Otto Wagener, geboren am 29. April 1888 in Karlsruhe-Durlach, schloss sich nach seinem Einsatz im ersten Weltkrieg, zuletzt als Hauptmann, diversen Freikorps an und beteiligte sich 1920 auch am Kapp-Putsch. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und arbeitete in mehreren mittelständischen Unternehmen; 1923 Eintritt in die SA, 1929 Eintritt in die NSDAP, SA-Gruppenführer. Von Oktober 1929 bis zum 13. Juli 1933 gehörte er der Reichsleitung der NSDAP an, war Berater Hitlers in Wirtschaftsfragen und übernahm Anfang April 1933 die Leitung des „Wirtschaftspolitischen Hauptamtes der NSDAP“. Aufgrund von zu intensiven Bemühungen, Wirtschaftsminister zu werden, fiel Wagener bei Hitler in Ungnade, verlor all seine Ämter und zog sich ins Erzgebirge zurück.
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges Einsatz in der Wehrmacht, ab Anfang 1943 erstes Kommando über eine Sicherungsdivision.
Im Juli 1944 übernahm Wagener, mittlerweile Oberst, auf der Insel Rhodos das Kommando über die „Sturmdivision Rhodos"; im September 1944 wurde er als Nachfolger von Ulrich Kleemann zum „Kommandanten Ost-Ägäis" mit Sitz in Rhodos ernannt.
Wie auch auf Kreta war ein vollständiger Abzug der deutschen Truppen im Herbst 1944 von den Dodekanes-Inseln aufgrund mangelnder Transportkapazitäten nicht möglich. Stattdessen sollte Rhodos unter dem Kommando Wageners, der nun wieder Hitlers volles Vertrauen genoss, zur uneinnehmbaren Festung ausgebaut und diese „bis zur letzten Patrone" verteidigt werden. Die Versorgungslage in den drei Internierungslagern und dem - nahe der Thermen von Kallithea - unter Wagener eingerichtetem Straflager war extrem schlecht. Mehr noch litt die Zivilbevölkerung von Rhodos: „Die Verpflegungslage bei der Zivilbevölkerung ist katastrophal. [...] Nachdem seit Anfang Januar etwa 20 Personen pro Tag an Hunger starben, muss erwartet werden, dass diese Zahl im Laufe der Zeit auf 30 und höher steigt" (Lagebericht vom 11. Januar 1945, zit. n. Klausch, S. 309).
Aufgrund der Hungerkatastrophe musste selbst der Dienst der Soldaten auf vier Stunden pro Tag gekürzt werden. „Der Hunger trieb immer mehr Menschen zu Lebensmitteldiebstählen. Aber statt die Zivilbevölkerung und die Soldaten endlich durch eine Kapitulation von dem sinnlosen Hungermartyrium zu befreien, reagierte der Kommandant Ost-Ägäis mit immer drakonischeren Strafmaßnahmen" (Klausch, S. 312). Standrechtliche Todesurteile wurden wegen kleinster Delikte gefällt. „Nach einer Aufstellung des katholischen Divisionspfarrers über Beerdigungen und Exekutionen wurden in der Zeit vom Januar bis März 1945 elf deutsche Soldaten hingerichtet, von denen acht 999er waren"(Klausch, S. 313).
Am 8. Mai 1945 musste Wagener auf der Insel Symi die bedingungslose Kapitulation unterzeichnen. Sein Terrorregime bestand jedoch noch einige Zeit weiter, da sich die deutschen Kriegsgefangenen auf Rhodos auf Geheiß der Briten unter dem Kommando ihrer Offiziere noch „selbst verwalten" durften.
Im Kriegsgefangenenlager bei Bridgend (Wales) verfasste Wagener seine 2.300 Seiten umfassenden Erinnerungen unter dem Titel Hitler aus nächster Nähe über die Frühgeschichte der NSDAP, die 1978 von dem Historiker Henry Ashby Turner herausgegeben wurden.
Im Januar 1947 wurde Wagener wegen der auf Rhodos verübten Verbrechen an Italien ausgeliefert. Der Prozess vor dem Militärtribunal Rom gegen ihn als Hauptverantwortlichen und acht weitere Mitglieder der „Rhodos-Gruppe" endete am 16. Oktober 1948 mit der Verurteilung Wageners zu 15 Jahren Gefängnis. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er und drei weitere Angeklagte unter seinem Kommando durch Misshandlungen, systematisches Verhungernlassen, Mangel an Gesundheitsversorgung und ungerechtfertigte Hinrichtungen für den Tod einer nicht näher spezifizierten Anzahl („numero imprecisato") von Kriegsgefangenen und Zivilisten italienischer Staatsangehörigkeit verantwortlich waren; im speziellen erging das Urteil aufgrund von vier nachgewiesenen Exekutionen an 29 italienischen Kriegsgefangenen zwischen Januar und Ende April 1945 in zweien der drei Internierungslager der Insel (Focardi 2008, S. 34).
Wagener blieb lediglich 3 Jahre inhaftiert: Im Auftrag von Konrad Adenauer reiste der CDU-Bundestagsabgeordnete und Direktor der deutschen Caritas Heinrich Höfler im November 1950 nach Rom und handelte dort mit dem Generalsekretär des Außenministeriums, Graf Zoppi, unter Maßgabe der Geheimhaltung vor der italienischen Öffentlichkeit Wageners Freilassung aus (Focardi 2006, S. 552). 1951 aus der Haft entlassen, ließ sich Wagener in Bayern nieder, „wo er gelegentlich in nationalistischen
politischen Kreisen auftrat" (Turner, S. III) und bis zu seinem Tod geschäftlich tätig war. Otto Wagener starb am 9. August 1971 in Chieming.
Literatur / Medien:
Focardi, Filippo: Das Kalkül des »Bumerangs«. Politik und Rechtsfragen im Umgang mit deutschen Kriegsverbrechen in Italien, in: Norbert Frei: Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2006, S. 536–566; Focardi, Filippo: I criminali di guerra in libertà, Un accordo segreto tra Italia e Germania federale, 1949-55, Prefazione di Lutz Klinkhammer, Rom 2008; Klausch, Hans-Peter: Die 999er. Von der Brigade „Z“ zur Afrika-Division 999. Die Bewährungsbataillone und ihr Anteil am antifaschistischen Widerstand, Frankfurt am Main 1986; de.wikipedia.org/wiki/Otto_Wagener