Yechiel Sheinbaum wurde 1914 in Odessa/Ukraine geboren und wuchs in der ukrainischen Stadt Kowel auf. Bereits mit 16 Jahren trat er der linkszionistischen Jugendbewegung bei und nahm an einem Camp zur Vorbereitung auf die Emigration nach Palästina teil. Mitte der 1930er Jahre ging Sheinbaum zum Studium der Elektrotechnik nach Łódź, absolvierte den Militärdienst in der polnischen Armee und wurde anschließend Ausbilder in einem in Polen gelegenen Kibbuz. Nach der deutschen Besetzung Polens (1939) flüchtete er mit seinen Kameraden nach Vilnius und wurde dort nach dem deutschen Einmarsch im Ghetto interniert. Die Arbeit als Elektriker in einem Wehrmachtsbetrieb bot ihm früh Gelegenheit für diverse Sabotageakte. Ab Frühjahr 1942 organisierte Sheinbaum im Ghetto eine Gruppe aus Mitgliedern der zionistischen Jugendbewegung, um den bewaffneten Kampf in den Wäldern vorzubereiten – als ehemaliger Leutnant der polnischen Armee verfügte er wie wenige andere über militärische Fähigkeiten. Die „Yechiel Kampfgruppe“ wurde – neben der FPO – Kern eines zweiten bewaffneten Netzwerks im Ghetto. Auch „Zweite Kampfgruppe“ genannt, gehörten ihr ca. 200 Mitglieder an, darunter auch zahlreiche Ghetto-Polizisten. Sie nahm Mitglieder auf, die sich nicht der FPO anschließen wollten und für einen Partisanenkampf in den Wäldern bereit waren. Im Gegensatz zur FPO beurteilte Sheinbaum eine Revolte innerhalb des Ghettos als aussichtslos.
War das Verhältnis zwischen FPO und der „Yechiel Kampfgruppe“ zunächst von Misstrauen und Rivalitäten geprägt, kam es im Mai 1943 zu einer Annäherung, bei der sich die „Zweite Kampfgruppe“ – entgegen Sheinbaums Auffassung – verpflichtete, der FPO bei einem Aufstand im Ghetto beizustehen. Im April verließ ein erster Teil der „Yechiel“-Gruppe das Ghetto mit dem Auftrag, einen Stützpunkt in den Rudniki Wäldern aufzubauen, weitere Mitglieder folgten.
Am 1. September 1943 wurde das Ghetto von deutscher SS und litauischen sowie estnischen Hilfstruppen umstellt. Für die Arbeitslager in Estland sollten 3.000 Männer und 2.000 Frauen herausgegeben werden. Die FPO, die die bevorstehende Liquidierung des Ghettos vermutete, rief mit der Parole „Liza ruft“ die Ghetto-Bevölkerung zum Aufstand auf. Eines der zwei FPO-Bataillone wurde entdeckt und aufgerieben, noch bevor es zu dem Waffenversteck gelangte. Mitglieder der „Zweiten Kampfgruppe“ unter dem Kommando von Sheinbaum verbarrikadierten sich in der Strashunstraße Nr.12 und eröffneten das Feuer auf die SS und ihre Helfer. Bei diesem Gefecht wurde Sheinbaum getötet, Rozka Korczak übernahm das Kommando. Bevor die Deutschen das Haus sprengten, konnten sich die Überlebenden in das Kulturhaus des Ghettos zurückziehen und sich dem dort stationierten Kommandostab der FPO anschließen. In einer viertägigen Aktion gelang es den SS-Kommandos, die geforderte Zahl der Ghettohäftlinge für Estland einzusammeln und zu deportieren. Am 5. September 1943 wurde der Sarg Sheinbaums in einer Prozession, angeführt von Abba Kovner, durchs Ghetto getragen und beigesetzt.
Vor der Liquidierung des Ghettos am 23. September 1943 entkamen noch weitere Gruppen der „Yechiel Kampfgruppe“ in die Rudniki Wälder.
Am 28. September 2000 wurde an dem neu errichteten Gebäude in der heutigen Žemaitijos Straße 8A eine vom deutschen Konsulat bezahlte Erinnerungstafel für Yechiel Sheinbaum angebracht.
Literatur / Medien
Ainsztein, Reuben: Jüdischer Widerstand im deutschbesetzten Osteuropa während des Zweiten Weltkrieges, Oldenburg 1993, S. 243ff.; Arad, Yitzhak: Ghetto in Flames. The Struggle and Destruction of the Jews in Vilna in the Holocaust, New York 1982, S. 263–270, S. 412f.; Dieckmann 2011, Bd. 2, S. 1206f., 1216–1220; Grossman, Wassili / Ehrenburg, Ilja: Das Schwarzbuch. Der Genozid an den sowjetischen Juden, hrsg. von Arno Lustiger, Frankfurt/M. u.a. 1994, S. 533; Margolis, Rachel: Als Partisanen in Wilna. Erinnerungen an den jüdischen Widerstand in Litauen, Frankfurt/M. 2008, S. 124ff.; Porat, Dina: The Fall of a Sparrow. The Life and Times of Abba Kovner, Stanford 2010, S. 81ff., S. 103f., S. 138ff.; Schröter, Gudrun: Worte aus einer zerstörten Welt. Das Ghetto in Wilna, St. Ingbert 2008, S. 379ff., S. 399
http://www.yadvashem.org/yv/en/exhibitions/vilna/during/ghetto
http://www.yadvashem.org/yv/en/exhibitions/vilna/during/ghetto
http://www.untilourlastbreath.com/Bart4bunkerfacts.html
Foto (Portrait Sheinbaum): Ghetto Fighters House, Photo Archive, Registry No. 28895p, Catalog No. 6297
Foto (Prozession): Ghetto Fighters House, Photo Archive, Registry No. 19826p, Catalog No. 6298