Der „weiße Fleck“
Italienreisende tragen früher oder später eine virtuelle Landkarte mit sich, ausgefüllt mit persönlichen Eindrücken, Lese- und Studienerkenntnissen, mit Erlebnissen und Erinnerungen rund um Geschichte und Gesellschaft, um Kultur, Landschaft und Lebensweise. Auf dieser virtuellen Landkarte erscheint ein „weißer Fleck“ in der Regel besonders umfangreich. Er umreißt die Jahre 1943 bis 1945, in denen eines der letzten und besonders grausamen Kapitel des Zweiten Weltkrieges geschrieben wurde. Es geht um jene 20 Monate, in denen Nazideutschland Krieg gegen das im September 1943 aus dem Bündnis mit Hitler ausgetretene Italien und gegen die vorrückenden alliierten Truppen führte. Aus den eben noch verbündeten Deutschen war eine Besatzungsmacht geworden, die das Land ausplünderte, die Bevölkerung terrorisierte und – unterstützt durch das Salò-Regime – den immer stärker werdenden italienischen Widerstand gnadenlos bekämpfte. Faschismus und Krieg in Italien waren erst mit der Kapitulation der deutschen Armeen Anfang Mai 1945 zu Ende.
Die Schreckensbilanz der deutschen Okkupation
Das verheerende Ausmaß der Hinterlassenschaft der deutschen Okkupation zwischen dem 8. September 1943, dem Tag der Bekanntgabe des Waffenstillstands zwischen den westalliierten Truppen und der Regierung Badoglio und der am 2. Mai 1945 in Kraft getretenen Kapitulation der deutschen Truppen an der Italienfront, wird an der Schreckensbilanz dieser zwanzig Monate deutlich. Sie verzeichnet zehntausende getöteter Italiener: im Partisanen-Krieg Gefallene, in Gefängnissen und Verhörzentren Gefolterte, als Geiseln oder in Massakern an der Zivilbevölkerung Umgekommene, bei Kriegshandlungen, in Lagern, durch Deportation und im programmierten Judenmord zu Tode gekommene Menschen. Zählt man die als Zwangsarbeiter in Deutschland zu Grunde gegangenen vierzig- bis fünfzigtausend „Militärinternierten“ (IMI) hinzu, so müssen wir von weit über 100.000 Italienerinnen und Italienern ausgehen, die der Brutalität von deutscher Kriegsführung und deutscher Besatzungsherrschaft insgesamt zum Opfer gefallen sind (Schreiber 1996, S. 217; Gentile 2010, S. 492).
Die Ausplünderung des Landes
Zu dieser düsteren Bilanz zählen auch die Zerstörungen in vielen Städten, zählt die Vernichtung ganzer Dörfer und Siedlungen, die befohlene Zerschlagung eines großen Teils der Infrastruktur ebenso wie die systematische Beraubung des Landes durch Wehrmacht, SS und Besatzungsverwaltung (Kuby, S. 447 ff.; Andrae, 57 ff.). Die menschliche und materielle Vernichtungsarbeit ist nicht von irgendwelchen anonymen Kräften – oft mit Formeln „es war eben Krieg“ oder „so lautete der Befehl“ verharmlost – herbeigeführt worden. Die für Mordtaten und Verwüstung Verantwortlichen hatten – vom Feldmarschall und General bis zum Soldaten – Namen, auch wenn sie bei weitem nicht in allen Fällen ans Tageslicht gekommen, ermittelt oder gar strafrechtlich verfolgt worden sind.
