer 1942 führten zu gravierenden Verschiebungen. Nicht die Wehrmacht entschied mehr, wer nach Compiègne überstellt und wer deportiert wurde. Das war jetzt alleinige Kompetenz der SiPo-SD in Paris.
Compiègne-Royallieu war das größte Internierungslager in Frankreich. Royallieu wurde 1941/42 zu einem Internierungslager für „aktive und für gefährlich gehaltene Feinde“ ausgebaut: Résistants, aktive Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialisten, Juden, bei Razzien verhaftete Bürger/innen, Ausländer.
Überführung in das Lager Compiègne „zum Zwecke der Deportation“
Otto von Stülpnagel, der Militärbefehlshaber in Frankreich schrieb in einem Erlass vom 10. April 1942 „Betreff: Deportation nach dem Osten als Sühnemaßnahme“: ….. „Der Führer hat befohlen, dass künftig für jedes Attentat– abgesehen von der Erschießung einer Anzahl geeigneter Personen – 500 Kommunisten und Juden dem Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei zur Deportation nach dem Osten zu übergeben sind… Durch Überprüfung der französischen Lager ist dafür Sorge zu tragen, dass in das Lager Compiègne eine ausreichende Anzahl von Personen überstellt wird. Bei Neufestnahmen ist stets zu prüfen, ob eine Ueberführung in das Lager Compiègne zum Zwecke der Deportation angezeigt ist.“
Das Lager diente also zugleich als Reservoir für Geiseln, die man – ohne gerichtliches Verfahren – als „Repressalie“ erschießen oder deportieren konnte. Sie wurden aus allen Gefängnissen und Internierungslagern in Frankreich hierher transportiert; z.B. aus Paris (La Santé und Cherche-Midi), Fresnes, Lyon (Fort Montluc), Bordeaux (Fort du Hâ), Gefängnis Limoges, Marseille (Les Baumettes); vgl. Delage, a.a.O., S. 86f.
Auch über Deportationen entschieden die Deutschen. Die Deportationslisten wurden vom 'Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD (BdS)' in Paris zusammengestellt, zuständig war SS-Hauptsturmführer Heinrich Illers.
In abgetrennten Teilen bestanden Sonderlager für Juden und für „feindliche Ausländer“ (z.B. US- und Sowjetbürger).
Fast alle Fluchtversuche scheiterten. In der Nacht vom 22. auf den 23. Juni 1942 konnten 19 Kommunisten durch einen von ihnen gegrabenen, 48 m langen Tunnel fliehen, der außerhalb des Lagergeländes endete. Elf wurden nicht wieder gefangen. Einer von ihnen war André Tollet, im Sommer 1944 Vorsitzender des Pariser Befreiungskomitees (CPL) und an der Befreiung von Paris beteiligt.
Deportationen
45 Deportationstransporte sind von Compiègne zwischen März 1942 und August 1944 gestartet: fünf 1942, 22 in Jahr 1943 und 27 im Jahr 1944. Die Zahl der Transporte und der Deportierten stieg kontinuierlich an – die Herren über das KZ-System verlangten nach einer höheren Zahl von Zwangs- und Sklavenarbeitern für die deutsche Kriegswirtschaft. Insgesamt wurden nach neueren Zahlen 39559 Menschen deportiert. Über die Deportationen, die Menschen, die Anzahl, den Zeitpunkt und den Ort entschieden die Deutschen (s.o.).
Der erste Deportationstransport ging am 27. März 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz mit über 1000 Juden, Opfer einer Razzia in Paris im Dezember 1941 – ein Fanal für die nun einsetzenden Massendeportationen „nach Osten“. Der erste Deportationstransport von 230 Frauen startete am 24. Januar 1943 in das KZ Auschwitz-Birkenau
Der letzte Transport vom 17. August 1944 in das KZ Buchenwald musste wegen Zerstörung der Oise-Brücke von einem Gleis im Wald von Compiègne starten. Der für den 27. August 1944 vorgesehene Transport wurde von der Résistance und alliierten Truppen gestoppt, das deutsche Wachpersonal festgenommen und später verurteilt (näheres bei Compiègne-Gare).
Befreiung
Die Deutschen hatten vor ihrem Abzug etwa 100 kranke Häftlinge sich selbst überlassen. Sie wurden von US-Truppen am 1. September 1944 befreit, das Lager offiziell geschlossen.
Gedenken
Für die 2008 eröffnete Gedenkstätte „Mémorial de l’internement et de la déportation – Camp de Royallieu“ wurden drei Gebäude des ehem. Lagers konserviert und in einen „Garten der Erinnerung“ integriert. In einem „historischen Fries“ wird das Lager in den Zusammenhang Zweiter Weltkrieg, Besatzung und Deportation gestellt.
Saal 1: Von einem Waffenstillstand zum anderen; Saal 2: Frankreich und das Vichy-Regime; Saal 3: Besatzung und Kollaboration; Saal 4: Die Geiselpolitik, STO-Zwangsarbeit für deutsche Rüstungsindustrie; Saal 5: Radikalisierung der Repression und rassistischen Verfolgung; Saal 6: Internierung in Royallieu, Bedingungen; Saal 7: Die Internierten; Saal 8: ein (leeres) Zimmer – mit Portäts einzelner Internierter; Saal 9: Die Deportationen
Es gibt viele bewegende Audio- und Videoaufnahmen und Computerterminals. Die Internierten und Deportierten haben wieder Namen bekommen: Sie sind auf einer Glaswand neben dem Eingang der Gedenkstätte verzeichnet. Anschrift der Gedenkstätte: 2 bis Avenue des Martyrs de la Liberté, 60200 Compiègne; erreichbar vom Bahnhof mit der Buslinie 5 →Hôpital, Stop 'Saint-Côme – Mémorial'; offen täglich 10 – 18 Uhr, außer montags; Tel. ++ 33 3 44 96 37 00; Internet: www.memorial-compiegne.fr
Zur Gedenkstätte Deportationswagen am Bahnhof vgl. Compiègne-Gare / Bahnhof.
Literatur/Medien
Husser, Beate/Besse, Jean Pierre/Leclère-Rosenzweig, Françoise : Frontstalag 122, Compiègne-Royallieu, un camp d’internement allemand dans l’Oise, 1941-1944, Beauvais 2008
Delage, Christian (Hg.): Le camp de Royallieu (1941-1944). De l'histoire au Mémorial, Compiègne 2008
Petit Futé. Guide des lieux de mémoire, Paris 2011/2012, S. 206f.
http://www.cheminsdememoire.gouv.fr/de/mahnmal-der-internierung-und-deportation-royallieu (dt.)
http://fr.wikipedia.org/wiki/Camp_de_Royallieu
http://fr.wikipedia.org/wiki/Gare_de_Compi%C3%A8gne