Adam Abram Cerniaków, geboren am 30.11.1880 in Warschau (damals Russ. Zarenreich), gehörte einer assimilierten polnisch-jüdischen Familie an. Er studierte Ingenieurwissenschaften in Dresden und Warschau Er engagierte sich politisch für die Unabhängigkeit Polens. Nach 1918 hatte Cerniaków eine leitende Stellung im Verkehrsministerium; leitete den Wiederaufbau in vielen Städten, Wahl in den polnischen Senat.

Nach Kriegsbeginn ernannte Bürgermeister Starzýnski ihn zum Vorsitzenden der Jüdischen Kultusgemeinde.Am 4.10.1939 wurde er von den deutschen Besatzern zum Vorsitzenden des Judenrats bestimmt. Er war damals relativ unbekannt, die Meinungen über seine „verantwortliche und undankbare Aufgabe“ gehen weit auseinander. Die Gründe waren nicht gegensätzliche politischen Ansichten, sondern  - so Gutman, S. XIII f. - einmal in Cerniakóws Persönlichkeit , dem das jüdische Milieu und Brauchtum nicht sehr nahe stand, der nur schwer „den Menschen näherkommen, ihr Vertrauen gewinnen... und nur schwer Kontakte“ herstellen konnte (Gutman S. XIII); vor allem aber in den unvereinbaren Aufgaben des Judenrats (deutsche Befehle ausführen, Interessen der Ghettobewohner*innen vertreten) und den völlig andersartigen Aufgaben als die eines Vorstand der jüdischne Gemeinde  nämlich die einer Stadtverwaltung oder öffentlicher Ämter Arbeitsbeschaffung, Lebensmittelversorgung etc.

 

Cerniaków glaubte, wirtschaftsliberale Prinzipien auch im Ghetto anwenden zu können. Z.B. indem der das Engreifen der Deutschen in die 'inneren Angelegenheiten des Ghettos' nach Möglichkeit verhindern wollte. Das erwies sich teilweise als wirksam, im Untergrund entwickelte sich ein geheimes wirtschaftliches Leben sowie eine rege politische Tätigkeit“ (Gutman, S. XIII)  - Kehrseite zeigte sich bei der Erhebung von Steuern: Statt von Vermögenden mehr Geld einzutreiben – wenn nötig mit Zwang - bediente man sich der Methode indirekter Besteuerung ('Kopfsteuer'), was die Hungernden besonders betraf;   oder bei Zwangsarbeit: es wurden die in ein Arbeitslager geschickt, die sich nicht durch Abgaben oder 'Lösegeld' freikaufen konnten. Das brachte dem Judenrat den Vorwurf ein, sich als willenlose Menschen „vom Strom treiben zu lassen und die Schwachen ihrem Schicksal zu überlassen“ (S. XIX).

Doch die schwersten Probleme und tiefsten Kränkungen erwuchsen ihm aus seinen Kontakten mit den deutschen Besatzungsbehörden ( SS, Gesatapo, Zivilbeamten) …. Es schien ihm gar nicht voll zum Bewustsein zu kommen, wie zynisch er verhöhnt und wie rücksichtslos er ausgenutzt wurde“ (S. XXI).

Czerniaków schreibt im Tagebuch „Zum ersten Male sehe ich das Getto lächeln. Auf dem Gesicht eines freigelassenen Häftlings“ (S. XXIII) … Es war ihm gelungen, 300 jüdische Häftlinge  … freizukaufen. Und ausgerechnet in dieser Zeit, da man hoffte, das schlimmste überwunden zu haben, kam der Befehl zur physischen Vernichtung der Gesamtbevölkerung.

Als Czerniaków am 20.7.1942 von Gerüchten über die „Aussiedlung“ hört, fährt er zu den zuständigen Deutschen. Alle verneinen – empört. Am 22.7.1942, 10 h, erklärt ihm SS-Sturmbannführer Hoefle mit Gefolge: „Die Juden werden ohne Unterschied des Geschlechts und Alters in den „Osten ausgesiedelt; bis heute nachmittag 4 Uhr müssen 6000 Menschen bereitgestellt werden. Und so (mindestens) wird es jeden Tag sein.“


Am 23.7. nahm sich Czerniaków mit einer Zyankalikapsel das Leben. Er wollte den Ghettobewohnern ein Signal der ernsthaften Lage und der Auswegslosigkeit zeigen und sich nicht zum Werkzeug der Nationalsozialisten machen lassen sowie persönlich an der Ermordung derGrab Czerniakóws auf dem Okopowa-Friedhof, Warschau: Quelle: wikimedia commons, Cesary p, Ghettobewohner teilnehmen.

 

Auf seinem Tisch fand man einen kurzen Brief an seine Frau:

            „Sie verlangen von mir, mit eigenen Händen die Kinder meines Volkes umzubringen. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als zu sterben“

… und eine Notiz an den Judenrat:

            „Worthoff und seine Kollegen vom Umsiedlungsstab waren bei mir und verlangten, dass für morgen ein Kindertransport vorbereitet wird. Damit ist mein bitterer Kelch bis zum Rand gefüllt, denn ich kann doch nicht wehrlose Kinder dem Tod ausliefern. Ich habe beschlossen abzutreten....“

 

Literatur/Medien

Czerniaków, Adam: Im Warschauer Ghetto. Das Tagebuch des Adam Czerniaków 1939 – 1942. Vorwort Israel Gutman. München 1986

Gutman, Israel u.a. (Hg.):  Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Vernichtung der Juden Europas, Berlin 1993, S. 297f.

https://de.wikipedia.org/wiki/Adam_Czerniak%C3%B3w