Fruma Kučinskienė wurde am 3. Juni 1933 als zweites Kind von Riva und Vulf Vitkin in Kaunas geboren. Ihr Vater war technischer Direktor einer Wollfabrik. Sie wuchs dreisprachig (jiddisch, russisch und litauisch) in einer weit verzweigten Familie auf, von denen nur wenige den Holocaust überlebten. Mit ihren Eltern und ihrem sieben Jahre älteren Bruder Josif wurde Fruma im August 1941 in das Ghetto von Kaunas getrieben. Die vor 1940 geplante Ausreise nach Palästina, wo bereits in den 1930er Jahren ausgewanderte Familienmitglieder lebten, war wegen ihres schwachen Gesundheitszustandes so lange verschoben worden, bis es zu spät war. Noch immer erinnert sie sich an die Schrecken und Ängste, die sie als junges Mädchen im Ghetto erlebte: die permanenten „Aktionen“, das qualvolle Warten und die bedrückende Enge in einem Versteck, die verbotenen Unterrichtsstunden an heimlichen Orten, das bange Warten auf die Eltern und den Bruder auf deren Rückkehr von der Zwangsarbeit. Vater und Bruder arbeiteten bis zur Erschöpfung am Flughafen Aleksotas, die Mutter in der Wäscherei des Ghettos. Tagsüber waren die Kinder des Ghettos alleine, die größeren passten auf die kleineren auf, Fruma strickte Handschuhe für Leute, die ihr Wolle brachte.
Im Herbst 1943, noch vor der „Kinderaktion“, beschlossen ihre Eltern, sie gegen ihren Willen aus dem Ghetto zu schmuggeln und in der Stadt zu verstecken. Ein Ghetto-Polizist brachte Fruma nach draußen, wo sie in permanenter Angst um ihre Familie und vor Entdeckung ihrer Identität lebte. Kurze Zeit kümmerten sich zwei befreundeten litauischen Frauen um sie, die seit Januar 1942 bereits ihre Cousine Rivka versteckt hatten. Anschließend nahmen Helene Holzman und deren Tochter Margarete Fruma für mehrere Monate unter dem litauischen Decknamen „Danute“ in ihre Wohnung auf, bevor sie an einen anderen sicheren Ort gebracht wurde. Fruma verdankte ihr Überleben in erster Linie Helene Holzman, aber auch zahlreichen litauischen Helferinnen und Helfern, der Aufnahme in ein Waisenhaus mit einer gefälschten Taufurkunde und kurz vor der Befreiung einem Unterschlupf in einem Waldgebiet. Ihre Eltern und ihr Bruder verbrannten in ihrem Versteck, als das Ghetto im Juli 1944 gesprengt und abgebrannt wurde.
Nach der Befreiung lebte Fruma bei Helene und Margarete Holzman. Ihr drohte der Verlust ihrer Pfegefamilie, als die beiden deutschen Frauen eines Tages abgeholt und nach Sibirien deportiert werden sollten. Fruma alarmierte Nachbarn und diese einen NKWD-Offizier, der die Deportation verhinderte. 1965 reisten Helene und Margarete Holzman nach Deutschland aus, Fruma blieb in Kaunas, heiratete ihren Mann, der ihr bis zu seinem Tod eine große Stütze war. Sie bekamen drei Söhne und drei Enkeltöchter. Bis zum Tod von Helene (1968) und Margarete Holzman (2017) blieb sie ihren beiden Retterinnen in Dankbarkeit verbunden und engagiert sich als Zeitzeugin in Schulen und Veranstaltungen. Fruma Kučinskienė ist am 22. Dezember 2023 in Kaunas verstorben.
Literatur /Medien
[Holzman, Helene] "Dies Kind soll leben". Die Aufzeichnungen der Helene Holzman 1941–1944, hrsg. von Reinhard Kaiser u. Margarete Holzman, Frankfurt/M. 2000; Kučinskienė, Fruma V.: Aus dem Ghetto Kaunas gerettet, in: Bartusevičius u.a. (Hg.): Holocaust in Litauen, 2003, S. 218–229; With a Needle in the Heart: Memoirs of Former Prisoners of Ghettos and Concentration Camps, Genocide and Resistance Research Centre of Lithuania, Vilnius 2003, S. 196f.
http://www.dw.com/de/eine-geschichte-vom-tod-und-vom-%C3%BCberleben/a-16220638
http://www.buendnis-toleranz.de/themen/antisemitismus/168627/botschafterin-fuer-demokratie-und-toleranz-jana-mueller-vom-alternativen-jugendzentrum-e-v-dessau (Zeitzeugin)
http://www.reinhardkaiser.com/LesesaalNeu/VersammelteWerke/hhmargaretefruma.htm
Foto Helene und Margarete Holzman mit Fruma: Archiv Reinhard Kaiser