Gedenken an die Opfer
Auch die Orte der Massaker und der Vernichtungsaktionen haben Namen und Datum. Die Erinnerung an die Schrecken jener Zeitspanne ist nicht nur mit den großen nationalen Gedenkorten wie Fosse Ardeatine bei Rom, Marzabotto bei Bologna oder Fossoli bei Modena verbunden. Vielmehr bleibt die Erinnerung an ungezählten Orten bis auf den heutigen Tag tief im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung und der betroffenen Familien eingegraben. In fast allen Städten, in vielen Ortschaften und an Plätzen außerhalb – ob in den Bergen, an Straßen, ob unübersehbar und aufwändig oder einfach gestaltet, manchmal auch schwer zu finden – treffen wir auf Denkmäler, Tafeln und Straßennamen, die an Ereignisse und Verbrechen erinnern, denen Frauen, Kinder und alte Menschen, Geiseln und Partisanen, ja oftmals ganze Dörfer zum Opfer gefallen sind. Dabei verzeichnen die Erinnerungstafeln oft akribisch die Namen der zu Tode Gekommenen.
Gedenken an Widerstand und Befreiung
In gleicher Weise werden in Italien die im Widerstand gegen die deutsche Besatzung Gefallenen, unter ihnen viele Frauen, geehrt – kleine Dörfer erinnern an die gefallenen Partisanen aus der Heimatregion, größere Städte halten die Opfer aus den Reihen der Resistenza mit Portrait-Tafeln an den zentralen Plätzen im öffentlichen Gedächtnis. Viele Kommunen Italiens fördern die Erinnerung an Widerstand und Befreiung in Zusammenarbeit mit den Verbänden der ehemaligen Partisanen und der aus der Deportation Zurückgekehrten, indem sie lokal- und regionalgeschichtliche Einrichtungen – Geschichtsinstitute oder Widerstands-Museen – nicht nur mittragen, sondern deren Zusammenarbeit vor allem mit Schulen und bürgerschaftlicher Öffentlichkeit unterstützen. Nicht zuletzt wird nach wie vor der 25. April, der Tag der von der Resistenza ausgerufenen Volkserhebung in den großen norditalienischen Städten im Frühjahr 1945, als nationaler Feiertag zur Erinnerung an die Befreiung von Faschismus und Besatzung festlich begangen.
In der Startversion der Homepage „Gedenkorte Europa“ wurden für Italien zunächst die Regionen Abruzzen, Emilia Romagna, Friaul-Julisch Venetien, Ligurien, Lombardei, Piemont, Toskana, Trentino-Südtirol und Venetien dargestellt; außerdem die Stadt Rom, sowie in einem Exkurs, da nicht zu Italien gehörend, die Insel Kephalonia. Sukzessive wurden diese Regionen um weitere Gedenkorte ergänzt und auch die Regionen Aostatal, Marken, Umbrien, Apulien, Kampanien und Latium dargestellt. Über neu aufgenomme Gedenkorte informieren wir stets unter der Rubrik „News zur Seite“.
Handhabung der Homepage, Einladung zu Anregungen und Kritik
Die Homepage www.gedenkorte-europa.eu soll einen Überblick über exemplarisch ausgewählte Gedenkorte in Italien anbieten. Mit Hilfe der Kurzbiographien und Sachstichworte sind weitere Erläuterungen zu finden. Die integrierten google maps erleichtern das Auffinden der Orte, die Photos lassen sich durch Anklicken vergrößern, die Verweise auf Medien, Links und auf die Literatur- und Medienliste ermöglichen eigene und vertiefte Recherchen.
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Dank
Die Redaktion ist allen Autorinnen und Autoren der einschlägigen Literatur und der elektronischen Medien, die in der Literatur- und Medienliste, ebenso bei Ortsbeschreibungen und Sachstichworten aufgeführt sind, zu Dank verpflichtet. Dank für Unterstützung gebührt vor allem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Geschichtsinstituten, Museen, Stiftungen, städtischen Einrichtungen und Organisationen (stellvertretend für letztere seien örtliche Vertretungen der nationalen Partisanenvereinigung ANPI genannt), deren Arbeit der Geschichte der Resistenza, der Okkupation, Verfolgung und Befreiung in den Jahren 1943–1945 gewidmet ist.
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Literatur / Medien
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