Bezirk Vilnius
Die Stadt
Die wechselvolle Geschichte der Hauptstadt Litauens spiegelt diejenige des ganzen Landes wider: In der frühen Neuzeit hatte die Stadt überregionale Bedeutung, vom Ende des 18. Jahrhunderts an bis 1918 gehörte sie zum zaristischen Russland, 1915 bis 1918 erlebte sie eine erste deutsche Besatzung und war nach dem Ersten Weltkrieg bis 1939 mit Südlitauen von Polen annektiert worden. Nach zwei Jahren Sowjetregime als Folge des Hitler-Stalin-Paktes (1939–1941) geriet Vilnius mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion ab Juni 1941 erneut unter deutsche Besatzung. Von 1944 bis 1990 war die Stadt nach der Befreiung durch die Rote Armee Hauptstadt der Sowjetrepublik Litauen und ist seit 1990 Hauptstadt der wieder unabhängig gewordenen Republik Litauen (Litauische Geschichte).
Vilnius hat heute über eine halbe Million Einwohner mit einer litauisch-sprachigen Mehrheit von 60% und mit ethnischen Minderheiten vor allem russischer, weißrussischer und polnischer Herkunft. Vor dem deutschen Einmarsch 1941 machte die polnische Bevölkerung über 40% und die litauische Minderheit nur ungefähr 25%, die russische Minderheit ca. 20% der damals rund 270.00 Einwohner aus. Zu diesem Zeitpunkt lebten ungefähr 60.000 litauische Juden und 10.000 jüdische Flüchtlinge vor allem aus dem von Deutschland 1939 besetzten Polen in Vilnius. Während der deutschen Besatzungszeit 1941 bis 1944 wurden die jüdische Bevölkerung der Stadt und deren Kultur fast vollständig ausgelöscht (Holocaust in Litauen). Auch in Vilnius lebende Polen wurden unterdrückt, zu Zwangsarbeit herangezogen, zu tausenden ermordet.
Nach der Befreiung 1944 wurde die polnische Bevölkerung von der Sowjetadministration nach Polen „umgesiedelt“. Die gewaltsamen Verluste alteingesessener Bevölkerungsteile veränderten den multiethnischen und kulturellen Charakter der Stadt tiefgreifend und ließ Vilnius seit den Nachkriegsjahren zu einer Hauptstadt mit litauischer Mehrheit und Kultur werden.
Im eindrucksvollen Stadtbild von heute mit vielen katholischen Kirchen und Klöstern, barocken und modernen Gebäuden fehlen allerdings ungefähr einhundert zerstörte Synagogen, auch die zerstörten jüdischen Einrichtungen und Kunstwerke, die mit der religiösen und kulturellen Lebensweise der jüdischen Bevölkerung vor 1941 den Charakter der Stadt entscheidend mitgeprägt haben – sie sind und bleiben vernichtet. Es existiert nur noch eine einzige, von der Jüdischen Gemeinde genutzte Synagoge in der Pylimo-Straße 39. Vilnius, das zuvor über Jahrhunderte gerühmte „Jerusalem des Ostens“ (Jüdisches Litauen) existiert nur noch in der Erinnerung Überlebender und jener, die dessen Geschichte berichten und zu seinen noch sichtbaren Spuren oder zu Erinnerungsorten führen (Jüdisches Museum).